Europaweit vernetzte Denkfabrik warnt vor gravierenden „Konsequenzen“ des Urteils gegen Marine Le Pen für Europa: Rechte „Anti-Establishment-Bewegungen“ dürften erstarken. Unterstützung für Le Pen kommt aus Europa, Israel, Amerika.

Eine europaweit vernetzte Denkfabrik warnt vor „weiterreichenden europäischen Konsequenzen“ des faktischen Ausschlusses von Marine Le Pen von der nächsten Präsidentenwahl in Frankreich. Nach dem Urteil, das Le Pen mit sofortiger Wirkung das passive Wahlrecht entzogen hat, sei von einem unmittelbaren Aufschwung „für Anti-Establishment-Bewegungen in ganz Europa“ auszugehen, heißt es in einer aktuellen Stellungnahme aus dem European Council on Foreign Relations (ECFR). Laut Umfragen ist in Frankreich nahezu die Hälfte der Bevölkerung der Auffassung, das Urteil sei politisch motiviert gewesen. Führende Politiker der extremen Rechten aus der gesamten EU haben Le Pen ihre Unterstützung ausgesprochen, unter ihnen ein Ministerpräsident sowie ein stellvertretender Ministerpräsident. Auch aus Nord- und Südamerika erhielt die Politikerin Unterstützung, zudem von einem israelischen Minister, der erst kürzlich Vertreter extrem rechter Parteien aus der EU zu einer Konferenz nach Jerusalem geladen hat, sowie von der Heritage Foundation aus den USA. Damit vollziehen zentrale Elemente eines neuen Netzwerks der transatlantischen extremen Rechten einen Schulterschluss.

Ab sofort nicht wählbar

Der Unmut über das Urteil gegen Marine Le Pen richtet sich insbesondere gegen die Tatsache, dass ihr auf fünf Jahre das passive Wahlrecht entzogen wurde – sowie dagegen, dass diese Strafe nicht wie allgemein üblich bis zur Entscheidung eines Revisionsgerichts ausgesetzt wird, sondern dass sie sofort in Kraft tritt. Le Pen ist nicht die erste, die von einer solchen Strafe betroffen ist. Allerdings galten frühere Fälle, in denen prominenten Politikern das passive Wahlrecht entzogen wurde, solchen, die sich dem Ende ihrer Karriere näherten; Ex-Präsident Nicolas Sarkozy sowie der frühere Ministerpräsident François Fillon büßten durch ihre Strafe zudem keine aussichtsreiche Kandidatur um einen politischen Spitzenposten ein. Bei Le Pen ist dies der Fall. Die Politikerin des Rassemblement National (RN) führte in Umfragen, die die Präferenzen für die nächste Präsidentenwahl ermittelten, zuletzt sogar. Den am Montag vorgelegten Ergebnissen einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Odoxa zufolge ist Le Pen mit Zustimmungswerten von 37 Prozent derzeit die beliebteste Politikerin Frankreichs, knapp vor Ex-Ministerpräsident Édouard Philippe (36 Prozent) und vor dem Vorsitzenden ihrer Partei RN, Jordan Bardella (35 Prozent).[1]

Gespaltene Gesellschaft

Darf Le Pens politische Bedeutung keine Auswirkungen auf die Rechtsprechung haben, so hinterlässt die Tatsache, dass ihr als bislang einziger Politikerin durch den sofortigen Entzug des passiven Wahlrechts möglicherweise das Präsidentinnenamt verweigert wird, bei ihren Anhängern und Sympathisanten zumindest einen üblen Beigeschmack. Es handelt sich dabei um einen signifikanten Teil der französischen Bevölkerung. Eine erste Umfrage zeigte am Montag, dass 46 Prozent der Bevölkerung der Meinung sind, das Vorgehen gegen Le Pen sei aus politischen Gründen besonders harsch gewesen. Lediglich eine dünne Mehrheit von 54 Prozent vertrat die Auffassung, die RN-Politikerin sei wie jede andere behandelt worden.[2] Ebenfalls nur 54 Prozent meinten, das Urteil zeige, dass die französische Demokratie gut funktioniere. 43 Prozent waren vom Gegenteil überzeugt. Völlig unabhängig davon, wie das Urteil juristisch zu bewerten ist, hat es damit die Spaltung in der französischen Bevölkerung vertieft und droht der extremen Rechten neue Sympathisanten zuzutreiben. Der European Council on Foreign Relations (ECFR) hält es für denkbar, dass es hilft, die RN-Basis vor der nächsten Wahl zusätzlich zu mobilisieren.[3]

Schulterschluss der „Patrioten“

International führt Le Pens Ausschluss von der Präsidentenwahl zu einem demonstrativen Schulterschluss der extremen Rechten – auf der Grundlage der Auffassung, der liberale Teil der europäischen Eliten nutze auch die Justiz, um extrem rechte Kräfte vom Zugang zur Macht fernzuhalten. Bereits am Montag kamen unterstützende Stellungnahmen von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán, Italiens stellvertretendem Ministerpräsident Matteo Salvini und dem niederländischen Politiker Geert Wilders, dessen Partij voor de Vrijheid (PVV) der Regierungskoalition der Niederlande angehört. Orbáns Partei Fidesz, Salvinis Lega und Wilders‘ PVV sind Mitglieder des EU-weiten Parteienbündnisses Patrioten für Europa (PfE), in dem auch Le Pens RN organisiert ist.[4] Auch weitere PfE-Parteien bezogen zugunsten von Le Pen und gegen das Urteil Position. So sprach etwa der FPÖ-Europaabgeordnete Harald Vilimsky von einem „Skandalurteil“.[5] Der Vorsitzende des Vlaams Belang, Tom Van Grieken, nannte den Gerichtsentscheid einen „Angriff auf die Demokratie“, während der Vorsitzende der spanischen Partei Vox erklärte, die französische Bevölkerung werde „sich nicht zum Schweigen bringen lassen“.[6] Diverse weitere Äußerungen, die je ähnliche Botschaften übermittelten, kamen hinzu.

Transatlantische Netzwerke

In einer aktuellen Stellungnahme warnt der ECFR, „die weiterreichenden europäischen Konsequenzen“ des Urteils gegen Le Pen würden „bedeutend“ sein.[7] Möglich sei etwa ein unmittelbarer Aufschwung „für Anti-Establishment-Bewegungen in ganz Europa“. Noch zusätzlich legitimiert werde die auch von der Trump-Administration propagierte Auffassung, die liberalen Teile der Eliten hätten „die politischen Systeme im Westen übernommen“. Man werde erleben, dass die extreme Rechte künftig noch energischer behaupte, „das System“ arbeite darauf hin, sie zum Schweigen zu bringen. Dies geschieht mittlerweile schon – auch jenseits Europas. So wird der ultrarechte Ex-Präsident Brasiliens Jair Bolsonaro mit der Behauptung zitiert, „die Linke und das System“ arbeiteten darauf hin, „ihre Gegner aus dem Spiel zu nehmen“.[8] Trump-Adlatus Elon Musk äußerte: „Wenn die radikale Linke nicht in einer demokratischen Wahl gewinnen kann, missbraucht sie die Justiz, um ihre Gegner ins Gefängnis zu bringen.“[9] In der US-Rechten wurde weithin auf die Rede von Vizepräsident JD Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz verwiesen. Darin hatte Vance erklärt, in Europa werde die Rechte mit unlauteren Mitteln zum Schweigen gebracht.[10]

Unterstützung aus Israel

Seiner Behauptung schließen sich inzwischen auch Personen und Organisationen jenseits Europas an, die gegenwärtig dabei sind, intensive Beziehungen zu den PfE zu knüpfen. So erklärte etwa Israels Minister für Diasporaangelegenheiten, Amichai Chikli, auf X, „der erbärmliche und durchsichtige Versuch der im Abstieg begriffenen Eliten, den Willen der Bevölkerung durch die Nutzung des Justizsystems als Waffe zu unterdrücken“, werde „scheitern“.[11] Chikli hat eine Konferenz in Jerusalem durchgeführt, zu der vergangene Woche Vertreter diverser PfE-Parteien eingeladen waren, darunter der RN (german-foreign-policy.com berichtete [12]). Er wurde 2022 für den Likud in die Knesset gewählt, die Partei von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, die seit Februar offiziell Beobachterstatus bei den PfE innehat. Auf Vances Rede wies in Verbindung mit dem Urteil gegen Le Pen auf X auch die Heritage Foundation hin. Die ultrarechte US-Organisation baut gleichfalls ihre Beziehungen zu den PfE aus.[13] Sie unterhält ein Margaret Thatcher Center for Freedom, dessen Rechtsexperte Eugene Kontorovich nun behauptet, Frankreich folge einem „Muster politischer Verfolgung“, bei dem strafrechtliche Ermittlungen wegen obskurer Vergehen genutzt würden, „um populäre Anführer rechter Parteien auszuschalten“.[14] Die Heritage Foundation verfolgt mit ihrer Unterstützung für die extreme Rechte in der EU politische Ziele; german-foreign-policy.com berichtet in Kürze.

 

[1] Sondage : 60% des adhérents RN déclarent préférer Jordan Bardella à Marine Le Pen. publicsenat.fr 31.03.2025.

[2], [3] Célia Belin, Camille Lons, Pawel Zerka: Slip of Le Pen: How the conviction of the French politician will fuel Europe’s far right. ecfr.com 01.04.2025.

[4] Katya Adler: Le Pen’s right wing European allies condemn court verdict as threat to democracy. bbc.co.uk 01.04.2025.

[5] Europas Rechte empört über Urteil. orf.at 31.03.2025.

[6] Thomas Adamson: Le Pen verdict triggers uproar from far right in France and beyond. apnews.com 31.03.2025.

[7] Célia Belin, Camille Lons, Pawel Zerka: Slip of Le Pen: How the conviction of the French politician will fuel Europe’s far right. ecfr.com 01.04.2025.

[8], [9] Jon Henley: ‘This will backfire’: Le Pen allies hit out at Paris court’s 2027 election ban verdict. theguardian.com 01.04.2025.

[10] S. dazu Die transatlantische extreme Rechte (III).

[11] Condamnation de Marine Le Pen à une peine d’inéligibilité : une cartographie des reactions de l’extrême-droite européenne. legrandcontinent.eu 01.04.2025.

[12] S. dazu Zu Gast in Israel.

[13] S. dazu Die transatlantische extreme Rechte (II).

[14] Benjamin Weinthal: Musk slams Le Pen ruling, says it will ‘backfire’ like Trump’s as some on global right face legal troubles. aol.com 01.04.2025.

Der Originalartikel kann hier besucht werden