Deutsche Medien intensivieren Negativkampagne gegen China und fordern Entschädigung für die Covid-19-Pandemie.

Deutsche Medien verstärken mit Blick auf den Ausbruch der Covid-19-Pandemie ihre Schuldzuweisungen an China und gehen zu offenen Entschädigungsforderungen über. Die Volksrepublik sei „Verursacher der Pandemie“, heißt es in Leitmedien immer wieder; die Springer-Presse dringt auf „Schadensersatz“ und titelt: „Was China uns jetzt schon schuldet“. Die Agitation hat begonnen, als sich abzeichnete, dass die Volksrepublik glimpflicher aus der Krise kommen könnte als die Mächte des Westens und ihren globalen Aufstieg voraussichtlich fortsetzen wird, während die transatlantischen Staaten durch eine völlig unzulängliche Vorbereitung auf die Pandemie dramatisch zurückgeworfen zu werden drohen. Die Forderungen werden von einer massiven antichinesischen Stimmungsmache begleitet; aktuell heißt es zum Beispiel, Beijing folge einer „Strategie des uneingeschränkten Krieges“, die von chinesischen Militärs bereits vor gut 20 Jahren ausformuliert worden sei. Die Aussage ist unzutreffend, ähnelt aber Behauptungen, mit denen schon seit Jahren gegen Russland Stimmung gemacht wird – basierend auf Lügen.

Das Scheitern der EU

Der Beginn der jüngsten Welle antichinesischer Stimmungsmache in Deutschland lässt sich in etwa auf Mitte März datieren. Damals wurden in der Bundesrepublik die ersten Covid-19-Todesfälle registriert; es zeichnete sich ab, dass strikte Einschränkungen im öffentlichen Leben, die bis dahin als ungeeignet für die „freie Welt“ abgewertet wurden, unvermeidlich waren. Darüber hinaus stieß das Berliner Exportverbot für medizinische Schutzausrüstung auf heftigen Protest, vor allem in Italien. Die Tatsache, dass Rom Hilfslieferungen aus China, aber aus keinem einzigen Staat der EU erhielt, legte den realen Charakter der angeblichen, in Berlin gern beschworenen „europäischen Solidarität“ schonungslos offen.[1] Zudem zeigte sich, dass die Volksrepublik das Covid-19-Virus eindämmen konnte, während die EU unfähig war, die Verschiebung des Zentrums der Pandemie nach Europa zu verhindern – nicht zuletzt aufgrund ihrer desaströsen Vorbereitung auf die absehbar herannahende Pandemie, die sich bis heute in einem gravierenden Mangel an medizinischer Schutzausrüstung offenbart. In Reaktion auf das eigene Scheitern – auch, um von ihm abzulenken – nahmen in der Öffentlichkeit Deutschlands und weiterer europäischer Staaten die Attacken gegen China zu. So hieß es etwa, die Volksrepublik sei – als Schauplatz des Ausbruchs der Pandemie – der eigentliche „Verursacher der Krise“.[2] Der Außenbeauftragter der EU, Josep Borrell, rief offiziell eine „Schlacht der Narrative“ gegen Beijing aus (german-foreign-policy.com berichtete [3]).

Beispiellose Forderungen

Die Behauptung, China sei „Verursacher der Krise“ bzw. „Verursacher der Pandemie“, wird seither regelmäßig wiederholt. Hinzu kommen mittlerweile sogar explizit Forderungen, China müsse für die Pandemie, für die es angeblich verantwortlich sei, Entschädigung leisten. „Muss China betroffenen Staaten Schadensersatz zahlen?“, hieß es schon am 30. März im Springer-Blatt „Bild“, das an diesem Mittwoch nachlegte: „Was China uns jetzt schon schuldet“.[4] Die Forderung ist dabei keineswegs auf die rechte Boulevardpresse beschränkt. „Es sollte das legitime Anliegen aller Länder sein, China in die Verantwortung zu nehmen“, hieß es kürzlich in dem alternativen Onlinemagazin „Telepolis“: Wer „so viel Unglück über die Welt bringt, hat die Folgen zu tragen. Die Rechnung geht an China.“[5] Die Forderung, ein Staat solle für eine Naturkatastrophe oder für eine Pandemie Entschädigung zahlen, ist nicht nur beispiellos; sie ist umso bemerkenswerter in einem Land, das bis heute jegliche Entschädigung sogar für diverse Massenverbrechen im Zweiten Weltkrieg sowie für koloniale Massaker verweigert, darunter zahlreiche Massaker in China.[6]

Verdächtigungen, doppelte Standards

Im Kontext der anschwellenden Vorwürfe gegen China greifen deutsche Leitmedien – auch solche, die sich als „Qualitätsmedien“ geben – auf Techniken klassischer Stimmungsmache zurück, etwa auf doppelte Standards oder auf unbelegte Verdächtigungen. So heißt es etwa vorwurfsvoll, während die Einbindung der Bundeswehr in den Kampf gegen die Covid-19-Pandemie [7] gelobt wird: „Die Bekämpfung der Corona-Ausbreitung bekam, als sie in China dann wirklich begann, etwas Militärisches.“[8] Eine führende Tageszeitung, die dem Drängen deutscher Wirtschaftsvertreter auf ein Ende des Shutdown trotz der damit verbundenen gesundheitlichen Risiken viel Verständnis entgegenbringt, wirft China vor, weil „den Unternehmen“ das Geld ausgehen könne, dürfe dort „die Gesundheit der Belegschaft den Betrieb … nicht behindern“.[9] Während es als selbstverständlich gilt, dass die westlichen Mächte in internationalen Organisationen großen Einfluss haben, heißt es über Bemühungen Chinas, seine Stellung entsprechend seiner neuen ökonomischen und politischen Stärke auszubauen: „Peking unterwandert [!] die Staatengemeinschaft“.[10] Suggestiv heißt es mit Blick auf zwei chinesische Erfolgsprojekte, die Neue Seidenstraße und den Konzern Huawei: „China baut Verbindungen zum Westen. Und die könnten Hintertüren haben.“[11] Unverändert sind die Vorwürfe gänzlich unbelegt, Huawei unterstütze chinesische Spionage; nachgewiesen ist nur, dass US-Geheimdienste schon vor Jahren den chinesischen Konzern umfassend ausforschten, ohne freilich auch nur den geringsten Hinweis auf Verbindungen zwischen Huawei und den chinesischen Geheimdiensten entdeckt zu haben (german-foreign-policy.com berichtete [12]). Das beständige Wiederholen unbewiesener Verdächtigungen ist ein typisches Kennzeichen von Fake News.

„Uneingeschränkter Krieg“

Einen gewissen Tiefpunkt erreicht die antichinesische Agitation zur Zeit mit der Behauptung, „die Kommunistische Partei Chinas“ habe nicht nur die aktuelle „Pandemie über die Welt“ gebracht; sie folge zudem gegenüber dem Westen einer „Strategie des uneingeschränkten Krieges“, die von zwei Offizieren „vor über zwanzig Jahren entwickelt“ worden sei.[13] Dies behauptet das Portal „Zeit Online“ in einer Serie mit dem Titel „Lu erklärt China“. Demnach rüste die Volksrepublik nicht nur konventionell-militärisch auf; laut der erwähnten Strategie, die in dem 1999 publizierten Buch „Unrestricted Warfare“ skizziert worden sei, könne sie „alles zur Waffe und alles zum Schlachtfeld“ machen: „Informationstechnologie, öffentliche Meinung, Handel, Finanzwesen … und immer so weiter“, beispielsweise auch einen „Vertrag über den Aufbau eines Mobilfunknetzes“. China nutze entsprechend der „Strategie des uneingeschränkten Krieges“ also faktisch alles nur Denkbare als Kampfinstrument gegen den Westen. Die „chinesische Denke“ von der „Kriegführung ohne Grenzen“ sei „eine tickende Zeitbombe für die internationalen Beziehungen“.

„Versuch, die Drohungen zu begreifen“

Tatsächlich handelt es sich bei dem Buch „Unrestricted Warfare“, das die Offiziere Qiao Liang und Wang Xiangsui verfasst haben, nicht um eine Kampfanleitung für die Volksrepublik, sondern um eine Analyse der globalen Machtkämpfe in den 1990er Jahren. Demnach werden Kriege heute allgemein nicht nur mit militärischen Mitteln geführt, sondern beispielsweise auch als Wirtschafts- oder Finanzkriege; die Autoren verweisen auf die Asienkrise des Jahres 1997, in der Spekulanten mit gezielten Manipulationen fremden Staaten schwerste Schäden zufügen konnten. Krieg werde heute mit diversen Mitteln geführt – von traditioneller psychologischer Kriegführung über die Nutzung von Medien gegen einen Feind bis hin zum gezielten Einsatz von Wirtschaftshilfe. Staaten – auch westliche – wendeten nicht mehr nur Waffengewalt an, „um den Feind zu zwingen, sich ihrem Willen zu unterwerfen“; sie „nutzen alle Mittel, darunter bewaffnete Gewalt wie auch Gewalt ohne Waffen, militärische und nichtmilitärische, tödliche und nichttödliche Mittel, um den Feind zu zwingen, ihren Interessen zu folgen“.[14] Mit Blick auf den analytischen Charakter der Schrift war etwa in The British Army Review zu lesen, es handle sich bei dem Buch nicht um ein „Manifest, den Westen anzugreifen“, sondern um einen „Versuch von Offizieren in einem aufstrebenden Militär, die Drohungen zu begreifen, denen sie gegenüberstehen“.[15]

Die Doktrin, die nicht existiert

Die verzerrte Darstellung von „Unrestricted Warfare“, die China als hochaggressive, hinterhältige Macht zu porträtieren sucht, hat Vorläufer. Im Juli 2014 prägte der US-Russlandspezialist Mark Galeotti mit ähnlicher Stoßrichtung das Schlagwort „Gerassimow-Doktrin“. Demnach habe der russische Generalstabschef Waleri Gerassimow Anfang 2013 in einer Rede einen Plan entwickelt, wie man einen Feind in einem „hybriden Krieg“ bekämpfen könne – durch die Beeinflussung der gegnerischen Öffentlichkeit mit Hilfe sozialer Medien und andere nichtmilitärische Mittel. Die angebliche „Gerassimow-Doktrin“ ist auch in deutschen Leitmedien immer wieder als Beweis für russische Aggressionspläne angeführt worden. Tatsächlich aber hatte Gerassimow in seiner Rede nur westliche Einflussoperationen in den Jahren vor 2013 analytisch beschrieben, ohne Ähnliches für Russlands Vorgehen zu fordern (german-foreign-policy.com berichtete [16]). In Fachkreisen spöttisch belächelt, hat sich Galeotti inzwischen öffentlich von der angeblichen „Gerassimow-Doktrin“ distanziert: Er sei „der erste“ gewesen, bekannte er in der Fachzeitschrift Foreign Policy, „der über Russlands berüchtigte High-Tech-Militärstrategie geschrieben hat“; es gebe mit ihr nur „ein kleines Problem: Sie existiert nicht.“[17]

Wie man Länder stigmatisiert

Dennoch wird die erfundene Doktrin nicht nur bis heute gegen Moskau in Stellung gebracht, so etwa diese Woche in der New York Times.[18] Sie hat vor allem auch dazu beigetragen, im Westen ein negatives Russlandbild zu festigen. Ähnliches steht nun womöglich mit „Unrestricted Warfare“, freilich wie bei der „Gerassimow-Doktrin“ unter kompletter Verkehrung des Inhalts, für das westliche Chinabild bevor.

Mehr zum Thema: Die Pandemie und die Mächte. Bitte beachten Sie auch unsere Video-Kolumne: Krieg gegen China.


[1] S. dazu Die Solidarität der EU und Die Solidarität der EU (II).
[2] Friederike Böge, Stephan Löwenstein, Michael Martens, Matthias Rüb: Vom Verursacher der Krise zum Retter in der Not? Frankfurter Allgemeine Zeitung 18.03.2020. Gloria Geyer: Wie sich China in der Corona-Krise Einfluss in Europa sichert. tagesspiegel.de 19.03.2020. S. dazu Annahme verweigert.
[3] The Coronavirus pandemic and the new world it is creating. eeas.europa.eu 23.03.2020. S. dazu Die neuen globalen Gesundheitsmächte.
[4] Muss China betroffenen Staaten Schadensersatz zahlen? bild.de 30.03.2020. Was China uns jetzt schon schuldet. bild.de 15.04.2020.
[5] Wieland Giebel: Für die Coronavirus-Pandemie ist die KP-China verantwortlich. heise.de/tp 06.04.2020.
[6] S. dazu Die Lehren der Geschichte (I) und Die Lehren der Geschichte (II).
[7] S. dazu Die Grenzen des Machbaren.
[8] Bildunterschrift, in: Franka Lu: Dieses Schlachtfeld hat keine Grenzen. zeit.de 13.04.2020.
[9] Hendrik Ankenbrand: Wie China seine Wirtschaft wieder hochfährt. Frankfurter Allgemeine Zeitung 08.04.2020.
[10] Marcel Grzanna: Peking unterwandert die Staatengemeinschaft. n-tv.de 12.04.2020.
[11] Bildunterschrift, in: Franka Lu: Dieses Schlachtfeld hat keine Grenzen. zeit.de 13.04.2020.
[12] S. dazu Spionage bei 5G (II).
[13] Franka Lu: Dieses Schlachtfeld hat keine Grenzen. zeit.de 13.04.2020.
[14] Qiao Liang, Wang Xiangsui: Unrestricted Warfare. Translated by the Foreign Broadcast Information Service (FBIS).
[15] John P. Sullivan: Unrestricted Warfare – Colonel Qiao Liang and Colonel Wang Xiangsui. In: The British Army Review. Nr. 147, Sommer 2009. S. 152-154.
[16] S. dazu Äußere und innere Feinde.
[17] Mark Galeotti: I’m sorry for Creating the „Gerasimov Doctrine“. foreignpolicy.com 05.03.2018.
[18] William J. Broad: Putin’s Long War Against American Science. nytimes.com 13.04.2020.

Der Originalartikel kann hier besucht werden