Es geht jetzt nicht darum, um jeden Preis Arbeitsplätze zu schaffen. Wir sollten die Chance nutzen, um die Wirtschaft umzukrempeln.
Günther Moewes für die Online-Zeitung INFOsperber
Die derzeitige Reaktion von Politik und Unternehmen auf die Wirtschaftseinbrüche infolge der Pandemie lautet: «Wir müssen so viele Arbeitsplätze erhalten wie irgend möglich!» Ist das wirklich die richtige Reaktion? Sieht man einmal von den «grünen» Arbeitsplätzen im Bereich der unmittelbaren Erzeugung des Lebensbedarfs, bei der Produktion alternativer Energien und Antriebe sowie im Natur- und Landschaftsschutz ab, so heisst das praktisch: Wir wollen um jeden Preis weiter so viel Natur und Klima kaputt machen wie bisher.
Wäre es da nicht richtiger, die Coronakrise als einmalige Chance zu begreifen, den genau gegenteiligen Ansatz zu entwickeln und unter anderem zu fragen:
- Wie viel unnötiger Welthandel über grosse Entfernungen lässt sich durch regionale Autarkie und Verkürzung der Lieferwege einsparen?
- Wie viele Tagungen, Übernachtungen, Flug- und Bahnreisen lassen sich durch Videokonferenzen einsparen?
- Wie viele sinnlose Hin- und Rückfahrten zur Arbeitsstätte lassen sich durch Homeoffice einsparen? (Ein entsprechender Vorschlag von Arbeitsminister Heil stiess sofort auf heftigen Protest der Wirtschaft.)
- Wie viel Frieden liesse sich durch Diplomatie und Abrüstung erreichen statt durch Rüstung, Waffenkäufe und Nationen-Bashing?
Man müsste weiter fragen: Welche Urlaubsfernreisen und Kreuzfahrten sind tatsächlich ein Indiz für Wohlstand? Ist die jetzige Praxis wirklich vernünftig, bei der man zuerst die Agrar- und Textilwirtschaften ärmerer Länder durch subventionierte Exporte aus reichen Ländern zerstört, dann das eingenommene Geld unter anderem an betuchte Kreuzfahrer und Fernflieger reicher Länder verteilt? Die dann schliesslich einen kleinen Teil davon in den ärmeren Ländern wieder ausgeben und so deren ursprüngliche bescheidene Autarkie in Abhängigkeit vom Tourismus reicher Länder verwandeln. Was dann auch noch als Beitrag für deren Wiederaufbau gefeiert wird.
Man könnte auch fragen: Was macht glücklicher? Sich auf Erdbeeren im Juni und Weintrauben im Herbst zu freuen oder ganzjährig über solche aus Südafrika?
Natürlich gäbe das alles zu Recht einen Aufschrei aller Beschäftigten im Bereich von Autoproduktion, Reise-, Transport- und Übernachtungsunternehmen. Diesen Aufschrei könnte man sich ersparen, würde man die jetzt zur Krisenbewältigung herausgehauenen Billionen zuerst und direkt an alle betroffenen Nicht-mehr-Beschäftigten verteilen und nicht ohne jede Kontrolle und Gewinnbeteiligung an fossile Fluglinien und Autoindustrien sowie an Steuervermeidungskonzerne, die damit spekulieren oder verbotene Gifte in andere Länder exportieren.
Natürlich wäre das alles nur möglich im Zuge eines langfristigen Umbaus der gesamten Wirtschaft. Mit einer sukzessiv, aber total veränderten Verteilungs- und Beschäftigungspolitik. Und natürlich ist das nicht einfach. Denn die Kapitalseite wusste sehr genau, warum sie ihre Verflechtungen mit der Globalisierung so unumkehrbar festgezurrt hat. Doch nur mit einem solchen Totalumbau lassen sich künftige Klimakatastrophen, Flüchtlingswellen und Pandemien wirklich bremsen, wenn auch nicht mehr völlig aufhalten.
Eine solche Chance, wie sie die Natur jetzt mit ihrem Corona-Vorwarnreflex liefert, kommt so schnell nicht wieder.
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Obiger Text ist dem Buch von Günther Moewes entnommen (Zwischentitel von der Redaktion): «Arbeit ruiniert die Welt – Warum wir eine andere Wirtschaft brauchen», Nomen-Verlag, Frankfurt a.M.
In Deutschland bestellen für 12.00 Euro; in der Schweiz bestellen für 19.90 CHF. Das Buch enthält Kolumnen, die Günther Moewes in der «Frankfurter Rundschau» publizierte.
Aus dem Verlagsprospekt: «Wie viele Viren, Dürren, Hassmails, Fluten und Orkane muss es noch geben, bis die Unverantwortlichen begreifen, dass ihre Wirtschafts- und Arbeitsideologie die Ursache ist? Das Mantra grosser Teile von Politik und Wirtschaft sind Wachstum und Arbeitsplätze, egal ob nützlich oder schädlich. Und die «Thinktanks» der neuen reichen «Superklasse» wollen uns durch allerlei Theorien weismachen, dass ohne eine ungleiche Vermögensverteilung nicht das Überleben der Menschheit gesichert werden kann.»