Dann sollen sie uns doch festnehmen, wir sind die bösen Feministinnen.“ Singend und tanzend ziehen am 8. März 2020 Tausende Frauen durch die Straßen Quitos. An vielen Ort der ecuadorianischen Hauptstadt finden an diesem Tag Kundgebungen und Demonstrationen statt. Mitten in der Menge ist auch die indigene Radiomacherin Mariana Canelos und sammelt Eindrücke und Stimmen für ihren Podcast Remando.

Zu diesem Zeitpunkt ahnt niemand, dass es für lange Zeit die letzte große Demonstration werden würde. Nur einige wenige Infektionen mit dem Coronavirus sind damals in Ecuador bekannt. Aber die Ausbreitung verläuft rasant, bereits eine Woche später verhängt die Regierung eine Ausgangssperre.

Da ist Mariana längst zurück in Puyo, einer Kleinstadt im Amazonas. Und hier fühlt sie sich anfangs ziemlich sicher. „Wir hätten nie gedacht, dass das Virus uns erreichen würde“, sagt Mariana rückblickend. „Wir dachten, dass wir hier im Amazonas sicher seien und dass ein Virus aus dem fernen China es nie so weit schaffen würde.“

Rückzug in den Regenwald

Anfang April sind in Ecuador bereits Zehntausende Menschen an Covid-19 erkrankt. Das Gesundheitswesen kollabiert. Die Reaktion der in Städten lebenden Indigenas: Rückzug aufs Land. Auch Mariana bereitet alles vor für eine Reise in ihr Heimatdorf Sarayaku, dass tiefer im Regenwald liegt. „Die Idee war, mit meiner ganzen Familie nach Sarayaku zu gehen, um im Dschungel Zuflucht zu suchen“, erzählt Mariana. „Aber es war zu spät. Die Gemeinde, der Dorfvorsteher und die Schamanen hatten bereits den Zutritt verboten. Zu ihrer eigenen Sicherheit konnten wir also nicht dort hin und so sind wir in der Stadt, in Puyo geblieben.“

Von diesem Tag an verbringt Mariana viel Zeit mit Messenger-Diensten und Sozialen Medien. Ähnlich läuft es in Sarayaku. Dort gibt es zwar keinen Handyempfang, aber einen satellitengestützten Internetzugang. Auf diesem Weg wird anfangs auch die Notversorgung koordiniert. Und Mariana produziert mit ihrer Kollegin Jiyunt einige weitere Podcast-Episoden von Remando. Das Programm richtet sich an die Frauen in Ecuadors Amazonasgemeinden und beschäftigt sich an diesen Tagen vor allem mit der Frage, wie sich die Bewohner*innen des Regenwalds effektiv vor Corona schützen können. Und dabei ging es nicht nur um Masken und Abstandsregeln. „Wir sprachen in der Sendung auch über traditionelle Medizin, zum Beispiel Wayusa-Tee und viele weitere Heilpflanzen, die unseren Geist und unsere Abwehrkräfte stärken“, beschreibt Mariana ihren interkulturellen Ansatz. Zugleich informieren sich die Radiomacherinnen auch bei den örtlichen Gesundheitsämtern und berichten dann, wie viele Menschen in den Gemeinden der Region erkrankt sind. „Unsere Hörerinnenschaft wuchs schnell. Doch dann steckten sich auch Menschen in der Gemeinde Unión Base, von wo aus wir unsere Sendung produzierten, mit dem Virus an. Und so musste das Radiostudio schließen und wir mit Remando aufhören.“

S.O.S. aus Sarayaku

Mitte Juni werden trotz aller Vorsichtsmaßnahmen auch in Sarayaku, mitten im ecuadorianischen Regenwald, erste Menschen positiv auf Covid-19 getestet. Doch gerade als es darum geht, Hilfe zu koordinieren, setzen heftige Regenfälle und Hochwasser der indigenen Gemeinde schwer zu. „Es gab viele Schwierigkeiten mit dem Internet, weil wegen dem vielen Regen die Antennen herunterfielen“, sagt Mariana, die trotz allem versucht, von Puyo aus in Kontakt zu bleiben und zu helfen. „In der Stadt forderten wir jeden Tag Unterstützung wegen des Hochwassers und dem Covid-Notstand. Nach und nach reagierte das Gesundheitsministerium.“ Und auch Sarayaku und der ecuadorianischen Konföderation der Amazonas-Indigenas (Confenaie) gelingt es, ihre Selbstwerwaltung zu reorganisieren. Diese Art der Hilfe ermöglicht es, dass die Familien wieder angemessen versorgt werden können.

Die Geschichte Sarayakus ist kein Einzelfall. Der eingeschränkte Zugang zu Informationen und Kommunikationsmitteln ist im Amazonas ein generelles Problem. Im ecuatorianischen Regenwald gibt es nur 119 lokale TV- und Radiosender. Viele abgelegene Gemeinden haben jedoch keinen Zugang zu elektronischen Medien. Die ländliche Nutzung des Internets liegt landesweit bei gerade mal 38 Prozent, im ländlichen Amazonasgebiet ist diese Quote laut einem Bericht der Regulierungsbehörde Arcotel mit 3 Prozent noch viel niedriger. Das kann in Corona-Zeiten schnell zu Versorgungskrisen führen…

 

 

 

 

 

Funkgeräte als wichtigstes Kommunikationsmittel –
auch in Zeiten der Pandemie (Foto: Rafael Diniz)

Funkgeräte zur Covid-Kontrolle

Tausende Kilometer östlich von Sarayaku, im brasilianischen Bundestaat Pará tüftelte die Umweltorganisation ISA schon lange vor Corona an Wegen, im dünn besiedelten Regenwald digital besser kommunizieren zu können. Francinaldo Lima, den hier alle nur Naldo nennen, sucht als Berater dutzender indigener Gemeinden dabei nach Technologien, die für alle Bewohner*innen zugänglich sind. „Wir arbeiten vor allem mit Bevölkerungsgruppen, die im Schutzgebiet Terra do Meio nachhaltig den Wald bewirtschaften. Extrativistas werden sie in Brasilien genannt.“

„In der Region sind CB-Funkgeräte das wichtigste Kommunikationsmittel. Die Menschen nutzen Amateurfunk-Frequenzen“, erzählt Naldo. Im vergangenen Jahr haben Naldo und seine Kolleg*innen außerdem drei Internetzugänge geschaffen. Auf diese Weise sei ein Kommunikationsnetzwerk entstanden, dass Amateurfunk und Internet umfasst. „Und dafür entwickeln wir auch bestimmte Inhalte, um über Covid-19 zu informieren, über Schutzmaßnahmen und alles was nötig ist, um eine verheerende Ausbreitung in den Gemeinden zu verhindern.“

Hermes – ein Internet der Lüfte

War es per CB-Funk früher nur möglich, abwechselnd Sprachnachrichten auszutauschen, hat ISA in Kooperation mit Medienaktivisten der mexikanischen NGO Rhizomatica im vergangenen Jahr eine wichtige Neuerung entwickelt. Sie heißt Hermes. Auf der Trägerfrequenz der CB-Funkgeräte können Dank der Hermes-Technologie auf Kurzwelle nun auch digitale Daten ausgetauscht werden: Fotos, Audios, Dokumente. Zwar seien die Übertragungsraten geringer als in WiFi-Netzen, dafür ist die Reichweite von mehreren hundert Kilometern unschlagbar, erklärt Hermes-Entwickler Rafael Diniz. Und die robusten, solarbetriebenen Geräte seien einfach ein verlässlicher Kommunikationskanal.

Ursprünglich wurde Hermes genutzt, um innerhalb der Schutzgebiete abhörsicher Nachrichten auszutauschen, zum Beispiel über das Eindringen illegaler Goldsucher oder Holzfäller. Außerdem wird per Hermes auch der Verkauf von forstwirtschaftlichen Erzeugnissen aus den Gemeinden koordiniert. Nach Ausbruch der Corona-Krise fand Hermes schnell auch Verwendung, um eine kontaktarme Versorgung zu organisieren. „Ich denke Hermes ist ein perfektes Kommunikationsmittel, gerade in Covid-Zeiten“, sagt Rafael. „Es wird hier bereits gut genutzt und bietet zudem ein großes Potential für alle Situationen, in denen bestehende Kommunikationssysteme unterbrochen sind. Es ist der Plan B, um unabhängig von anderer Infrastruktur zu arbeiten.“

Isoliert aber in Kontakt, so lang wie eben nötig

Im Bundesstaat Pará haben sich bisher mehr als 150.000 Menschen mit dem Coronavirus infiziert. In der Amazonas-Region sind inzwischen 700.000 Fälle bekannt. Ein Ende der Pandemie ist noch längst nicht in Sicht. Im Schutzgebiet Terra do Meio läuft Hermes deshalb im Dauerbetrieb. Naldo von ISA nutzt die Technologie neuerdings auch, um sein wöchentliches Info-Podcast Audio Beiradão an alle Gemeinden zu senden, die keinen Internetempfang haben.

„In den Sendungen empfehlen wir den Menschen, in ihren Gemeinden zu bleiben. Zugleich haben wir nach Mitteln gesucht, damit die Gemeinden tatsächlich im Wald, in ihren Territorien bleiben und angemessen leben können,“ erklärt Naldo seinen Ansatz, um die Gefahren massiver Ansteckungen einzudämmen. So koordiniert er Woche um Woche den Versand von Nahrungsmitteln und den Auf- und Abbau ambulanter Gesundheitszentren. „Und wir halten auch die Auslieferung von Agrarerzeugnissen in den Gemeinden aufrecht, damit niemand gezwungen ist, in die Städte zu gehen. Hermes hilft uns dabei, mit den indigenen Gemeinden zu kommunizieren und die Quarantäne zu garantieren, so lange wie eben nötig.“

Zu diesem Beitrag gibt es auch einen onda-podcast, den Ihr hier hören könnt.

Der Originalartikel kann hier besucht werden