PRO ASYL kritisiert: Deutschland verhindert Familienzusammenführung trotz katastrophaler Konsequenzen
Das Recht auf Familienleben genießt nach dem Grundgesetz einen hohen Rang. In der Realität ist dieses Grundrecht jedoch für Schutzberechtigte und Flüchtlinge in Deutschland derzeit faktisch aufgehoben: Infolge der Maßnahmen der Bundesregierung zur Eindämmung des Corona-Virus ist der Familiennachzug von Angehörigen zu anerkannten Schutzberechtigten in Deutschland komplett zum Erliegen gekommen. Es werden keine Anträge mehr aufgenommen, und selbst Personen, die schon ein Visum erhalten haben, können nicht mehr zu ihren Angehörigen nach Deutschland einreisen.
»Die Corona-Pandemie darf nicht dazu führen, dass der grund- und menschenrechtlich verbriefte Anspruch, endlich mit der Familie wieder vereint zu werden, Geflüchteten verwehrt bleibt«, so Bellinda Bartolucci, Leiterin der Abteilung Rechtspolitik von PRO ASYL. Die Angehörigen von anerkannten Schutzberechtigten überleben oft unter schwierigsten Bedingungen, ohne jegliche Schutzmaßnahmen und ohne ärztliche Behandlung als intern Vertriebene in ihren Herkunftsländern oder in Flüchtlingslagern der Nachbarländer (siehe Corona: UN-Hochkommissar besorgt über Millionen Flüchtlinge). Die hier lebenden Anerkannten verzweifeln an der andauernden Familientrennung.
PRO ASYL fordert die Bundesrepublik auf, alle Maßnahmen zu ergreifen, dass das Grundrecht auf den Schutz der Familie auch unter Einbezug aller Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Epidemie weiterhin garantiert und umgesetzt wird. Für Betroffene, die nach unerträglichem Warten und oft unter Inkaufnahme hoher Kosten und Risiken für ihre Sicherheit überhaupt ein Visum erhalten haben, muss die Einreise gewährleistet werden. Auch Flugverbindungen müssen für diese Menschen organisiert werden. Daneben muss die Antragstellung praktisch ermöglicht werden und diese Anträge müssen schnell bearbeitet werden – notfalls im schriftlichen Verfahren. Visa müssen ihre Gültigkeit bis zur Familienzusammenführung behalten.
Das Problem ablaufender Visa
Werden Visa in einer bestimmten Zeit nicht genutzt, laufen sie ab. Laut Auswärtigem Amt braucht es dann einen neuen Antrag. Das ist gegenüber Angehörigen in Kriegs-und Krisengebieten sowie Transitstaaten unzumutbar und absurd und verursacht erneut Angst und Ungewissheit. PRO ASYL fordert mindestens, dass bereits erteilte Familiennachzugsvisa unbürokratisch verlängert werden.
Dass es auch einfacher geht, zeigt die Bundesregierung selbst: Drittstaatsangehörigen, die mit einem Schengen-Visum vor der Corona-Krise eingereist sind und nicht ausreisen können, wird ohne Kontakt mit der zuständigen Ausländerbehörde eine fiktive Verlängerung ihres Visums gewährt.
Besonders problematisch wird es, wenn es um den Elternnachzug zu minderjährigen Kindern geht, die in Deutschland bereits als Schutzberechtigte anerkannt sind. Werden sie im Laufe des monate- und jahrelangen Wartens volljährig, verlieren sie nach der bisherigen Praxis ihren Anspruch auf Familienzusammenführung – trotz der eindeutigen Klarstellung des EuGH, dass unverschuldete Verzögerungen in den Verfahren nicht den Betroffenen zum Nachteil gereichen können. Dem Vernehmen nach sollen nun diese Fälle über die sogenannte Härtefallklausel gelöst werden (§ 36 Abs. 2 AufenthG) – das würde jedoch bedeuten, dass der bestehende Rechtsanspruch der Betroffenen zu einem Gnadenrecht verkommt.
Einreise ermöglichen!
Die Bundesregierung hat es bereits bewerkstelligt, rund 240.000 deutsche Urlauber*innen aus der ganzen Welt in organisierten Charterflügen nach Hause zu holen. Bei ein paar tausend Angehörigen von hier Schutzberechtigten, bei denen es um die Umsetzung ihres Grund- und Menschenrechts auf Familienleben geht, sind ebenso dringende Handlungen zu erwarten.