Ann Wright ist Friedensaktivistin, ehemalige US-Diplomatin und Oberst a.D. der US-Armee. Im Jahr 2003 trat sie aus Protest gegen den Irakkrieg aus dem diplomatischen Dienst zurück. Seither engagiert sie sich unermüdlich für Frieden, Abrüstung und globale Gerechtigkeit. Wann immer sie in Deutschland ist, setzt sie sich mit ihrer Stimme und ihrem Herzen für die lokale Friedensbewegung ein – so auch gestern bei der bundesweiten Demonstration in Wiesbaden. Wir freuen uns sehr, heute mit ihr sprechen zu können.
Reto Thumiger: Liebe Ann, danke dir, dass du dir Zeit für dieses Interview nimmst. Wir freuen uns immer, dich in Deutschland zu begrüßen – und sind dankbar, auf deine Solidarität und Unterstützung zählen zu können.
Ann Wright: Es ist mir eine Freude, hier zu sein. Es sind ein paar Jahre vergangen, seit ich das letzte Mal in Deutschland war – es ist schön, wieder da zu sein.
Was hat dich diesmal konkret nach Deutschland geführt?
Ich wurde eingeladen, auf der Friedensdemonstration in Wiesbaden zu sprechen – über die US-Raketen, die 2026 in Deutschland stationiert werden sollen. Der Protest richtete sich gegen diese Entscheidung und ich bin ebenfalls ganz klar dagegen. Deshalb bin ich hergekommen, um gemeinsam mit den Menschen in Deutschland meine Stimme zu erheben und deutlich zu machen: Dieser provokante Schritt der USA muss gestoppt werden.
Wie hast du die Stimmung und Beteiligung bei der Friedensdemonstration in Wiesbaden gestern erlebt?
Oh, die Demonstration war wirklich, wirklich gut. Wir hatten etwa 4.000 bis 5.000 Menschen auf dem Hauptplatz, wo die Reden gehalten wurden. Es ging am Wiesbadener Hauptbahnhof los – eine entschlossene, engagierte Menge trotz des kalten Wetters. Später sind Reiner, Katrin und ich zu einer Gruppe von 50 Radfahrern gegangen, die für den Frieden unterwegs waren. Das war sehr inspirierend – wir haben sie getroffen, uns für ihren Einsatz bedankt, und dann sind sie weiter in die Stadt geradelt. Die Energie insgesamt war großartig. Die Leute waren aufmerksam, haben den Reden viel Wertschätzung entgegengebracht, und ich habe mich wirklich geehrt gefühlt, ein Teil davon zu sein.
Das klingt wirklich inspirierend. Das letzte Mal habe ich mit dir im Sommer 2018 gesprochen, während der Stopp-Ramstein-Kampagne. In den knapp sieben Jahren seither hat sich viel verändert. Wie würdest du diese Entwicklungen zusammenfassen?
Nun, die Lage heute ist so anders als 2018. Damals war Trump Präsident – und 2019 hat er die USA aus dem INF-Vertrag, dem Vertrag über nukleare Mittelstreckenraketen, herausgezogen. Danach sagte Russland: Wenn ihr nicht mehr dabei seid, sind wir es auch nicht. Also haben wir seit sieben Jahren keinerlei Rüstungskontrollabkommen für diese Raketen. Gar nichts. Dann kam die Biden-Regierung – und gleichzeitig der Krieg in der Ukraine und Russland, von dem ich denke, dass er weitgehend durch die USA und die NATO provoziert wurde. Und dann ist da noch der israelische Genozid in Gaza, der durch die Komplizenschaft der Biden-Regierung mitverursacht wurde. Biden, statt diesen Kurs zu korrigieren, hat ihn ausgenutzt – ebenso wie Trumps Ausstieg aus dem INF – und im Juli 2024 angekündigt, dass die USA neue Raketen in Deutschland stationieren werden. Soweit ich höre, geschah das ohne echte Rücksprache mit der deutschen Regierung. Und das hat weitreichende Folgen: Es verändert das gesamte Gefüge der transatlantischen Beziehungen.
Und jetzt, mit Trumps Rückkehr an die Macht – obwohl das erst zwei Monate her ist – hören wir Aussagen von ihm und seinem Außenminister, seinen Sondergesandten, seinem Verteidigungsminister… die im Grunde Europas Vertrauen in die USA und die NATO als Verteidigungsbündnis untergraben. Ich war immer kritisch gegenüber der NATO – ich finde, es gibt viel zu viel davon. Also könnte man sagen, eine Reduzierung der Abhängigkeit von der NATO ist vielleicht gar nicht so schlecht. Aber gleichzeitig, als ehemalige US-Diplomatin, sage ich: So schneidet man nicht einfach die Verbindungen zu seinen wichtigsten Verbündeten ab. Man weiß nie, wann man auf diese Beziehungen angewiesen ist.
Die Herangehensweise der Trump-Regierung – das Mobbing, die Arroganz, die schiere Unverschämtheit – das macht vielen von uns in den USA große Sorgen. Und es betrifft nicht nur Europa. Auf der ganzen Welt – Grönland, Kanada, Panama – hat Trump oder jemand aus seiner Regierung völlig verrückte Aussagen gemacht. Dinge zu sagen wie: „Wir übernehmen den Panamakanal“ oder Kanada das 51. Bundesstaat zu nennen… das sind einfach absurde, gefährliche Aussagen. Kein ernstzunehmender Staatschef, kein Außenminister sollte so reden.
Trumps Rhetorik ist voller Widersprüche. 2018 hast du den Deutschen geraten, die US-Armee rauszuwerfen – weil sie Menschen tötet und dafür die Militärstützpunkte hier nutzt. Heute sorgen sich viele deutsche Politiker:innen, dass Trump sich tatsächlich aus der NATO und Europa zurückziehen könnte – und rufen zur massiven Aufrüstung auf. Und trotzdem wollen die USA Raketen nach Deutschland bringen. Das war wohl nicht das, was du damals meintest, oder?
Ganz genau. Diese Entwicklung ist sehr beunruhigend – aber sie ist nicht unausweichlich. Es geht darum: Wir müssen Diplomatie priorisieren, nicht noch mehr Waffen liefern oder auf militärische Konfrontation zusteuern. Und genau das fehlt in der ganzen Diskussion. Wenn man sich Minsk I und Minsk II anschaut – und inzwischen wissen wir mehr darüber, wie damit umgegangen wurde –, dann waren das eigentlich ernsthafte diplomatische Bemühungen. Sie hätten genutzt werden müssen, um eine militärische Eskalation zwischen Russland und der Ukraine zu verhindern. Und mit den Ukrainern, den USA und den europäischen Staaten hätte es nie, nie soweit kommen dürfen, dass Russland sich genötigt sah, die Ukraine zu überfallen.
Um das klarzustellen: Ich lehne Russlands Entscheidung, das zu tun, entschieden ab. Aber man kann sehen, wie es dazu kam – vor allem, weil es keinen echten Versuch gab, die Eskalation zu stoppen. Es wirkt fast so, als hätten die USA diese Konfrontation bewusst provoziert. Und tatsächlich haben hochrangige US-Offizielle offen gesagt, dass eines der Ziele war, Russland durch einen langen Krieg zu schwächen – um ihr Militär und ihre Wirtschaft zu erschöpfen, um mehr Sanktionen zu verhängen, und letztlich – na ja, was die USA oft anstreben, ist ein Regimewechsel. Erstens: Das ist falsch. Und zweitens: Die USA lernen einfach nie aus ihren gescheiterten Versuchen, Regierungen zu stürzen und eigene Vasallenregime einzusetzen. Es funktioniert nie. Und trotzdem denken unsere Politiker offenbar: Vielleicht klappt es diesmal. Also versuchen wir’s wieder. Und was ist die Folge? Zigtausende, wenn nicht Hunderttausende, ja Millionen Menschen werden getötet oder verletzt. Es ist einfach unfassbar, dass Regierungen – vor allem meine eigene – im 21. Jahrhundert immer noch den militärischen Weg wählen, statt echte Diplomatie zu betreiben.
Viele Menschen fragen sich, was eigentlich mit Europas Rolle in all dem passiert. Selbst jetzt, wo Trump Verhandlungen mit Russland vorantreibt – wobei ich persönlich sehr skeptisch bin, was seine echten Absichten für den Weltfrieden betrifft – scheint Europa immer noch zögerlich zu sein, einen Dialog zu beginnen oder Schritte in Richtung Frieden in der Ukraine voranzubringen.
Was wären deiner Ansicht nach konkrete Schritte zur Deeskalation?
Ein ganz konkreter und großer Schritt wäre: Die USA müssten aufhören, weitere Waffen zu liefern. Ich denke, sie haben Zelensky bereits signalisiert, dass es irgendeine Form von Verhandlung, einen Waffenstillstand und einen Weg zu einem Friedensabkommen geben muss. Die USA müssen aufhören, diesen Krieg weiter mit Waffen und militärischer Unterstützung zu befeuern.
Wie du gesagt hast, die europäischen Regierungen scheinen daran kaum interessiert zu sein. Es wirkt so, als wollten sie die Konfrontation fortsetzen. Und nun sehen wir riesige Erhöhungen der Militärausgaben in fast allen europäischen Ländern – alles auf Grundlage einer angeblichen Bedrohung durch Russland. Nun, wenn man keine Bedrohung durch Russland will, dann sollte man anfangen, mit ihnen zu sprechen. Man muss den Dialog suchen – fragen: Was genau sind die Probleme, die Russland mit dem hat, was in Europa passiert? Und dann kann Europa darlegen, was es als Problem sieht.
Ja, der russische Angriffskrieg auf Teile der Ukraine ist furchtbar. Er hätte niemals passieren dürfen. Aber er hätte auch verhindert werden können – wenn es echte, aktive Diplomatie gegeben hätte, die sowohl die Bedenken der Russischen Föderation als auch die der Ukraine ernst nimmt. Was wir jetzt brauchen, ist die Wiederaufnahme diplomatischer Kanäle – und auch die Räume, in denen ein solcher Dialog überhaupt stattfinden kann.
Gibt es auch Entwicklungen, die dir Hoffnung machen?
Siehst du auch irgendwelche positiven Entwicklungen? Gibt es etwas, das dich ermutigt?
Hm… ehrlich gesagt, es ist gerade ziemlich schwer, positive Entwicklungen zu sehen. In den USA erleben wir eine massive Einschränkung der Meinungsfreiheit. Studierende werden abgeschoben, Organisationen wie Veterans for Peace, Code Pink: Women for Peace – zu denen ich gehöre – werden im US-Kongress verunglimpft, nur weil wir es wagen, die US-Politik zu kritisieren. Letzte Woche zum Beispiel, bei einer live übertragenen Anhörung im Senat, haben zwei Senatoren Code Pink ernsthaft unterstellt, von der Kommunistischen Partei Chinas finanziert zu werden – im Ernst! Das war wie ein Rückfall in die McCarthy-Ära. Ich wurde verhaftet, weil ich aufgestanden bin und Senator Tom Cotton gesagt habe: „Wir werden von niemandem bezahlt – wir finanzieren uns durch kleine Spenden von Einzelpersonen hier in den USA.“
Aber genau so sieht Vergeltung heute aus. Wenn die Trump-Regierung dich nicht mag oder was du sagst, dann gehen sie gegen dich vor. Sie attackieren Institutionen und Einzelpersonen, die Trumps Behauptung, er habe die letzte Wahl gewonnen, infrage stellen. Viele Menschen haben Angst – und die Gerichte sind viel zu langsam, um dem etwas entgegenzusetzen. Wenn es also überhaupt etwas Positives gibt, dann ist es das: Diese Unterdrückung bringt die Menschen wieder auf die Straße. Sie üben Druck auf den Kongress aus. Sie achten genau auf die anstehenden Wahlen. Und allein in der letzten Woche haben republikanische Kandidaten in Regionen verloren, in denen sie eigentlich sicher gewinnen sollten – weil die Bürger aufwachen.
Und das ist der hoffnungsvolle Teil: Die Menschen werden aufmerksam. Sie mischen sich ein. Und genau das braucht es, wenn wir gegen gefährliche politische Entwicklungen vorgehen wollen – bei uns im Land und weltweit.
Ich denke, das sieht man auch hier in Deutschland. Auch wenn pro-palästinensische Stimmen stark unterdrückt werden – es gibt Gegenbewegung. Und das ist ermutigend: Als Bürgerinnen und Bürger machen wir unsere Regierungen weiter für ihre Politik verantwortlich.
Das ist also das Positive, selbst in diesen sehr schwierigen Zeiten – der gewaltfreie Widerstand. Die Menschen gehen auf die Straße. Würdest du sagen, dass es das ist, was die Menschen tatsächlich tun können?
Absolut. Ich denke, das ist unglaublich wichtig – vor allem müssen wir die Medien dazu bringen, zu zeigen, dass es in den USA Unzufriedenheit gibt. Im Moment sehen wir mehr Berichte über Bürgerversammlungen mit Politiker – und das ist kraftvoll. Die Menschen stehen auf – selbst solche, die früher Trump unterstützt haben – und sagen: Was macht ihr da eigentlich? Warum zerstört ihr gerade den gesamten Bundesapparat? Ihr schadet mir als Veteran. Ihr schadet mir als Seniorin, die auf die Sozialversicherung angewiesen ist.
Ja, E-Mails und Briefe sind okay. Aber die sieht nur die Person, die sie bekommt. Wenn man jedoch auf die Straße geht, dann wird sichtbar, dass Hunderttausende Menschen sich Sorgen machen.
Wie siehst du in diesem Zusammenhang die junge Generation? Gibt sie dir Hoffnung – oder eher Anlass zur Sorge?
Das hängt stark vom Thema ab. Gestern bei der Demonstration in Wiesbaden war es überwiegend ein älteres Publikum – das ist auch bei Friedensdemonstrationen in den USA oft so.
Aber was Palästina betrifft – und den Genozid Israels in Gaza – da wird die Bewegung von jungen Menschen getragen. Sie sind es, die vorne stehen, organisieren, sprechen, Risiken eingehen. Ja, sie werden von älteren Generationen unterstützt – aber es ist die Jugend, die hier vorangeht. Dasselbe gilt in den USA für Umweltthemen – es ist die junge Generation, die sich einsetzt, um ihre Zukunft zu schützen, und die Taten einfordert. Was mir Hoffnung macht, ist ihre Wut. Sie sind nicht abgestumpft. Sie sind nicht gleichgültig. Sie sehen, was passiert – sie sehen, dass im 21. Jahrhundert ein weiterer Genozid zugelassen wird – und sie sind darüber zutiefst empört.
Warum, glaubst du, fällt es so schwer, die Zusammenhänge zu erkennen – zwischen Militarisierung, dem Abbau sozialer Leistungen, dem Rückgang von Bildung und Gesundheitsversorgung, dem Zerfall der Infrastruktur, wachsender Armut und Umweltzerstörung?
Das ist eine wichtige Frage. Ich glaube, wir alle ringen damit. Vielleicht liegt es daran, dass Menschen sich vor allem für das interessieren, was sie unmittelbar betrifft. Und da wir in den USA keine Wehrpflicht mehr haben, betrifft das Militär viele junge Leute gar nicht mehr direkt – weil so wenige von ihnen überhaupt noch zur Armee gehen. Diejenigen, die sich einschreiben, sind meist Leute, die keinen anderen Job finden.
Aber ich denke, wir müssen weiter versuchen, diese Themen zusammenzubringen – sie als ein Ganzes sichtbar zu machen. Wie bei einem Oktopus mit vielen Tentakeln: Militarisierung betrifft alle Bereiche unserer Gesellschaft – die Umwelt etwa, oder die Abschiebung von Migranten. Aktuell steht die US-Armee – aktive Einheiten – an der Grenze und hilft, Menschen zurückzudrängen. Es gibt Militärflüge, mit denen Menschen ohne Gerichtsverfahren außer Landes gebracht werden.
Und gerade dieses Thema – die gewaltsamen Abschiebungen – ist etwas, an dem sich viele junge Menschen festmachen, vor allem, weil so viele junge Immigranten schon lange in den USA leben. Sie betrachten sich als Teil des Landes – als Einwohner, wenn nicht sogar als Bürger. Und selbst wenn sie keinen legalen Status haben, gehören sie längst zur Gesellschaft. Sie wollen einfach so behandelt werden, wie jemand, der dazugehört – denn sie gehören dazu.
Ich denke, dieses Thema hilft, unterschiedliche Teile der sozialen Bewegungen zusammenzubringen.
Zum Schluss: Angesichts all der Rückschläge und der bedrückenden Weltlage – woher nimmst du deine Kraft? Wie schaffst du es, Mut und Hoffnung zu bewahren?
Ich schöpfe meine Kraft aus dem Mut der Menschen, die unterdrückt werden – und sich trotzdem erheben. Schau dir die Menschen in Palästina an – in Gaza und im Westjordanland – und was sie alles durchmachen. Und trotzdem: Ihr Geist ist ungebrochen. Egal, wie viele Hunderttausende getötet werden – sie sagen: Wir geben nicht auf. Wir geben unsere Identität als Palästinenser nicht auf. Wir geben unser Land nicht auf, auf dem wir seit Jahrtausenden leben.
Ich finde auch Inspiration in der Ukraine – bei Menschen, die sagen: Unser Land wurde überfallen. Und bei ganz normalen Bürgern, die sagen: So kann das nicht weitergehen. Sie stellen sich dem entgegen – aber sie sagen auch: Es muss Frieden geben. Sie wollen nicht, dass noch mehr Menschen sterben.
Und ich schöpfe Kraft aus den Immigranten in den USA – Menschen, die hart arbeiten, Teil unserer Gesellschaft geworden sind und jetzt abgeschoben werden. Und trotzdem, wenn man ihnen zuhört, spürt man: Sie sind dankbar für die Zeit, die sie in den USA verbringen konnten. Sie nehmen von hier ein anderes Werteverständnis mit – auch wenn die letzte Lektion, die der Abschiebung, sicher keine gute ist.
Aber insgesamt… Es gibt so viel Hoffnung in den Menschen, die daran arbeiten, diese Welt zu einem besseren Ort zu machen. Und all diese Menschen – die sich für das Gemeinwohl einsetzen – geben mir Kraft. Sie geben mir Hoffnung.
Liebe Ann, danke dir von Herzen für deine Zeit, deine klaren Worte und deine unermüdliche Stimme für den Frieden. Es ist immer eine Inspiration, mit dir zu sprechen. Wir wünschen dir weiterhin viel Kraft und Gesundheit – und hoffen, dich bald wieder in Deutschland begrüßen zu dürfen, Schulter an Schulter mit der Friedensbewegung.