US-Regierung nötigt deutsche Firmen mit Drohgesprächen zum Ausstieg bei Nord Stream 2. Der Konflikt um Russlands Rohstoffe reicht bis in die 1960er Jahre zurück.

Die Trump-Administration droht Firmen aus Deutschland und der EU in Einzelgesprächen mit Konsequenzen, sollten sie sich nicht aus dem Bau von Nord Stream 2 zurückziehen. Wie berichtet wird, haben bis zu zwölf Vertreter von drei US-Ministerien separate Videokonferenzen mit europäischen Unternehmen geführt, um sie zum Ausstieg aus Nord Stream 2 zu nötigen. Von den jüngsten US-Sanktionen gegen die Erdgaspipeline betroffen sind 120 Unternehmen aus zwölf Ländern Europas. Bleibt Nord Stream 2 eine Bauruine, beliefen sich die unmittelbaren Schäden auf bis zu zwölf Milliarden Euro. Deutsche Wirtschaftsverbände fordern von Berlin und Brüssel scharfe Gegenmaßnahmen; ansonsten könnten die US-Pressalien zu einem – jederzeit leicht wiederholbaren – „gefährlichen Präzedenzfall“ werden, heißt es. Wirtschaftsvertreter erinnern daran, dass die USA die Energiebeziehungen zwischen der Bundesrepublik und Russland bzw. der Sowjetunion bereits in den 1960er, dann auch in den 1980er Jahren torpedierten, letztlich aber immer einlenken mussten.

Nur eine Frage der Zeit

Der erbitterte Kampf um die Fertigstellung der Erdgaspipeline Nord Stream 2 hat sich in den vergangenen Tagen weiter zugespitzt. Zuerst hatte US-Außenminister Mike Pompeo am 15. Juli mitgeteilt, Washington habe eine Ausnahmeregelung zu einem Sanktionsgesetz aus dem Jahr 2017 (Countering America’s Adversaries Through Sanctions Act, CAATSA) aufgehoben und könne nun jederzeit konkrete Zwangsmaßnahmen gegen am Bau der Gasleitung beteiligte Personen und Unternehmen verhängen.[1] Anschließend hat am Montag das US-Repräsentantenhaus das Gesetz PEESCA (Protecting Europe’s Energy Security Clarification Act) in Form eines Zusatzes zum Gesetz über den US-Militärhaushalt (National Defense Authorization Act, NDAA) verabschiedet. Es umfasst gleichfalls Sanktionen gegen Nord Stream 2.[2] Sobald letzte Differenzen zwischen Repräsentantenhaus und Senat über den NDAA ausgeräumt sind und Präsident Donald Trump den NDAA unterzeichnet hat, treten die PEESCA-Zwangsmaßnahmen in Kraft. Zudem haben, wie am gestrigen Sonntag berichtet wurde, zuletzt bis zu zwölf Vertreter von drei US-Ministerien sich in Einzelgesprächen an europäische Unternehmen gewandt und ihnen mit Konsequenzen gedroht, sollten sie nicht aus Nord Stream 2 aussteigen.[3] Das Auswärtige Amt bestätigt, es habe „Kenntnis“ von den Gesprächen.

„Wirksam dagegenhalten“

Die deutsche Wirtschaft wiederum hat in der vergangenen Woche erneut ihren Druck auf die Bundesregierung und die EU verstärkt, sich den Sanktionen entschlossen entgegenzustellen. Von ihnen unmittelbar betroffen wären nach Angaben des Ost-Ausschuss – Osteuropavereins der Deutschen Wirtschaft (OAOEV) gut 120 Unternehmen aus zwölf Ländern Europas, darunter fünf bedeutende Energiekonzerne, möglicherweise auch Banken. Die Schäden, die entstünden, sollte Nord Stream 2 eine riesige Bauruine bleiben, beliefen sich auf bis zu zwölf Milliarden Euro. Man habe bisher „immer vor harten Gegenmaßnahmen in Richtung USA gewarnt, weil wir in keine Sanktionsspirale hineinkommen wollen“, erklärte OAOEV-Geschäftsführer Michael Harms Mitte vergangener Woche: „Nun sehen wir das etwas anders.“[4] Dass die US-Botschaft in Berlin inzwischen sogar begonnen habe, an Nord Stream 2 beteiligte Unternehmen einzeln zu bedrohen, sei „befremdlich“. Der OAOEV arbeite zur Zeit an Vorschlägen, die „von klaren diplomatischen Äußerungen“ über „Entschädigungen hiesiger Firmen bis hin zu defensiven Gegensaktionen“ reichten. Auch die EU müsse „wirksam dagegenhalten“, fordert Harms: Sonst könne ein „gefährliche[r] Präzedenzfall“ entstehen.

US-Sanktionen (I)

Während weiterhin unklar ist, wie Berlin und Brüssel auf die Sanktionen zu reagieren gedenken, weist der OAOEV darauf hin, dass US-Zwangsmaßnahmen die Geschichte der deutsch-russischen bzw. deutsch-sowjetischen Energiebeziehungen von Anfang an begleitet haben. Erste Kontakte in den sowjetischen Energiesektor hatten bundesdeutsche Unternehmen 1958 aufgenommen. Damals wurden Pipelinerohre, die bis dahin nicht an realsozialistische Staaten verkauft werden durften, von der CoCom-Embargoliste entfernt; unmittelbar darauf begannen bundesdeutsche Konzerne, Röhren in die Sowjetunion zu liefern. Um die Ausweitung der Energiebeziehungen zu verhindern, setzten die USA am 21. November 1962 einen Beschluss des NATO-Rats durch, den Verkauf der Pipelinerohre erneut für unerwünscht zu erklären. 1966 gelang es der Bundesregierung freilich, den Beschluss aufheben zu lassen. Bald darauf begannen die Verhandlungen über das erste große „Erdgas-Röhren-Geschäft“; es sah die Lieferung sowjetischen Erdgases in die Bundesrepublik vor – und zwar durch Pipelines, die, vorfinanziert durch bundesdeutsche Banken, von bundesdeutschen Unternehmen geliefert werden sollten. Am 1. Februar 1970 wurde der entsprechende Vertrag unterzeichnet; rasch begann die Abwicklung des Geschäfts.[5]

US-Sanktionen (II)

Erneut von Washington torpediert wurde zehn Jahre später Moskaus Angebot, unlängst entdeckte gewaltige Erdgasvorkommen auf der Jamal-Halbinsel im Nordwesten Sibiriens per Pipeline in die Bundesrepublik zu leiten. Bonn hatte – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der beiden Ölkrisen von 1973 und 1979 – erhebliches Interesse daran. Ab 1980 verhandelten die Bundesregierung und die sowjetische Staatsführung intensiv über das Vorhaben. Die Vereinigten Staaten setzten zunächst alles daran, seine Realisierung zu verhindern. Zum einen untersagten sie den Export aller für den Bau von Pipelines benötigten Produkte in die Sowjetunion, sofern die Herstellung dieser Produkte auf US-Lizenzen basierte. Bei Zuwiderhandlung wurden harsche Strafen auf dem US-Markt in Aussicht gestellt. Damit hatten die Vereinigten Staaten erstmals „ihre Embargovorschriften exterritorial auf die übrigen Verbündeten ausgedehnt“, heißt es in einer Untersuchung über das bundesdeutsche Ostgeschäft.[6] Gleichzeitig boten die USA an, ihrerseits den Energiebedarf ihrer westeuropäischen Verbündeten zu decken. So schlugen sie etwa vor, wie der OAOEV berichtet, „Erdgas aus Alaska zu verflüssigen“ und es „mit Hilfe von Unterseetankern nach Europa zu transportieren“.[7]

Die Bundesrepublik setzt sich durch

Ungeachtet des harten Drucks aus Washington unterzeichneten bundesdeutsche und sowjetische Unternehmen am 20. November 1981 schließlich einen Vertrag über das neue Erdgas-Röhren-Geschäft, das der Bundesrepublik große Lieferungen von der nordwestsibirischen Jamal-Halbinsel verhieß. Anschließend eskalierte der Konflikt. Nach erbitterten Auseinandersetzungen, die unter anderem die Verhängung von US-Sanktionen gegen Firmen aus mehreren Ländern Westeuropas umfassten, gelang es Bonn schließlich, sich durchzusetzen: Am 13. November 1982 hoben die Vereinigten Staaten ihre Sanktionen wieder auf. Aus Sicht des OAOEV war für Bonns Erfolg wohl entscheidend, dass einerseits die bundesdeutsche Wirtschaft den Konfrontationskurs der Bundesregierung unterstützte, dass diese andererseits auch die Rückendeckung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) hatte – und dass es gelang, einflussreiche US-Konzerne gegen die eigene Regierung zu mobilisieren, weil diese ihrerseits starke, allerdings von den US-Sanktionen blockierte Geschäftsinteressen verfolgten.[8] Die Bundesrepublik hatte sich damit schon zum zweiten Mal nach ihrem Erfolg in den 1960er Jahren gegen die Vereinigten Staaten durchgesetzt. Der dritte Machtkampf um die deutsch-russischen Energiebeziehungen dauert an.

[1] S. dazu Transatlantische Konflikte (III).

[2] U.S. House Approves More Sanctions Related To Nord Stream 2. rferl.org 21.07.2020.

[3] Daniel Wetzel: USA drohen deutschen Auftragnehmern von Nord Stream 2. welt.de 26.07.2020.

[4] Ost-Ausschuss für Maßnahmen gegen Nord-Stream 2-Sanktionsdrohungen. hasepost.de 22.07.2020.

[5], [6] Sven Jüngerkes: Diplomaten der Wirtschaft. Die Geschichte des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft. Osnabrück 2012.

[7], [8] 50 Jahre Röhren gegen Gas: Deutsch-russisches Jahrhundertgeschäft und deutsch-amerikanischer Wirtschaftskrimi. Ost-Ausschuss – Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft e.V. Jahrbuch 2020. S. 20-36

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