Ein im EU-Ausland populärer, Berlin gegenüber kritischer Film kann in deutschen Kinos nicht gezeigt werden.
Ein im europäischen Ausland populärer, der Bundesregierung gegenüber kritischer Film kann in den Programmkinos der Bundesrepublik nicht gezeigt werden. Der Film „Adults in the Room“ des mehrfachen Oscarpreisträgers Costa-Gavras, der die Auseinandersetzungen um die Griechenlandkrise im Jahr 2015 schildert, ist in mehreren EU-Staaten im Kino zu sehen und ruft etwa in Italien ein positives Echo hervor, ist aber in Deutschland von keinem Filmverleih in das Programm aufgenommen worden. Zur Begründung wird intern vorgebracht, die Thematik sei nicht aktuell. Tatsächlich drehen sich die gegenwärtigen Auseinandersetzungen um die EU-Maßnahmen im Kampf gegen die Eurokrise um einen sehr ähnlichen politischen Kern. Zudem hat das deutsche Spardiktat, dessen Durchsetzung der Film beschreibt, in Griechenland gravierende Folgen hervorgebracht – unter anderem eine hohe Arbeitslosigkeit und krasse Armut, die das Land bis heute zeichnen. Berichten zufolge hat ein hochrangiger deutscher EU-Funktionär versucht, die Entstehung des Films zu verhindern.
Ein Treffen in Paris
Führende Funktionsträger der Bundesrepublik haben sich persönlich darum bemüht, die kritische filmische Aufarbeitung des deutschen Vorgehens gegen Griechenland während der Eurokrise zu verhindern. Griechische Medien berichteten im Februar dieses Jahres über ein Treffen zwischen dem renommierten griechischen Regisseur Costa-Gavras und dem geschäftsführenden Direktor des Euro-Rettungsschirms EFSF, Klaus Regling.[1] Demnach soll der EFSF-Chef bei dem Abendessen in Paris, um das Regling den zweifachen Oscarpreisträger gebeten hatte, darauf hingearbeitet haben, diesen von seinem aktuellen, 2017 angekündigten Filmprojekt „Adults in the Room“ abzuhalten. Bei der filmischen Aufarbeitung der Auseinandersetzungen zwischen Berlin und Athen im Jahr 2015 stützte sich Costa-Gavras auf ein Buch des damaligen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis, in dem es um Eurogruppentreffen ging, sowie auf Audiomitschnitte der Treffen, die Varoufakis, Gegenspieler von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, heimlich aufgenommen hatte. Laut Angaben des Regisseurs, der durch Politthriller wie „Z“ oder „Der unsichtbare Aufstand“ weltberühmt wurde, habe Regling ihm erklärt, er solle die Verfilmung unterlassen, da die Darstellung der Ereignisse durch Varoufakis weitgehend fehlerhaft sei.[2] Darauf habe Costa-Gavras entgegnet, er habe die Angaben aus Varoufakis‘ Buch mit den Audioaufzeichnungen der Eurogruppentreffen vergleichen und auf ihre Stichhaltigkeit überprüfen können. Nach der Veröffentlichung der Tonaufnahmen durch Varoufakis hat Regling zudem sein Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, dadurch sei die „Privatsphäre“ der betroffenen EU-Funktionsträger verletzt worden.
Schäubles Spardiktat
In dem dokumentarischen Politfilm, der im August 2019 beim Filmfestival in Venedig seine Premiere feierte, wird der Verhandlungsmarathon zwischen der Eurogruppe inklusive des dominanten deutschen Finanzministers Schäuble und der im Januar 2015 ins Amt gewählten griechischen Linksregierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras aufgearbeitet. Tsipras‘ linkssozialdemokratische Syriza hatte die Wahlen im ökonomisch verwüsteten Griechenland mit dem Versprechen gewonnen, das ruinöse deutsche Spardiktat zu beenden, das insbesondere Schäuble in einer Abfolge von „Sparpaketen“ Athen oktroyiert hatte; die Diktate hatten zu einem Einbruch des Bruttoinlandsprodukts von rund einem Drittel und zu einer Explosion von Arbeitslosigkeit und Elend geführt. Im Verlauf des Verhandlungsmarathons von 2015, der von griechischer Seite vom damaligen Finanzminister Varoufakis geführt wurde, wurden sämtliche Syriza-Kompromissvorschläge zur Lockerung des deutschen Spardiktats von Schäuble gezielt sabotiert, um an der damaligen Athener Linksregierung ein abschreckendes Exempel zu statuieren. Syriza musste im Sommer 2015, von einem von Schäuble in den Raum gestellten Ausschluss aus der Eurozone mit katastrophalen Folgen bedroht, schließlich sogar eine erniedrigende Verschärfung des deutschen Austeritätsregimes hinnehmen. Damit wurde die angestebte Linkswende in Griechenland vereitelt.
Ehrenpreis in Venedig
Der Film darüber, anlässlich dessen Erstaufführung Costa-Gavras den Ehrenpreis der Filmfestspiele von Venedig erhielt, fand in Italien eine sehr positive Aufnahme. In dem krisengeplagten Land, das sich ebenfalls in wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen mit Berlin befindet, habe die Presse „Adults in the Room“ „am Ende beklatscht“, was angesichts der Folgen der Austeritätspolitik in Italien „zu erwarten“ gewesen sei, hieß es in einem deutschen Medienbericht.[3] Der Film wird in Griechenland, Spanien, Frankreich, Belgien, Portugal, Australien und Argentinien in Kinos ausgestrahlt, während sich in Schweden ein Streamingdienst die Rechte gesichert hat.[4] In der Bundesrepublik wird das aktuelle Werk des weltbekannten Regisseurs hingegen weitgehend totgeschwiegen und mit einem informellen Boykott belegt – dies, obwohl mit Ulrich Tukur einer der bekanntesten deutschen Schauspieler die Rolle von Finanzminister Schäuble spielt. Kein einziger Filmverleih in der Bundesrepublik hat sich bereit erklärt, das Werk des mehrfachen Oscarpreisträgers, das sich kritisch mit dem deutschen Hegemonialstreben in Europa auseinandersetzt, in sein Programm aufzunehmen.
„Rückhaltlos subjektiv“
In Blogbeiträgen der deutschen Griechenlandsolidarität hieß es dazu, Brancheninsider hätten erklärt, das Thema sei in der Bundesrepublik bereits vergessen und finde „in Deutschland kein Interesse mehr“. Diese Haltung sei angesichts der aktuellen Auseinandersetzungen um Konjunkturmaßnahmen im Kampf gegen die Coronakrise zwischen Deutschland auf der einen sowie Italien und Spanien auf der anderen Seite freilich als eine bloße Ausrede einzuordnen. Es stelle sich eher die Frage, „ob den Filmverleihern deutlich gemacht wurde, dass bestimmte mächtige Personen“ sich gegen eine Ausstrahlung des Films in deutschen Kinos ausgesprochen hätten. Tatsächlich hatte ja bereits der deutsche EFSF-Direktor Regling Costa-Gavras zum Verzicht auf den Film zu bewegen versucht. Der auf heimlich aufgenommenen Tonbandaufnahmen basierende Film, der keine deutsche Synchronisation erfuhr und nicht einmal einen deutschsprachigen Wikipedia-Eintrag hat, wurde in einer der wenigen deutschen Rezensionen als „rückhaltlos subjektiv“ bezeichnet.[5] Deutsche Leitmedien sprachen anlässlich der Erstaufführung des Films abwertend von „Volkshochschulfernsehen“.[6]
Die Folgen der Rosskur
Griechenland hat sich von der drakonischen Austeritätspolitik, die dem geschundenen Land von Berlin oktroyiert wurde, nie erholt. Sein Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist von 349 Milliarden US-Dollar 2008 auf 277 Milliarden im Krisenjahr 2013 eingebrochen. Ab 2016 setzte eine graduelle Erholung ein, in deren Verlauf das griechische BIP auf 323 Milliarden stieg, um laut jüngsten Prognosen im aktuellen Krisenjahr abermals zu schrumpfen – um voraussichtlich 9,7 Prozent.[7] Griechenland verlor somit durch die Rosskur, die Schäuble verantwortet, rund 25 Prozent seiner Wirtschaftsleistung. Der sozioökonomische Zusammenbruch wird besonders in der Krise der griechischen Erwerbsarbeit deutlich: Die Arbeitslosigkeit ist von 7,6 Prozent 2008 auf 27,4 Prozent 2013 explodiert, um dann – in Wechselwirkung mit zunehmender Arbeitsmigration, die die Zahl der Arbeitssuchenden reduziert hat – quälend langsam auf rund 18 Prozent im Jahr 2019 zu sinken. Im März 2020, zwölf Jahre nach Krisenausbruch und am Vorabend des durch die Covid-19-Pandemie ausgelösten neuen Krisenschubs, konnte sich Griechenland einen Monat lang über die niedrigste Arbeitslosenrate seit November 2010 freuen – 14,4 Prozent. Nun aber steigt die Erwerbslosigkeit in Griechenland wieder rasant an. Laut Prognosen der EU-Kommission dürfte sie auf 19,9 Prozent in die Höhe schnellen.
Streit um erneute Auflagen
Angesichts der Erfahrungen mit dem deutschen Austeritätsregime kündigte der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis Anfang Juli an, im Rahmen des in Vorbereitung befindlichen EU Recovery Fund keine neuen Austeritätsauflagen zu akzeptieren.[8] Griechenland sei „erwachsen geworden“ und werde seine „eigenen Reformen umsetzen“, kündigte der Politiker der konservativen Nea Dimokratia in einem Interview an. Die regulär anstehende halbjährliche Überprüfung durch die EU-Kommission genüge; es gebe keinen Bedarf an zusätzlichen Auflagen oder Kontrollmaßnahmen. Man verfolge ohnehin eine „aggressive Reformagenda“. In der EU toben derzeit Auseinandersetzungen um Umfang und Ausgestaltung des Recovery Fund, eines Konjunkturprogramms, das die EU-Kommission Ende Mai vorgeschlagen hat.[9] Demnach sollen rund 750 Milliarden Euro dazu aufgewendet werden, die Folgen des gegenwärtigen Krisenschubs abzufedern, wobei 500 Milliarden als direkte Zuschüsse an Krisenländer ausgezahlt werden sollen, 250 Millarden hingegen als Kredite. Vor allem die von der Pandemie am schwersten betroffenen Länder Südeuropas sollen von den Hilfen profitieren. Berlin arbeitet daran, diese Konjunkturhilfen abermals an neoliberale Vorgaben zu koppeln, um die Souveränität der betroffenen Staaten auszuhöhlen. Dies lehnt nicht nur Griechenland ab.
[1] Η εύλογη λύπη του κ. Ρέγκλιγκ. mera25.gr 19.02.2020.
[2] Ehemaliger Merkel-Berater und höchster EU-Beamter zum Regisseur von „Adults in the Room“: „Machen Sie diesen Film nicht!“ diem25.056 20.02.2020.
[3] Andreas Busche: Clownshorden in Gotham City. tagesspiegel.de 31.08.2019.
[4] Wer hat Angst vor Yanis Varoufakis? griechenlandsoli.com 05.07.2020.
[5] Björn Becher: Adults in the Room. filmstarts.de.
[6] Dietmar Dath: Geh mir weg mit deiner Politik. blogs.faz.net 02.09.2019.
[7] Greek unemployment falls to 14.4 pct in March, lowest since November 2010. ekathimerini.com 11.06.2020.
[8] Griechenland lehnt strikte Auflagen für EU-Coronahilfen ab. stol.it 05.07.2020.
[9] S. dazu Der Preis der Integration.