Berliner Regierungsberater sorgen sich über US-Einflussarbeit in Ost- und Südosteuropa mit Hilfe der „Drei-Meere-Initiative“.

Mit Sorge beobachten Berliner Regierungsberater zunehmende US-Aktivitäten in Ost- und Südosteuropa. Im Rahmen der sogenannten Drei-Meere-Initiative baut Washington seit einigen Jahren seinen Einfluss in zwölf Ländern vom Baltikum bis zur Adria und zum Schwarzen Meer systematisch aus. Zentrales Instrument ist die Energiepolitik. Ziel ist es zum einen, Russlands Einfluss auf dem Erdgasmarkt zu schwächen; dazu fördert die Trump-Administration den Bau von Flüssiggasterminals und Erdgaspipelines und den Absatz von US-Frackinggas. Zum anderen ist Washington bemüht, China abzudrängen, das im Rahmen der Neuen Seidenstraße zunehmend mit der Region kooperiert. Vergangene Woche hat Rumänien den Bau zweier Atomreaktoren, den es zuvor mit der Volksrepublik vereinbart hatte, den Vereinigten Staaten übertragen. Bei alledem bleibt Berlin, das Ost- und Südosteuropa als sein exklusives Einflussgebiet betrachtet, außen vor. Es gelte, erklären Regierungsberater, einer „geostrategischen Drift“ der Drei-Meere-Initiative entgegenzuwirken und die EU „gegenüber externen Akteuren zu stärken“.

Die Drei-Meere-Initiative

Die Drei-Meere-Initiative (Three Seas Initiative) ist im Jahr 2015 von Polens Präsident Andrzej Duda und Kroatiens Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović lanciert worden und am 25./26. August 2016 im kroatischen Dubrovnik zu ihrem ersten Gipfel zusammengekommen. Es handelt sich um eine Plattform, der zwölf überwiegend östliche EU-Staaten angehören – vom Baltikum (Estland, Lettland, Litauen) über die Visegrad-Länder (Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn) und Österreich bis nach Slowenien und Kroatien bzw. Rumänien und Bulgarien. Ihren Namen bezieht sie daraus, dass ihre Mitglieder drei Meere verbinden: die Ostsee, das Mittelmeer und das Schwarze Meer. Ein zentrales Motiv bei der Gründung der Initiative ist gewesen, dass ein gutes Jahrzehnt nach der EU-Osterweiterung ein klares Ost-West-Wohlstandsgefälle fortbesteht; die zwölf Länder standen im Jahr 2018 – die Daten schließen Großbritannien noch ein – für 28 Prozent des EU-Territoriums und 22 Prozent der EU-Bevölkerung, aber lediglich für 10 Prozent des EU-Bruttoinlandsprodukts.[1] Hinzu kommt, dass heute – 30 Jahre nach dem Systemwechsel in Osteuropa – die Verkehrswege immer noch von Ost-West-Verbindungen dominiert werden; diese sind seit 1990 systematisch im Interesse der deutschen Industrie ausgebaut worden, die ihre Produktion zu guten Teilen in Länder mit niedrigen Löhnen im Osten des Kontinents verlegt hat.[2] Nord-Süd-Verbindungen, die den Aufbau von Wirtschaftsbeziehungen zwischen den östlichen Ländern begünstigen und Alternativen zur einseitigen ökonomischen Abhängigkeit vor allem von Deutschland bieten könnten, sind bis heute relativ schwach entwickelt. Die Drei-Meere-Initiative soll Abhilfe schaffen.

Das „Intermarium“

Ein maßgeblicher Anstoß zur Gründung der Drei-Meere-Initiative ist allerdings von außerhalb gekommen – aus den USA. Strategen dort diskutierten, als der Ukraine-Konflikt in den Jahren 2013 und 2014 eskalierte, ein altes außenpolitisches Konzept aus dem Polen der Zwischenkriegszeit – die Pläne des Staatsgründers Józef Piłsudski, die Länder Osteuropas vom Baltikum bis Jugoslawien bzw. Rumänien zu einem antisowjetischen bzw. antirussischen Staatengürtel zusammenzuschließen („Intermarium“).[3] Im November 2014 publizierte der Washingtoner Atlantic Council gemeinsam mit Central Europe Energy Partners (CEEP), einer Lobbyorganisation polnischer, litauischer und rumänischer Energieunternehmen, eine ausführliche Analyse, die unter dem Titel „Completing Europe“ die Schaffung eines „Nord-Süd-Korridors … von der Ostsee zur Adria und zum Schwarzen Meer“ unter die Lupe nahm.[4] Vor dem Hintergrund des anschwellenden Machtkampfs gegen Russland stellt sich die Analyse als Wiederaufnahme der alten Pläne zur Bildung eines Gürtels antirussisch ausgerichteter Staaten dar. Die Drei-Meere-Initiative weist in einer Selbstdarstellung explizit auf die auslösende Funktion des Washingtoner Papiers für ihre Gründung hin.[5] Für Polen spielen die Kontinuitäten zu Piłsudskis „Intermarium“-Plänen eine zusätzlich motivierende Rolle, zumal das Land – als größter und stärkster Staat des Zusammenschlusses – tendenziell auf eine gewisse Hegemonie hoffen kann. Das allerdings birgt für die Initiative Sprengstoff.

Gegen Russland

Washington hat die Drei-Meere-Initiative von Anfang an systematisch unterstützt. Ihrem zweiten Gipfel am 6./7. Juli 2017 in Warschau sicherte US-Präsident Donald Trump mit seiner persönlichen Teilnahme besondere Aufmerksamkeit. Im Februar 2020 sagte US-Außenminister Mike Pompeo auf der Münchner Sicherheitskonferenz der Initiative finanzielle US-Unterstützung von bis zu einer Milliarde US-Dollar zu.[6] Die Vereinigten Staaten profitieren beim Bemühen, einen antirussischen Staatengürtel zu formieren, nicht nur von der antirussischen Ausrichtung der Eliten diverser beteiligter Länder – insbesondere Polens und der baltischen Staaten -, sondern auch davon, dass die EU unter deutscher Führung die Interessen Ost- und Südosteuropas etwa in Sachen Infrastruktur nicht hinlänglich berücksichtigt hat. Weil Projekte wie die Via Carpathia, die die Häfen in Klaipeda (Litauen) und in Thessaloniki (Griechenland) verbinden soll, von Brüssel nicht genug unterstützt wurden, findet Washington eine Lücke, in die es mit der Drei-Meere-Initiative vorstoßen kann. Dabei handelt es ökonomisch durchaus eigennützig. So dringt die Trump-Administration parallel zum Ausbau der Verkehrs- auf den Ausbau auch der Energieinfrastruktur. Im Rahmen der Drei-Meere-Initiative soll beispielsweise eine Erdgaspipeline aus Litauen nach Polen gebaut werden: Im litauischen Hafen Klaipeda wird regelmäßig US-amerikanisches Flüssiggas antransportiert. Zudem sollen der Bau eines Flüssiggasterminals auf der kroatischen Insel Krk sowie einer Pipeline von dort aus nach Ungarn und in die Slowakei forciert werden.[7] Ziel ist es jeweils, russisches Erdgas aus dem Markt zu drängen und US-amerikanisches Flüssiggas abzusetzen, das teurer ist und deshalb politischer Verkaufsunterstützung bedarf.

Gegen China

Neben dem Machtkampf gegen Russland tragen die Vereinigten Staaten mittlerweile auch ihren Machtkampf gegen China in den Ländern der Drei-Meere-Initiative aus. Hintergrund ist, dass die Volksrepublik im Rahmen ihrer Neuen Seidenstraße (Belt and Road Initiative, BRI) immer enger mit den Ländern der Region kooperiert. Seit einem ersten Gipfeltreffen im April 2012 in Warschau hält Beijing regelmäßig Zusammenkünfte im „16+1“- bzw. – nach dem Beitritt Griechenlands – „17+1“-Format ab; einbezogen sind dabei die Länder der Drei-Meere-Initiative – außer Österreich – sowie die fünf Nicht-EU-Staaten Südosteuropas (Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro, Nordmazedonien, Albanien).[8] Washington ist bemüht, ihre Kooperation mit China zu sabotieren. Im August etwa reiste US-Außenminister Pompeo nach Slowenien, Österreich, Tschechien und Polen, um die dortigen Regierungen zum Verzicht auf die Nutzung von 5G-Technologie des chinesischen Konzerns Huawei zu nötigen. Jüngstes Beispiel ist der Konflikt um den Bau von zwei neuen Reaktoren im rumänischen Kernkraftwerk Cernavodă. Hatten die zuständigen rumänischen Stellen dazu zunächst eine Absichtserklärung mit der China General Nuclear Power Corporation (CGN) unterzeichnet, so zog Bukarest im vergangenen Herbst wegen massiver US-Pressalien seine Zustimmung zurück; am 9. Oktober unterzeichneten nun die Energieminister Rumäniens und der USA eine Vereinbarung, die den Bau der Reaktoren unter US-Leitung vorsieht.[9] In dem Machtkampf spielt Deutschland keine Rolle.

„Ein geopolitischer Faktor“

Dass dies den Ambitionen der deutschen Eliten diametral zuwiderläuft, zeigt eine Analyse, die die vom Kanzleramt finanzierte Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) bereits im März publizierte. Darin heißt es, die Drei-Meere-Initiative sei „zumindest potentiell … ein geopolitischer Faktor in Europa“.[10] Es sei vorteilhaft, wenn die Bundesrepublik der Initiative beitrete – nicht zuletzt, um „einer künftigen geostrategischen Drift des Zusammenschlusses entgegenzuwirken“. Es gehe darum, zukünftig „die EU strategisch und vor allem geoökonomisch gegenüber externen Akteuren zu stärken und keine neuen Abhängigkeiten durch Infrastrukturen entstehen zu lassen“.

[1] The Three Seas Initiative Summit: European Commission Investments in Connectivity Projects. European Commission, July 2018.

[2] S. dazu Ökonomisches Hinterland.

[3] George Friedman: Geopolitical Journey, Part 2: Borderlands. worldview.stratfor.com 03.06.2014.

[4] Completing Europe. From the North-South Corridor to Energy, Transportation, and Telecommunications Union. Washington 2014.

[5] Three Seas Story. 3seas.eu.

[6] US commits $1 billion dollars to develop Central European infrastructure. atlanticcouncil.org 15.02.2020.

[7] The Three Seas Initiative. Congressional Research Service. Washington, 12.05.2020.

[8] S. dazu Die Neue Seidenstraße (II) und Kampf um die Seidenstraße.

[9] USA drängen China aus rumänischem Atomkraft-Projekt. iwr.de 13.10.2020.

[10] Kai-Olaf Lang: Gleise, Pipelines, Autobahnen: Die neue Geopolitik der Infrastrukturen im östlichen Teil der EU. SWP-Aktuell Nr. 17. Berlin, März 2020.

Der Originalartikel kann hier besucht werden