Die Konzernverantwortungsinitiative (KVI) will, dass Kinderschinder im Ausland ebenso belangt werden können wie Kinderschänder.
Niklaus Ramseyer für die Online-Zeitung INFOsperber
Wenn es gegen die «Konzernverantwortungsinitiative (KVI)» geht, legen sich führende Freisinnige wie Ruedi Noser (Ständerat ZH) oder Karin Keller-Sutter (Bundesrätin und Justizministerin CH) besonders ins Zeug: Das Duo Keller-Sutter/Noser hat schon mit einer handstreichartig in den Ständerat eingebrachten Schein-Alternative einen recht griffigen Gegenvorschlag zur KVI listig ausmanövriert.
Jetzt führen die beiden den Abstimmungskampf gegen das Volksbegehren, das am 29. November zur Abstimmung kommt. Es verlangt, dass hier (z.B. im Kanton Zug) ansässige, weltweit operierende (Rohstoff-)Konzerne in der Schweiz obligationenrechtlich (auf Schadenersatz) eingeklagt werden können, wenn sie im Ausland gegen Menschenrechte verstossen oder die Umwelt und die Lebensgrundlagen der lokalen Bevölkerung zerstören. Konkret geht es vorab um Kinderarbeit in gefährlichen Minen.
Die Justizministerin kennt das Schweizer StGB nicht
Im Ausland verantwortungslos handelnde Schweizer Konzerne in der Schweiz vor Gericht zu bringen, wäre «in zweierlei Hinsicht problematisch», argumentiert Justizministerin Keller-Sutter gegen die KVI (Interview in der BZ Basel, 7. Okt. 2020): «Erstens ist die Beweisführung schwierig. Andererseits zwingen wir einem anderen Staat Schweizer Recht auf.» Und das wäre «ein Eingriff in die Souveränität». Denn da müsste ja «ein Regionalgericht in einem Kanton nach Schweizer Recht eine Verfehlung in einem afrikanischen Staat beurteilen». Da würde also «mit der Initiative die Schweiz ihr Recht auch international durchsetzen». Das hingegen fände sie «anmassend». Sie hat diese ihre Darstellung am Donnerstag, 22. Oktober, in der Sendung «10 vor 10» auf TV SRF in einem netten Gespräch vor einer Schweizer Fahne kaum widersprochen wiederholen können.
Setzt bei Straftaten gegen Kinder im Ausland durch Schweizer Konzerne auf «Dialog statt Klage»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter (Foto: uzwil24)
Die Justizministerin vergisst oder verschweigt dabei folgende Fakten (welche die unbedarften InterviewerInnen ihr auch nicht vorhalten): Die Schweiz setzt ihr Recht teils längst auch international durch. Und dies nicht nur im Obligationen- oder Zivilrecht, wie dies die KVI
für die Haftbarmachung verantwortungsloser Konzerne verlangt, sondern sogar auch im Strafrecht. Dies gerade auch zum Schutz der Kinder, die Keller-Sutter ja «ein besonderes Anliegen» sind, wie sie stets beteuert. Konkret stellt Artikel 5,3 unseres Strafgesetzbuches (StGB) «Straftaten gegen Minderjährige im Ausland» in der Schweiz unter Strafe. Und Artikel 187 StGB bedroht «Gefährdung der Entwicklung von Minderjährigen» mit «Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren».
Bundes-Meldeformular für «Straftaten gegen Minderjährige im Ausland»
Mehr noch: Keller-Sutters Bundespolizei (Fedpol) in ihrem EJPD (Eidgenössisches Justiz- und Polizei-Departement) stellt wachsamen Auslandreisenden ein elektronisches Formular zur Verfügung, mit dem sie Schweizer Täter anzeigen können, die sie im Ausland bei Straftaten gegen Minderjährige beobachtet haben.
Dieses Fedpol-Formular gibt es schon seit 2008. Es erlaubt der Polizei gegen Kinder delinquierende Schweizer gleich nach der Gepäckausgabe am Schweizer Flughafen festzunehmen, wenn sie von ihrer Verbrechertour im Ausland zurückkommen.
Dass wehrlose Kinder, statt in der Schule etwas lernen zu können, in schlimmen Verhältnissen in Rohstoffminen schuften müssen – das erfüllt den Tatbestand der «Gefährdung der Entwicklung von Minderjährigen (Art. 187 StGB)» bestimmt. Wäre also eine «Straftat gegen Minderjährige im Ausland». Kinderarbeit ist bei uns ja schon seit 1877 (im Fabrikgesetz) verboten.
Wer allerdings das Fedpol-Formular ausfüllt – darin «Verdächtige, Opfer, Ort des Ereignisses, Zeugen» usw. aufführt – und einreicht, nachdem er oder sie üble Kinderarbeit bei einer Glencore-Mine oder auf einer Kakaoplantage in Afrika beobachtet oder gar fotografiert hat («Wenn Sie uns Fotos zustellen wollen, vermerken Sie dies im untenstehenden Feld.»), der wird vergebens auf die Festnahme der dafür «verantwortlichen» Schweizer Rohstoff-Manager am Flughafen Kloten hoffen. Solche Täter können hier bis heute nämlich nicht zur Rechenschaft gezogen, ja können nicht einmal auf Schadenersatz verklagt werden, wie dies nun die KVI verlangt.
Kinderschänder belangt, Kinderschinder geschont
Das geltende Schweizer Gesetz (StGB Art. 5,3) schützt Minderjährige im Ausland nämlich nur vor «a. Menschenhandel» und «a bis. sexuellen Handlungen mit Abhängigen», vor «b. sexuellen Handlungen mit Kindern» oder «c. qualifizierter Pornografie» – meist durch schmierige Schweizer Sextouristen. Nicht aber vor der Ausbeutung durch brutale Schweizer Plantagenbesitzer oder rücksichts- und verantwortungslose Minen-Manager. Kurz und ungut: Vor Schweizer Gerichten können «Straftaten gegen Minderjährige im Ausland» – entgegen Keller-Sutters Behauptungen – sehr wohl jetzt schon eingeklagt werden. Jedoch nur dann, wenn die Täter private Kinderschänder sind. Kommerzielle Kinderschinder in Konzernen und deren Zulieferern hingegen können bisher nicht einmal obligationenrechtlich (Schadenersatz) zur Verantwortung gezogen werden.
Diesen Missstand will das «Volksbegehren für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt» (kurz KVI) am 29. November beheben. Nach einem Ja der Stimmberechtigen und der Kantone könnten hier ansässige weltweit operierende Firmen für im Ausland begangene Verstösse gegen das Verbot der Kinderarbeit oder bei Gefährdung der Entwicklung Minderjähriger und bei Schädigung der Umwelt in der Schweiz dann zumindest obligationenrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden.
«Dialog statt Klage» auch mit Kinderschändern?
Davon jedoch hält die freisinnige Justizministerin Karin Keller-Sutter gar nichts. Sie setzt mit ihrem trickreich in den Ständerat gebrachten, indirekten Gegenvorschlag zur Bekämpfung kommerzieller Kinder-Ausbeutung bloss auf jährliche «Berichterstattung» durch die Konzerne und auf «Dialog statt Klage». Denn das sei «der Schweizer Weg».
Zum Vergleich: Dieser «Weg» müsste beim Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung konsequenterweise folgendes bedeuten: Ein mit dem Fedpol-Formular im EJPD angezeigter Kinderschänder würde nach seiner Rückkehr aus Thailand nicht mehr festgenommen. Er müsste nur einen «Bericht» über sein Sexualleben mit Kindern in Südostasien abliefern. Wonach dann die Bundesbehörden mit ihm noch ein wenig den «Dialog pflegen» könnten, statt ihn zur Verantwortung zu ziehen, Klage zu erheben und ihn der gerechten Strafe zuzuführen. «Dialog statt Klage», eben. Zum Glück ist das auf diesem Gebiet ganz sicher nicht «der Schweizer Weg».