Unionsparteien und SPD öffnen den Weg zu unbegrenzter Aufrüstung. EU mobilisiert mit neuem Programm 800 Milliarden Euro für den Kauf von Kriegsgerät und will die Ukraine von US-Rüstungsgütern unabhängig machen.

Die Unionsparteien und die SPD öffnen den Weg zu einer finanziell nicht mehr begrenzten Aufrüstung der Bundeswehr. Wie die künftigen Regierungsparteien am gestrigen Dienstag beschlossen, soll nicht nur ein 500 Milliarden Euro schweres Schuldenprogramm die Instandsetzung maroder Infrastruktur in Deutschland ermöglichen, etwa militärisch wichtige Verkehrswege nach Osten. Rüstungsausgaben, die ein Prozent der Wirtschaftsleistung übersteigen, werden in Zukunft von der Schuldenbremse ausgenommen sein. Damit können beliebig hohe Aufwendungen für die Bundeswehr getätigt werden. Der Schritt geht mit der Schaffung eines neuen EU-Aufrüstungsprogramms einher, das laut Kommissonspräsidentin Ursula von der Leyen bis zu 800 Milliarden Euro für die Beschaffung von Kriegsgerät in der EU mobilisiert. In einem Papier zur Aufrüstung heißt es, Berlin müsse ein „SPARTA“ genanntes Projekt initiieren, das europaweit „das unverzügliche Aufsetzen großer Rüstungsprogramme mit Fokus auf neuen Technologien und souveräner innereuropäischer Beschaffung“ forcieren soll. Beschleunigt wird all dies durch die Konfrontationspolitik der Vereinigten Staaten unter Präsident Trump.

US-Unterstützung eingestellt

Die Trump-Administration hatte am Montag mitgeteilt, sie werde jegliche militärische Unterstützung für die Ukraine umgehend einstellen. Das werde sich erst ändern, wenn der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bereit sei, mit Russland Frieden zu schließen, hieß es in Washington.[1] Von der Entscheidung betroffen sind Lieferungen von Waffen und Munition im Wert von mehr als einer Milliarde US-Dollar, die für die nähere Zukunft geplant waren, jetzt aber unterbleiben. Laut Angaben aus Kiew stammten zuletzt noch gut 30 Prozent aller Lieferungen an die ukrainischen Streitkräfte aus den USA. Unklar sei, wie lange man ohne sie durchhalten könne, war aus der Ukraine zu hören. Noch nicht bekannt ist, ob von der Liefersperre auch US-Waffen betroffen sind, die europäische Staaten aus ihren Beständen an die ukrainischen Streitkräfte weitergeben. Ungewiss ist zudem, ob das Einfrieren der US-Unterstützung auch für die Aufklärungsdaten gilt, mit denen die USA die Ukraine bislang versorgten.[2] Wäre dies der Fall, dann wäre die Fähigkeit der ukrainischen Streitkräfte, russische Stellungen anzugreifen, ab sofort erheblich eingeschränkt. Noch schwerer wöge es, bezöge die Trump-Administration auch Kommunikationssatelliten in ihr Embargo ein.

Die Vereinigten Staaten ersetzen

Die EU-Länder – nicht gewillt, rasche Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen unter Führung der Vereinigten Staaten zu unterstützen – stehen nun zweifach unter Druck. Sie haben sich in den vergangenen Tagen als letzte verbliebene Unterstützer der Ukraine in Szene gesetzt. Da die US-Hilfen für Kiew jetzt wegfallen, müssen sie so weit wie möglich ersetzt werden. Dies verlangt von den Staaten Europas drastische Anstrengungen sowohl finanzieller als auch rüstungsindustrieller Art. Es kommt hinzu, dass sie bei wichtigen militärischen Fähigkeiten entweder von der NATO oder sogar unmittelbar von den Vereinigten Staaten abhängig sind. Wollen sie die Abhängigkeit durchbrechen und perspektivisch selbst zur militärischen Weltmacht werden, müssen sie ihre eigene beispiellose Aufrüstung beginnen. Ob sie punktuell bereits US-Kapazitäten ersetzen können, wird aktuell bei Satellitensystemen erprobt. Die ukrainischen Streitkräfte sind in ihrer Kriegsführung gegenwärtig auf Starlink-Satelliten des US-Konzerns SpaceX angewiesen, der dem Tech-Oligarchen und Trump-Mitarbeiter Elon Musk gehört. Aktuell prüft das französische Unternemen Eutelsat, inwieweit es die Funktionen der Starlink-Satelliten nachahmen könnte [3], sollte Musk sie, wie einige vermuten, in das US-Embargo einbeziehen. Dabei kooperiert Eutelsat eng mit der EU.

„ReArm Europe“

Zudem bereitet die EU ein gigantisches eigenes Rüstungsprogramm vor, dessen Grundzüge Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am gestrigen Dienstag in Brüssel präsentierte. Der Name des Programms, „ReArm Europe“ („Europa wiederbewaffnen“), suggeriert irreführend, die europäischen Staaten seien nicht oder schlecht bewaffnet. Tatsächlich geben die EU-Staaten und Großbritannien gewaltige, stets wachsende Summen für ihre Streitkräfte aus. Von 2014 bis 2024 haben sich die Militärausgaben der EU-Mitgliedstaaten von insgesamt 147 Milliarden Euro auf 326 Milliarden Euro mehr als verdoppelt.[4] Schon nach den bisherigen Planungen war bis 2027 von einer weiteren Steigerung um mehr als hundert Milliarden Euro auszugehen. Großbritannien, das im Ukraine-Krieg eng mit der EU kooperiert, gibt im aktuellen Haushaltsjahr umgerechnet knapp 69 Milliarden Euro für seine Streitkräfte aus und will seinen Militäretat in hohem Tempo weiter aufstocken. Im Rahmen von ReArm Europe will die EU nun 150 Milliarden Euro für Kredite bereitstellen, um die Mitgliedstaaten bei der Beschaffung von Kriegsgerät zu unterstützen. Außerdem sollen die nationalen Militärausgaben von den Schuldenregeln der EU ausgenommen werden. Laut von der Leyen können damit auf nationaler Ebene weitere gut 650 Milliarden Euro für die Aufrüstung mobilisiert werden – in der Summe also bis zu 800 Milliarden Euro.[5]

Von der Schuldenbremse ausgenommen

Ergänzend zu den EU-Planungen haben sich am gestrigen Dienstag die Unionsparteien und die SPD, die mutmaßlich die nächste Bundesregierung stellen werden, auf eine vollständige Entgrenzung der Aufrüstung der Bundeswehr geeinigt. Demnach soll es nicht nur ein neues Schuldenprogramm mit einem Volumen von 500 Milliarden Euro geben, aus dem allerlei Infrastrukturvorhaben finanziert werden können. Damit soll zum einen die Wirtschaft allgemein angeschoben werden. Darüber hinaus gilt jedoch die Instandsetzung von Straßen, Brücken und Schienen als Beitrag zur Verbesserung der „militärischen Mobilität“, die unumgänglich ist, soll Deutschland seine Funktion als NATO-Drehscheibe für den Transit von Truppen und Material an die NATO-Ostflanke erfüllen.[6] Vor allem aber sollen künftig sämtliche Rüstungsausgaben, die ein Prozent der Wirtschaftsleistung übersteigen, von der Schuldenbremse ausgenommen sein. Damit können zukünftig beliebig hohe Schulden aufgenommen werden, um die Hochrüstung der Bundeswehr zu finanzieren – passgenau auf die Beschaffungswünsche der Militärs ausgerichtet.[7] Die Maßnahme hat gegenüber dem zunächst geplanten weiteren Schuldenprogramm („Sondervermögen“) in Höhe von 400 Milliarden Euro den Vorteil, dass sie unbegrenzte Rüstungsschulden möglich macht – sogar weit oberhalb von 400 Milliarden Euro.

„Souveräne innereuropäische Beschaffung“

Wozu die Mittel genutzt werden könnten, zeigt ein Hintergrundpapier, das ursprünglich verfasst wurde, um das Schuldenprogramm von 400 Milliarden Euro zu begründen. Unterzeichnet wurde es vom Präsidenten des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Moritz Schularick, dem ehemaligen Airbus-Vorstandschef und heutigen Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Thomas Enders, dem ehemaligen Telekom-Chef und heutigen Airbus-Aufsichtsratschef René Obermann und der Risikokapitalunternehmerin Jeanette zu Fürstenberg. Wie es in dem Papier heißt, komme es darauf an, „asymmetrische Überlegenheit“ auf dem „modernen Gefechtsfeld“ herzustellen. So gelte es etwa, einen „weiträumigen Drohnenwall über der NATO-Ostflanke“ zu schaffen, für den man mehrere zehntausend Kampfdrohnen benötige.[8] Auch müsse die Unterwasserüberwachung im Baltikum verstärkt werden. Übergreifend solle Deutschland ein „SPARTA“-Projekt (Strategic Projection and Advanced Resilience Technology Alliance) initiieren, um europaweit „das unverzügliche Aufsetzen großer Rüstungsprogramme mit Fokus auf neue Technologien und souveräner innereuropäischer Beschaffung“ voranzutreiben. Vom weiteren Kauf von US-Rüstungsgütern, etwa des Kampfjets F-35, raten die Unterzeichner des Papiers ab – man ende sonst in „einer fortdauernden Abhängigkeit“.[9]

 

[1] Erica L. Green, Eric Schmitt, David E. Sanger, Julian E. Barnes: The order came just days after Trump had a heated exchange with Zelensky in the Oval Office. nytimes.com 03.03.2025.

[2] Jill Lawless: Trump’s halt on military aid will hurt Ukraine’s defenses. But it may not be fatal. apnews.com 04.03.2025.

[3] Peggy Hollinger, Maxine Kelly: Starlink rival in talks to boost satellite services to Ukraine. ft.com 04.03.2025.

[4] Die Verteidigung der EU in Zahlen. consilium.europa.u.

[5] Press statement by President von der Leyen on the defence package. ec.europa.eu 04.03.2025.

[6] S. dazu Freie Marschrouten und Damit die Panzer rollen.

[7] Was bringt Friedrich Merz‘ wuchtiger Milliardenplan? spiegel.de 04.03.2025.

[8], [9] Ökonom Schularick konkretisiert Rüstungsvorschläge. Frankfurter Allgemeine Zeitung 05.03.2025.

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