Trotz des Drucks aus den USA betrachtet Indien den Konflikt zwischen dem Westen und Russland pragmatisch und weiß diesen für sich auch zu nutzen. Zu erkennen ist dies unter anderem beim Erdölhandel.

Angesichts der sich verschärfenden geopolitischen Konflikte und anderer Krisen in der Welt sehen sich zahlreiche Länder dazu gezwungen, fremde Interessen den eigenen vorzuziehen, um nicht unter die Räder der Großmächte zu geraten.

Als besonders gehorsam zu nennen ist diesbezüglich vor allem Deutschland, das im Zuge der in Washington initiierten Handels- und Wirtschaftsbeschränkungen gegen Moskau auf preiswertes russisches Erdöl und Gas seit dem Beginn des Ukraine-Krieges 2022 größtenteils verzichtet, obwohl das deutsche Wirtschaftsmodell bis dato in hohem Maße auf den billigen Energieimporte aus Russland basierte. Nun kämpft man hierzulande mit grassierender Inflation, Preisanstieg, Stellenabbau und anderen Problemen, die ein Überwinden der Wirtschaftskrise sichtlich erschweren.

Dass es aber auch anders geht, zeigt dagegen Indien. Ungeachtet des Drucks aus den Vereinigten Staaten und Europa geht Delhi an den Konflikt zwischen dem Westen und Russland pragmatisch heran und verfolgt dabei eine eigenständige Politik. Indien verhält sich neutral, spricht sich grundsätzlich für den Dialog aus und bleibt auch bei den unzähligen antirussischen Wirtschaftsbeschränkungen, die die USA, Großbritannien, die Mitglieder der Europäischen Union und andere Staaten bislang eingeführt hatten, außen vor.

Dies betrifft natürlich die Bereiche Wirtschaft und Handel, in denen etwa die indisch-russische Kooperation in den vergangenen Jahren einen starken Auftrieb bekommen hat. Deutlich wird dieser Trend vor allem beim Handel mit dem russischen Erdöl, das die USA und ihre westlichen Partner 2022 mit einem Embargo belegt haben und den Rohstoff aus Russland kaum noch importieren. Bislang konnten sie allerdings weder die russischen Öllieferungen in andere Teile der Welt entscheidend begrenzen noch die Einnahmen Moskaus aus dem Ölverkauf senken. So hat etwa die Einführung des sogenannten „Ölpreisdeckels“ im Dezember 2022, der eine Preisobergrenze von 60 Dollar pro Barrel auf russische Lieferungen vorsieht, Russlands Ölgeschäften insgesamt kaum geschadet. Wie aus Medienangaben hervorgeht, wurde das russische Rohöl der Sorte Urals in den Jahren 2023 und 2024 oberhalb der Preislimits verkauft.

Erdölhandel mit Russland

Als einer der Gründe dafür, warum die westlichen Sanktionen im Erdölsektor scheiterten, gilt die souveräne Haltung Delhis auf der internationalen Bühne. Indien, das als drittgrößter Erdölimporteur und -verbraucher der Welt gilt, sah in dem Embargo nämlich an eine Möglichkeit, einen immensen finanziellen Nutzen aus den besagten Beschränkungen zu ziehen. Weil die indischen Mineralölunternehmen durchaus mit kräftigen Gewinnen rechnen konnten, wenn der Handel mit Russland in dieser Situation ausgeweitet werden würde. Denn, abgesehen von den üppigen Preisnachlässen, die Moskau Delhi bei dem Ölkauf zu gewähren bereit war, hatten die Inder zudem die Möglichkeit gehabt, das preiswerte russische Rohöl zu Kraftstoff zu verarbeiten und das Endprodukt anschließend zu weitaus höheren Preisen als für die eigenen Importe auf dem europäischen oder US-amerikanischen Markt zu veräußern.

Bislang scheint dieser Plan hervorragend aufzugehen: Indien konnte seine Einfuhren von Rohöl aus Russland seit April 2022 drastisch steigern und avancierte so zum zweitgrößten Importeur von russischem Öl. Laut einem aktuellen Bericht der Organisation der erdölexportierenden Länder (OPEC) bleiben die Einfuhren von Öl aus Russland nach Indien weiterhin stabil und machen etwa 36 Prozent des indischen Gesamtimports aus.

Außerdem konnte Indien auch als Exporteur von Ölprodukten auf dem Weltmarkt beträchtlich zulegen. Zum Beispiel nahmen die indischen Ausfuhren von Diesel, Kerosin und anderen Ölprodukten seit 2022 erheblich zu: Allein zwischen April 2022 und Januar 2023 sind die Lieferungen in die EU und die USA im Vergleich zum Vorjahreszeitraum im Wert von etwa sieben Milliarden US-Dollar beziehungsweise um rund 20 Prozent angewachsen, wobei auf die EU-Staaten etwa 50 Prozent aller indischen Kerosinausfuhren entfielen.

Im Jahr 2023 wurden dann neue Rekordwerte erreicht. Nach Angaben der britischen Zeitung The Independent sind die europäischen Importe von Erdölprodukten aus Indien um 115 Prozent gestiegen, von 111.000 Barrel pro Tag im Jahr 2022 auf 231.800 Barrel pro Tag im Jahr 2023.

Im vergangenen Jahr nahmen die indischen Exporte erneut zu: Im Zeitraum April-Oktober 2024 wurde laut Medien ein Anstieg von 4,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr verzeichnet. Im Oktober 2024 gab es sogar eine Zunahme von 12,7 Prozent.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung hatten Wirtschaftsanalysten darauf hingewiesen, dass die Exporte Indiens nach Übersee und Europa insbesondere seit Januar 2023 deutlich gesteigert worden sind, nachdem wenige Wochen zuvor ein Importverbot für russische Ölprodukte in die EU in Kraft getreten war. Was ebenfalls zeigt, dass Indien seine zusätzlichen Milliarden-Einnahmen beim Export im Grunde den Russland-Sanktionen zu verdanken hat, die seine zweifellos höchst lukrativen Geschäfte mit dem russischen Öl erst möglich gemacht haben. Und auch wenn viele westliche Politiker den russisch-indischen Ölhandel politisieren und deshalb immer wieder Kritik an Delhi üben, so lässt sich nicht bestreiten, dass die indische Führung strikt gemäß den Wirtschaftsinteressen ihres eigenen Landes handelt und dabei sehr erfolgreich ist.

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