Am Verwaltungsgericht Berlin wurde am vormittag ein wegweisendes Urteil bezüglich polizeilicher Einschränkung von Protest gesprochen: Der Einsatz von Schmerzgriffen durch die Berliner Polizei gegen Klimaaktivist Lars Ritter (21) im Frühling 2023 war rechtswidrig (Pressemitteilung des Verwatungsgerichts). Mit dem Urteil wurde ein Präzedenzfall geschaffen, der auf weitere Fälle übertragbar ist und dieser immmer wieder angewendeten Polizeipraxis deutschlandweit klare Grenzen setzen muss.

Die verhandelte Forsetzungsfeststellungsklage (Az. VG 1 K 281/23) ist die erste in Deutschland die bestätigt, dass der polizeiliche Einsatz von Schmerzgriffen bei friedlichen Sitzblockaden nicht das mildeste Mittel (Wegtragen) und damit rechtswidrig ist – Schmerzgriffe dürfen nur im absoluten Ausnahmefall eingesetzt werden.
Bei dem Verfahren wurde Ritter von der „Gesellschaft für Freiheitsrechte“ GFF und dem Verein „Rückendeckung für eine aktive Zivilgesellschaft“ RAZ unterstützt.

Lilly Schubert vom RAZ zum heutigen Verfahren:

„Als Präzedenzfall sollte das heutige Urteil Konsequenzen für den Schutz von Protestierenden sowie die Wahrung der Versammlungsfreiheit und den Schutz demokratischer Grundrechte haben. Die Möglichkeit, friedlich zu protestieren, ist ein zentraler Bestandteil einer lebendigen Demokratie und ein wesentliches Element zivilgesellschaftlichen Engagements. Diese Klage des jungen Aktivisten leistet einen wichtigen Beitrag dazu, demokratische Handlungsspielräume zu verteidigen.“

Der 21-jährige Lars Ritter heute nach dem Verfahen:

„Ich bin unglaublich froh über das Urteil. Diese Behandlung der Polizei macht was mit dir, sie fühlt sich entwürdigend an. Zwar ging es in diesem Verfahren um meinen Fall, ich bin dabei aber ersetzbar, denn tausende andere haben ähnliche, oft noch schlimmere Erfahrungen bei friedlichen Versammlungen und Sitzblockaden gemacht. Das kann so nicht weiter hingenommen werden.“

Das gezielte und unnötige Zufügen von Schmerzen bei der Auflösung von Demonstrationen ist ein schwerer staatlicher Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Dabei kann im Einzelfall auch das menschenrechtliche Folterverbot aus Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt werden (EMRK). Weitere Auswirkungen hat die Praxis möglicherweise auf die Versammlungsfreiheit: Wenn Menschen bei friedlichen Protesten mit extremer körperlicher Gewalt durch die Polizei rechnen müssen, entfaltet das eine erhebliche Einschüchterungswirkung. Klimaaktivismus wird zunehmend kriminalisiert und eingeschränkt, wie der Green Legal Impact diesen Monat in einer neuen Studie aufzeigte: Wenn die Polizei bei bestimmten Personengruppen unverhältnismäßige Gewalt anwendet, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden, droht eine schleichende Normalisierung von Repression gegenüber sozialem Protest.

Im Rahmen von Protesten der ehemals Letzten Generation im Sommer 2023 beteiligte sich Ritter am 20. April an einem Protestmarsch auf der Straße des 17 Juli, zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor. Nachdem dieser von der Polizei gestoppt wurde und die Teilnehmenden sich auf den Boden setzten, räumte die Polizei unter massiver Gewaltanwendung in Form von Schmerzgriffen die Straße. Ritter gegenüber wurde geäußert, wenn er nicht freiwillig aufstehe, würde er tagelang nicht kauen und schlucken können. Dank zufälliger Begleitung durch den MDR wurde das gefilmte Geschehene im Nachgang breit medial aufgegriffen und erzeugte weitreichende Empörung.