Dieses Werk, das sich mit einem nachhaltigen globalen Wirtschaftskonzept beschäftigt, hat mich schlichtweg vom Hocker gerissen – auf Englisch würde man es als mindblowing bezeichnen. Schon heute kann ich für Dezember prognostizieren, dass es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf meiner Sachbuch-Bestenliste stehen wird.
Dabei habe ich das Buch, als es mir in einer recht kuriosen Situation angeboten wurde, sofort einmal abgewehrt, zu sehr ließ der Name Animal Spirits vermuten, dass es sich um etwas Esoterisches mit Tieren handelt. Und hier bin ich schon beim ersten massiven Kritikpunkt: Der Titel spricht die Kernzielgruppe, zu der ich punktgenau zähle – Wirtschaftswissenschaftler und Leute, die sich für globale Wirtschaft und Volkswirtschaft interessieren – nicht an, im Gegenteil, er ist sogar ein Hinderungsgrund, das Buch in die Hand zu nehmen. Gott-sei-dank waren der Autor und seine Lektorin, die ich auf der BuchWien ganz zufällig im Kaffeehaus an meinem Tisch getroffen habe, weil man dort infolge der Enge ein bisschen zusammenrücken muss, sehr hartnäckig und haben mich überzeugt, es dennoch zu nehmen. Ich möchte mich nachträglich bei ihnen bedanken, gebe dem Verlag aber zu bedenken, dass in einer klassischen Buchkaufsituation kein Autor neben dem Interessenten steht und derartige Überredungs- und Überzeugungsarbeit leistet.
Beim Vorwort von Tomáš Sedláček dachte ich mir „ohjeohje“, denn auch er schwurbelte gemäß des Titels irgendwie sehr mühsam über die Ursprünge der titelgebenden Wörter Seele, Körper, Spirit aus der uralt philosophischen Ecke der Griechen und Römer herum, was wieder völlig konträr zum eigentlichen Inhalt des Buches verläuft. Wahrscheinlich ist Sedláček nicht über die ersten Seiten hinausgekommen und hat schlussendlich dann natürlich mit seiner an den Haaren herbeigezogenen Analogie zur Wirtschaft die Kurve nicht gekriegt.
Aber dann, …
…. dann nach all dem irreführenden Vorgeplänkel legte der Autor Oliver Tanzer endlich los und ich war hingerissen und entzückt. Schritt für Schritt kritisiert Tanzer im ersten Drittel des Buches die Ursachen für unsere gegenwärtige Bredouille. Auch er geht weit zurück in die Vergangenheit zu den Griechen und Aristoteles, da nicht hauptsächlich der Kapitalismus unser Problem ist, sondern der Wurm im kompletten System der Ökonomie zu finden ist. Ökonomie wurde schon seit mehr als drei Jahrtausenden als hierarchisches System der (männlichen) Herrschaft (Patriarch>Frau>Tiere>Sklaven) definiert. Der Gegenentwurf von Xenophon, der kooperativen Katallexie, der ungefähr zur selben Zeit entstand, hat sich bedauerlicherweise nie durchgesetzt, und daran krankt unser ganzes Fundament und unser Denken.
Befehl und Gehorsam ist der Common Sense, der sich in der Politik, im Rechtswesen, in Bildung und Wissenschaft, in den Medien, in Familien und in Religion wiederfindet. Dabei ist es unerheblich, wer Befehle gibt oder ausführt, ob das ein Mann oder eine Frau oder aber ein Roboter ist. Für den Prozess ist alleine ausschlaggebend, dass befohlen und reagiert wird. In diesem Sinne könnte sich auch das Patriachat auflösen und von einem Matriarchat ersetzt werden. Es könnten auch transhumane Mischwesen die Herrschaft übernehmen. So lange nur jemand dominiert, ist für das System alles perfekt. Ich meine, dass diese vertikale Ordnung von Befehl und Gehorsam in der Vergangenheit optimale Bedingungen vorfand, nämlich einem beständigen Mangel an Nahrung.
Heute in unserer gegenwärtigen Wirtschaftssituation des Überflusses ist dieses Modell aber völlig ungeeignet, nun muss der Mangel künstlich durch ständig neue Bedürfnisse und die Wegwerfgesellschaft hergestellt werden, um das System am Laufen zu halten und nicht zusammenbrechen zu lassen, was die Ressourcen unseres Planeten verschwendet und die Erde an den Rand eines Kollapses treibt.
Anschließend zerlegt Tanzer den Homo Oeconomicus von Adam Smith, zeigt, warum auch der Kommunismus an seinem hierarchischen Herrschaftsdenken scheitern musste und identifiziert den einzigen Revolutionär, der ein vernetztes und kooperatives System konzipierte: Jesus von Nazareth, der bedauerlicherweise von seinen eigenen Anhängern verraten und uminterpretiert wurde. Da jubelte mein VWL-Hirn.
In einem radikalen Sinn ist auch der Auftrag von Jesus zu verstehen, wenn er die Jünger an die Bettelei bindet. […] Jesus will seine Leute mit den anderen Menschen in Beziehung setzen. Alles, was nicht in Beziehung setzt, etwa autonome Versorgung des einzelnen Apostels mit Lebensmitteln, schmälert die Intensität des Kontakts. Er fordert gleichsam ein existenzielles „Aufeinander-angewiesen-sein“ ein, damit wirkliche Freundschaft entstehen kann.
So geht es munter weiter. Der Autor kritisiert die grassierende Krankheit des Narzissmus als prägende Störung der Gesellschaft und was sie nachhaltig in Wirtschaft, Medien und Politik, aber auch bei einzelnen Personen anrichtet. Die deckungsgleiche Entwicklung der narzisstischen Schübe einer diagnostizierten und beobachteten Störung mit den Konjunkturzyklen ließ mich gruseln und erklärte mir auch erstmals völlig logisch die Systemzusammenhänge. Dass sich unter Topmanagern ein hoher Anteil von Personen mit narzisstischer Störung und ausgewachsene Psychopathen tummeln, ist ja nichts Neues. Wie diese Prototypen von Managern aber gerade in Krisen- und Problemlösungssituationen durch ihre Defizite am kolossalsten versagen, wurde mir noch nie so deutlich vor Augen geführt.
Anschließend wird das Wachstum von Bäumen thematisiert, mit dem alten System von Bretton Woods in Bezug gesetzt, die Finanzkrise 2008 und ihre Folgen bis zum heutigen Tag zerlegt und analysiert. Bei der Entwicklung und Konzeption einer neuen und nachhaltigen Wirtschaft und des damit einhergehenden globalen Finanzsystems, rät der Autor, sich das nachhaltige Baumwachstum mit den Ruhephasen im Winter zum volkswirtschaftlichen und konzeptionellen Vorbild zu nehmen. Er geht sogar so weit, die Baum-Strategie auch im mikroökonomischen Bereich auf die Entwicklungsabteilungen und auf die Konzeption von Produktinnovationsportfolios in Unternehmen anzuwenden.
Ihr fragt Euch mittlerweile wahrscheinlich: Wo bleiben hier die Animals, also die Tiere? Und ich muss gestehen, dass sie bis zur Seite 137 gar nicht vorkommen. Da das ganze Buch total spannend und in sich schlüssig aufgebaut ist, fehlten sie mir gar nicht, wenn da nicht dieser ominöse Titel wäre … Aber gemach, nach der Hälfte des Sachbuchs dürfen sie als Rollenmodelle für nachhaltige Strategien herhalten. Im Kapitel Pantoffeltierchen werden Vermehrungsstrategien dieser „possierlichen“ Einzeller auf das Wirtschaftssystem in der Finanzkrise und auf den Keynesianismus angewandt. Die Strategien von Bienen transformiert auf Medien-Kommunikationsmuster, der Umgang von Fledermäusen mit Egoisten (analog zu Narzissten), Management und Leadership by Wolfsrudel und die Konfliktvermeidung von Bonobos runden die tierischen Vorbildfunktionen ab. Das letzte „Wort“ hat dann der Wasserfloh, um den Weg zu einer zukunftsweisenden Strategie zu zeigen.
Fazit: Titel ändern, Vorwort weg, ansonsten bin ich total hingerissen. Der Autor hat hier so viel Innovatives und Neues zu einer nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung zusammengetragen, dass ich dafür plädiere, eine prüfungsrelevante, volkswirtschaftliche Pflichtlehrveranstaltung für alle Studierenden der Wirtschafts- und Politikwissenschaften zu diesem Thema in gleicher Gewichtung wie Makro- und Mikroökonomie, einzurichten und zudem alle narzisstischen Topmanager irgendwie zwangszubeglücken. Für Leser*innen, die mit Wirtschaft überhaupt nichts anfangen können, gebe ich keine Leseempfehlung ab, für alle anderen, die sich nur ein bisschen für das Thema interessieren, beziehungsweise denen nachhaltige Wirtschaft am Herzen liegt, ist es ein absolutes Muss.
Dazu ist noch ganz explizit festzustellen, dass auch Leser*innen ohne wirtschaftswissenschaftlichen Hintergrund dieses Buch leicht verstehen können, denn die wirtschaftlichen Zusammenhänge sind einfach erklärt, aber ein Bezug zur Wirtschaft, was bei der Finanzkrise abgegangen ist, ein bisschen Keynes und das Gegenmodell des Monetarismus machen das Buch noch interessanter, weil man dann tiefer die dahinterstehenden Mechanismen begreift.
Animal Spirit von Oliver Tanzer ist 2019 im Molden Verlag als Hardcover erschienen. Nähere Infos zum Buch auf der Verlagsseite.
Rezension von Awogfli