In Syrien kommt es nach der von Deutschland begünstigten Machtübernahmen langjähriger Jihadisten zu Massenmorden an den Alawiten. Berlin hatte bis 2024 die damalige Herrschaft des heutigen Präsidenten in der Provinz Idlib stabilisiert.

(Eigener Bericht) – Syrien gleitet nach der von der Bundesrepublik begünstigten Machtübernahme langjähriger Jihadisten in massenmörderische Gewalt ab. Wie Beobachter berichten, kamen bei Massakern der offiziellen syrischen Sicherheitskräfte und vermutlich auch irregulärer Milizen mehr als tausend Menschen zu Tode, darunter weit über 700 Zivilisten. Überwiegend handelte es sich bei ihnen um Angehörige der alawitischen Minderheit, die von der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit zunehmend unter Druck gesetzt wird und sich Übergriffen bis hin zu Morden ausgesetzt sieht. Beobachter attestieren der Regierung unter dem neuen Präsident Ahmed al Sharaa einen „aggressive[n] sunnitische[n] Triumphalismus“, der die Lage der syrischen Alawiten weiter verschlechtert. Dass Al Sharaa, bis vor kurzem Anführer der Jihadistenmiliz Hayat Tahrir al Sham (HTS), an die Macht gelangte, verdankt er nicht zuletzt der Tatsache, dass Deutschland in den Jahren von 2017 bis 2024 die HTS-Herrschaft über das Gouvernement Idlib mit Hilfsgeldern stabilisierte, aber auch der systematischen Schwächung von Ex-Präsident Bashar al Assad durch brutale Sanktionen des Westens, an denen Deutschland sich beteiligte.

Gewalt gegen Alawiten

Die Minderheit der Alawiten – rund zehn bis 15 Prozent der syrischen Bevölkerung, zum Großteil in den Küstenprovinzen Tartus und Latakia angesiedelt – gerät seit Ende Dezember verstärkt unter Druck. Überwiegend gehört sie zu Syriens ärmsten Bevölkerungsteilen; die beiden Küstenprovinzen zählen zu denjenigen mit dem niedrigsten Lohnniveau.[1] Zugleich werden die Alawiten aufgrund ihrer besonderen Form der Religionsausübung von der sunnitischen Mehrheit tendenziell abgelehnt; dies gilt besonders für sunnitisch-islamistische Milieus, denen die aktuelle Regierung unter Präsident Ahmed al Sharaa angehört. Es kommt hinzu, dass der Assad-Clan den Alawiten entstammt und hohe Posten in Staat und Militär nicht selten von Alawiten besetzt wurden; die Minderheit wird deshalb oft pauschal mit dem gestürzten Präsidenten und mit seiner Herrschaft identifiziert. Seit Anfang Januar nehmen Berichte zu, nach denen etwa in mehrheitlich alawitisch bewohnten Vierteln der Stadt Homs alawitische Familien in ihren Wohnungen überfallen und ihr Eigentum geplündert werden. Auch aus den Gouvernements Tartus und Latakia wurden bereits im Januar gewaltsame Übergriffe auf Alawiten gemeldet.[2] Sie lösten nicht nur Proteste, sondern auch bewaffnete Angriffe alawitischer Milizen auf Sicherheitskräfte der Regierung aus.

„Aggressiver sunnitischer Triumphalismus“

Der Konflikt eskalierte schließlich. Dabei spielte zum einen eine Rolle, dass die Regierung unter Al Sharaa die bisherigen Sicherheitskräfte komplett aufgelöst hat; an ihre Stelle getreten sind allerlei Milizen aus dem jahrelangen Krieg gegen den gestürzten Präsidenten Bashar al Assad. Beobachter konstatieren, Al Sharaa sei wohl nicht in der Lage, alle von ihnen umfassend zu kontrollieren. Dies gelte insbesondere für Milizen auswärtiger Islamisten, etwa für turkmenische, usbekische oder auch uigurische Jihadisten. Es komme hinzu, heißt es, dass Al Sharaa sich zunehmend „als starker sunnitischer Herrscher“ in Szene setze; inzwischen sei „ein aggressiver sunnitischer Triumphalismus“ zu konstatieren.[3] All dies lässt bei den syrischen Alawiten Unsicherheit und Furcht deutlich anschwellen, zumal Übergriffe bis hin zu Morden an Angehörigen der Minderheit längst zunehmen. Mittlerweile wird von ersten Fluchtbewegungen berichtet. Zugleich hätten sich bereits seit Mitte Februar Ansätze für einen an die Befürchtungen der Alawiten anknüpfenden “pro-Assad-Aufstand entwickelt“, erklärt der Syrien-Experte Charles Lister vom Washingtoner Middle East Institute (MEI).[4] Am Donnerstag vergangener Woche kam es zu einem gezielten Angriff auf Einheiten der syrischen Sicherheitskräfte; Dutzende kamen zu Tode.

Mehr als tausend Tote

Die Reaktion der offiziellen Sicherheitskräfte fiel höchst brutal aus. Deren Angriffe auf pro-Assad-Milizen gingen offenbar in Massaker an Alawiten in Syriens Küstenregionen über; Berichten zufolge wurden Sunniten mit Sprachnachrichten gewarnt, ihre Häuser nicht zu verlassen, da im Einsatz befindliche auswärtige Milizionäre nicht fähig seien, zwischen syrischen Sunniten und Alawiten zu unterscheiden. Laut dem in Großbritannien ansässigen Syrian Observatory for Human Rights (SOHR) kamen bis zum Wochenende erheblich mehr als tausend Menschen zu Tode, die überwiegende Mehrzahl davon alawitische Zivilisten. Videos zeigen nicht nur die Erschießung völlig wehrloser Personen, sondern auch auf einer Straße gestapelte Leichname dutzender Männer.[5] Inzwischen ist es den Sicherheitskräften gelungen, die Unruhen zumindest vorläufig zu unterdrücken. Al Sharaa hat angekündigt, sämtliche Verbrechen ahnden zu wollen. Allerdings wurde ein syrischer Regierungssprecher mit der Äußerung zitiert, man werde auch weiterhin gegen die „Überreste des ehemaligen Regimes und seiner Offiziere“ vorgehen.[6] In der syrischen Lebenswirklichkeit richtet sich dies immer wieder nicht nur gegen nachweisliche Mitarbeiter der ehemaligen Regierung, sondern pauschal gegen die alawitische Minderheit.

„Wir haben die Kontakte“

Dass die jetzige Regierung unter Al Sharaa an die Macht gelangt ist, das verdankt sie nicht zuletzt Deutschland. So konnte die Jihadistenmiliz Hayat Tahrir al Sham (HTS), aus der sich die heutige Regierung in Damaskus rekrutiert hat, ihre Herrschaft im Gouvernement Idlib in den Jahren von 2017 bis Ende 2024 auch deshalb sichern, weil kontinuierlich Hilfsgelder aus Deutschland in die Region flossen. So wurde etwa im August 2019 berichtet, das Auswärtige Amt habe seit Jahresbeginn 36 Millionen Euro bereitgestellt, das Entwicklungsministerium zusätzlich 17,4 Millionen Euro.[7] Finanziert wurden demnach vor allem Krankenhäuser und Einrichtungen der medizinischen Hilfsorganisation Weißhelme, der eine erkennbare Nähe zu Jihadisten vorgeworfen wurde. Entwicklungsministerin Svenja Schulze erklärte im Dezember mit Blick auf die langjährigen deutschen Aktivitäten in Idlib: „Wir haben die Kontakte, wir kennen viele Akteure, auf die es jetzt ankommt“.[8] Sie legitimierte die Unterstützung für das Jihadistenregime in Idlib mit der Aussage, man habe dank der Mittelvergabe Druck ausüben und die Einführung eines „Sittengesetz[es] mit Geschlechtertrennung im öffentlichen Raum“ verhindern können. Dass Frauen kein Wahlrecht hatten und HTS-Gegner gefoltert und ermordet wurden, ließ Schulze unerwähnt.

Armut und Not

Es kommt hinzu, dass die Bundesregierung maßgeblich dazu beigetragen hat, die Bedingungen für den Sturz der Regierung von Bashar al Assad zu schaffen. So hat sie nicht nur daran festgehalten, sie politisch zu isolieren, als die Arabische Liga dazu übergegangen war, die Beziehungen zu Assad wieder aufzunehmen. Sie hat auch die Sanktionen fortgesetzt, die laut Aussage des damaligen UN-Sonderberichterstatters zu negativen Folgen einseitiger Zwangsmaßnamen, Idriss Jazairy, „verheerende Auswirkungen auf … das tägliche Leben der einfachen Menschen“ in Syrien hatten.[9] Die Sanktionen verhinderten laut einer Analyse, die im Juli 2022 an der renommierten Tufts University in Boston publiziert wurde, nicht bloß die Lieferung von Lebensmitteln nach Syrien, weil sie ihren Transport und ihre Bezahlung unmöglich machten; weil sie auch die Einfuhr etwa von Düngemitteln und Treibstoff verhinderten, schädigten sie auch den Nahrungsmittelanbau. Über die absehbaren politischen Folgen hieß es im Jahr 2020 in der öffentlich-rechtlichen Tagesschau: „Armut und Not machen Syrer mutig“.[10] Die Spekulation auf mögliche Unruhen erfolgte, während Berlin zugleich aktiv dazu beitrug, das jihadistische HTS-Regime in Idlib zu stabilisieren – auch für die Zeit nach einem etwaigen Sturz Assads.

 

[1] Danny Makki: As sectarian tensions rise, what future awaits Syria’s Alawite community? al-monitor.com 11.01.2025.

[2] Adam Lucente: Pro-Assad militias clash with Syria security in Latakia: What we know. al-monitor.com 14.01.2025.

[3] Christoph Ehrhardt: Ein Test für Syriens neue Herrscher. Frankfurter Allgemeine Zeitung 10.03.2025.

[4] Adam Lucente: Deadliest Syria clashes since Assad’s fall test Sharaa, outside support. al-monitor.com 08.03.2025.

[5] Christoph Ehrhardt: Ein Test für Syriens neue Herrscher. Frankfurter Allgemeine Zeitung 10.03.2025.

[6] Offensive beendet. Frankfurter Allgemeine Zeitung 11.03.2025.

[7] Von Deutschland geförderte Kliniken getroffen. dw.com 23.08.2019.

[8] Wie weiter mit der deutschen Entwicklungspolitik? tagesschau.de 11.12.2024. S. dazu Wettlauf um Syrien.

[9] S. dazu Umwälzungen in Syrien (I).

[10] Jürgen Stryjak: Armut und Not machen Syrer mutig. tagesschau.de 15.06.2020.

 

Der Originalartikel kann hier besucht werden