China solle für mehr Transparenz sorgen, wird weltweit gefordert. Doch mit der Transparenz hapert es im Westen ebenfalls.
Martina Frei für die Online-Zeitung INFOSperber
Letzte Woche machten die «Süddeutsche Zeitung» und die «Zeit» das Ergebnis einer 18-monatigen Recherche publik: Das Pandemievirus stamme aus einem chinesischen Labor in Wuhan. Die Pandemie sei durch einen Laborunfall dort ausgelöst worden. Zu dieser Überzeugung sei der deutsche Geheimdienst schon 2020 gelangt.
Auch Lothar Wieler, der frühere Chef des Robert-Koch-Instituts und – wie die «RKI-Files» zeigten – oft Befehlsempfänger der deutschen Politik, sagte der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung», er halte die Laborthese «mit dem aktuellen Wissensstand für wahrscheinlicher». Dagegen erklärt die chinesische Regierung, ein Laborunfall sei «äußerst unwahrscheinlich».
Vor nicht allzu langer Zeit wurden solche Ansichten, wie Wieler sie nun äußert, noch als «Verschwörungstheorie» gebrandmarkt. Das tat unter anderem auch der deutsche Virologe Christian Drosten, flankiert von zahlreichen Wissenschaftskollegen und -kolleginnen – und Journalisten.
«Wirre Behauptungen», «krudes Zeug»
Der Hamburger Physikprofessor Roland Wiesendanger beispielsweise gelangte vor über vier Jahren zum selben Schluss wie der deutsche Geheimdienst. Als Wiesendanger seine Recherche veröffentlichte, wurde er medial verrissen, weil er sich auf «diverse seriöse und unseriöse Quellen» stützte und das Ganze als «Studie» bezeichnet hatte.
Vor allem am Wort «Studie» arbeiteten sich große Medien ab. «Faktenchecker» überboten sich darin aufzuzeigen, dass es gar keine Studie im eigentlichen Sinn sei.
Die «Zeit» hielt Wiesendangers Recherche für ein «halbseidenes Papier». «Der Hamburger Physikprofessor Roland Wiesendanger behauptet, das Coronavirus stamme aus einem Labor. Damit verstörte er viele Kollegen», schrieb «Zeit online» und kam zum Schluss: Wiesendanger sei «offenbar so eingenommen von seinen früheren Erfolgen, dass er gar nicht merkt, wie er sich immer tiefer in Fehlschlüsse verstrickt. Er ist eine tragische Figur.»
Von Facebook zensiert
Der Physik-Professor verbreite «wirre Behauptungen», warf ihm die «taz» vor. «Krudes Zeug», nannte es der «NDR». Die «Süddeutsche Zeitung» hielt es für unnötig, darüber zu berichten.
Die Studierendenvertretung der Universität Hamburg fand die Veröffentlichung «verantwortungslos» und witterte «anti-asiatischen Rassismus».
Facebook zensierte fast ein Jahr lang Posts, die vermuteten, die Pandemie sei nicht natürlichen Ursprungs.
Der im Tweet verlinkte Artikel des «ZDF» wurde inzwischen vom Netz genommen. © ZDF / twitter.com
«Die Labor-These gewinnt wieder an Gewicht»
Nun hat der Wind gedreht. «Die Labor-These gewinnt wieder an Gewicht», titelte die «NZZ» letzte Woche. Dabei hat sich an der Faktenlage seit 2020 nichts geändert – außer, dass in den USA zwischenzeitlich freigeklagte E-Mails und weitere Dokumente publik wurden. Dazu später.
Warum kommt ausgerechnet jetzt die Nachricht, dass der deutsche Geheimdienst seit Jahren vermute, es handelte sich um ein Laborvirus aus China? Ende Januar hatte bereits die US-Regierung dasselbe gesagt.
Inzwischen ist klar, dass viele der mühsamen «Maßnahmen» gegen Corona unnötig waren. Es hat sich auch gezeigt, dass Schweden mit seinem «Sonderweg» nicht schlechter gefahren ist als Deutschland mit seinen langen, flächendeckenden Schulschliessungen. Überdies ist mittlerweile klar, dass es zu keinem Zeitpunkt in der Pandemie gerechtfertigt war, Genesene gegenüber den Geimpften zu benachteiligen.
«Ein Virus, das unterscheidet, welche ethnischen Gruppen es angreift»
«US-Quellen berichten, dass China seit Jahren an biologischer Kriegsführung forscht», verbreitete das «ZDF» vor wenigen Tagen: «Es ist ein Horrorszenario, das Amerikas Geheimdienste umtreibt: ein Virus, das unterscheidet, welche ethnischen Gruppen es angreift und welche nicht. Genau damit beschäftigt sich nämlich eine Forschungsabteilung der Nationalen Universität für Verteidigungstechnologie Chinas seit Jahren.» Wer so etwas vor wenigen Jahren auch nur ansatzweise äußerte, wurde als «Querdenker» oder «Schwurbler» diffamiert.
Nun werden solche Hypothesen salonfähig.
Das «ZDF» weiter: «Vor diesem Hintergrund könnten konkrete Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes zu einem Laborunfall in Wuhan die Konflikte in den amerikanisch-chinesischen Beziehungen massiv verschärfen – politisch, wirtschaftlich und militärisch.»
Mit dem Finger auf China zeigen
Auffallend ist das einseitige China-Bashing: «Der chinesische Staat und die dortigen Wissenschaftler gehen bei der Erstellung von Narrativen sehr geschickt vor», zitiert der oben erwähnte «NZZ»-Artikel – ausgerechnet – Lothar Wieler.
Zehnmal erwähnt die «NZZ» «die Chinesen», die eine transparente Aufklärung verhinderten und Manipulation betreiben würden.
Dass China Daten unter Verschluss halte und die Aufklärung blockiere, sei inakzeptabel, rügte die «NZZ»-Redaktorin Stephanie Lahrtz in einem begleitenden Kommentar. «Die Verantwortlichen in China lassen die Welt weiter in Unsicherheit. Für sie ist es so bequemer, sie wollen keine Verantwortung übernehmen, was auch immer passierte. Das ist ein Skandal.»
Die Rolle der USA war «substanziell»
Das ist tatsächlich ein Skandal. Doch der Vorwurf muss sich auch an die USA richten. Denn ebenso wie chinesische Wissenschaftler und die chinesische Regierung alles daransetzen sollten, bei der Aufklärung mitzuhelfen und ihre Laborbücher offenzulegen, sollten westliche Wissenschaftler und Regierungen dasselbe tun.
«Die US-Amerikaner» kommen in diesem «NZZ»-Artikel aber nicht vor – obwohl US-Forscher mit den chinesischen Wissenschaftlern jahrelang im Austausch standen und die USA in Wuhan Forschung finanzierten.
Der frühere Leiter der US-Gesundheitsbehörde CDC, Robert Redfield, sagte im November 2024 in einem Interview (ab ca. 44:25), er sei zu 100 Prozent sicher, dass das Pandemievirus absichtlich im Labor hergestellt worden sei, als Teil eines Bioabwehr-Programms. Die Rolle der USA sei dabei «substanziell» gewesen.
Redfield: Möglich, dass das Pandemievirus aus den USA stammte
Der wissenschaftliche Vordenker hinter dieser Forschung war Redfield zufolge der US-Coronavirenforscher Ralph Baric von der Universität North-Carolina in Chapel Hill: «Er war sehr involviert.»
Die Interviewerin fragt nach: Einige seien besorgt gewesen, dass das Virus womöglich in den USA entwickelt worden sei. Redfield antwortet darauf: Er habe keine Beweise, aber «es ist eine reale Möglichkeit, dass der Geburtsort dieses Virus Chapel Hill war». Baric hat dies bestritten. Seine Zusammenarbeit mit dem Institut in Wuhan sei minimal gewesen, behauptete er.
De Vorwürfe aufzuklären, wäre wichtig. Ebenso die Frage: Welche Politikerinnen und Politiker – auch in der Schweiz – wussten wann was?
«Keine Indizien, geschweige denn Belege»
Doch in den USA und weiteren westlichen Ländern war es bisher mit der Transparenz auch nicht weit her. So wurde zum Beispiel nur dank freigeklagter Unterlagen bekannt, dass ein kleiner Kreis von Wissenschaftlern schon sehr früh vermutete, dass das Virus aus einem Labor stamme.
Drei Tage später bereiteten mehrere Wissenschaftler aus diesem Kreis jedoch eine Publikation vor, die das Gegenteil behauptete: Das Virus sei natürlichen Ursprungs.
Ralph Baric wurde aus ihrer geheimen Telefonkonferenz zu Beginn der Pandemie ausgeschlossen, weil er dem Labor in Wuhan «zu nah» gewesen sei.
Fortan wurde jeder, der einen Laborursprung vermutete, bezichtigt, Verschwörungstheorien anzuhängen – auch vom deutschen Virologen Christian Drosten, der ebenfalls zu dem kleinen Kreis von Wissenschaftlern zählte.
In der Fachzeitschrift «The Lancet» zitierten Drosten und 26 weitere Forscher Studien und erklärten: «Wir stehen gemeinsam dafür ein, Verschwörungstheorien, die behaupten, dass Covid-19 keinen natürlichen Ursprung habe, entschieden zu verurteilen.»
Die «NZZ» stellte am 15. März 2025 dazu fest: «In Wahrheit enthalten die erwähnten Forschungsarbeiten keine Indizien, geschweige denn Belege für eine natürliche Abstammung von Sars-Cov-2.»
Foto vom deutsch-chinesischen Symposium über Infektionskrankheiten 2015: Die chinesische Coronaviren-Forscherin Shi Zhengli vom Virologischen Institut in Wuhan (vorn 2.v.l.) neben Christian Drosten. Damals wurden auch «Perspektiven für die künftige Zusammenarbeit» besprochen. © Universität Duisburg Essen via web.archive.org
Auch ein Schweizer Labor arbeitete mit Baric zusammen
Laut dem Zürcher Herzchirurgie-Professor Paul Vogt, der im Oktober 2023 die Frage in den Raum stellte, ob Covid-19 eine Biowaffe gewesen sei, sollen allein in den USA über 36’000 Fachleute an Biowaffen forschen. Vogt weist in seiner Recherche darauf hin, dass auch ein «angeblich sehr gut finanziertes» Labor in der Schweiz mit dem US-Coronavirus-Forscher Ralph Baric zusammenarbeitete.
Gemeinsam mit Kollegen veröffentlichte Baric zum Beispiel 2016 in der renommierten Fachzeitschrift «PNAS» eine Studie mit dem Titel: «Sars-ähnliches Wuhan-Institut-für-Virologe-Coronavirus-1 bereit zum Auftauchen beim Menschen». Beteiligt daran war ein Forschungslabor der ETH Zürich in Bellinzona. Ein Mitarbeiter dieses Labors wird in mehreren Studien von Baric als Ko-Autor genannt. Am Ende dankt das Forscherteam der chinesischen Kollegin Shi Zhengli-Li vom Wuhan Institut für Virologie für ihre Hilfe.
Auch an einer Studie, die laut der Journalistin Emily Kopp unter Insidern «Sars Gain-of-Function» genannt wurde, war das Labor in Bellinzona beteiligt.
«Was wusste oder weiß der Bundesrat darüber, was wusste die COVID-Task-Force?», fragte Vogt. Eine Antwort gibt es bisher nicht.
US-Behörde lässt Dokumente verschwinden und gibt Unterlagen nicht frei
Dem ehemaligen CDC-Direktor Redfield zufolge sponserten die US-«National Institutes of Health» (NIH), USAID, das US-Verteidigungs- und das Außenministerium Forschung in Wuhan. Auch deutsche und EU-Gelder flossen dort hin.
Die NIH könnten mehr zur Klärung beitragen, woher das Pandemievirus stammt, hätten diesbezüglich bisher aber versagt, kritisierte der frühere Leiter der «Lancet-Covid-19-Kommission», Jeffrey Sachs, schon im Mai 2022.
Stattdessen habe die NIH-Leitung früh die Hypothese beworben, wonach Sars-CoV-2 von Tieren stamme. Sie entfernte detaillierte Informationen über die Viren aus einer Datenbank und weigerte sich auch, wichtige Belege wie Forschungsanträge und Projektberichte herauszugeben. Und sie redigierte Dokumente, die sie – per Gerichtsbeschluss – herausgeben musste. In einem solchen Dokument – es handelte sich um eine Übersicht der NIH-Forschung zu diesen Viren – waren 290 Seiten weiß zensiert (Infosperber berichtete).
Einflussreiche Wissenschaftler verhinderten Aufklärung
Zwei Tage nach ihrem «China-Bashing» schrieb die «NZZ»: «Selbst in demokratischen Ländern war es schwierig, dem Ursprung der Infektionskrankheit Covid-19 vorbehaltlos auf den Grund zu gehen: Eine Reihe von einflussreichen Wissenschaftlern hat eine unvoreingenommene Aufklärung zunächst verhindert, indem sie frühzeitig und ohne entsprechende Evidenz die Zoonose-Hypothese für die richtige erklärte. Und die andere [Hypothese] verwarf: All jene, die auch einen Laborunfall für möglich hielten, wurden sogleich in die Verschwörungsecke gestellt und hatten es daraufhin schwer, sich Gehör zu verschaffen.»
Aufgeklärt werden müsste auch, woher die Omikron-Virusvariante kam, die extrem ansteckend war. Laut dem deutschen Wissenschaftler Valentin Bruttel vereinte dieses Virus 25 Mutationen auf sich, die allesamt rund sechs Monate vorher einzeln in der wissenschaftlichen Literatur publiziert wurden.
US-Wissenschaftler könnten verklagt werden
Der Physik-Professor Roland Wiesendanger hat kürzlich in einem hörenswerten Gespräch weitere Punkte vorgebracht:
- Schon 2018 gab es ihm zufolge Signale, unter anderem von US-Diplomaten, die Regierungsvertreter warnten: Am Institut für Virologie in Wuhan (WIV) werde hochrisikoreiche Forschung unter ungenügenden Sicherheitsbedingungen durchgeführt. Trotzdem stoppten die US-Sponsoren ihre Finanzierung nicht. Peter Daszak, einer der verantwortlichen Wissenschaftler, behauptete jüngst in der «NZZ am Sonntag» in puncto Biosicherheit seien die Regeln dort eingehalten worden. Doch freigeklagte E-Mails sprechen eine andere Sprache. In einer E-Mail schrieb zum Beispiel der US-Coronavirus-Forscher Ralph Baric, es sei «großer Blödsinn», zu behaupten, dass die Coronavirus-Forschung am WIV in Labors mit ausreichenden Biosicherheitsprotokollen durchgeführt worden sei (Infosperber berichtete).
- Alle involvierten US-Wissenschaftler und -Geldgeber könnten Wiesendanger zufolge gemäß US-Gesetz haftbar gemacht werden, falls das Pandemievirus laborgemacht war. Denn sie stellten ihren chinesischen Kollegen Know-how zur Verfügung, das US-Bürgern zum Schaden gereichte. Auch der frühere wissenschaftliche Berater mehrerer US-Präsidenten Anthony Fauci hätte verklagt werden können. Doch der Ex-Präsident Joe Biden hat Fauci vor dem Ende der Präsidentschaft rückwirkend bis 2014 begnadigt.
- Das Jahr 2014 ist auch deshalb bemerkenswert, weil es damals zu einem Ebola-Ausbruch in Westafrika kam. Dieser sei «höchstwahrscheinlich nicht natürlichen Ursprungs» gewesen, sagt Wiesendanger. Auch dort waren einige der Wissenschaftler aus dem kleinen Kreis beteiligt. Immer wieder seien die gleichen Virologen «in der Vertuschung» involviert gewesen. «Das zieht sich durch über mindestens 25 Jahre.»
«Diese Forschung verletzt die Biowaffenkonvention»
Zusammen mit Kollegen setzt sich Wiesendanger dafür ein, dass Forschung verboten wird, bei der Krankheitserreger absichtlich gefährlicher gemacht werden. Allein in den USA soll es mehr als 60 Labors geben, in denen diese sogenannte «Gain-of-Function»-Forschung (auf Deutsch etwa Funktionsverbesserungs-Forschung) betrieben werde. Mitten in der Millionen-Metropole* Berlin führe das Team des Virologen Christian Drosten solche Forschung durch.
«Diese Art der Gain-of-Function-Forschung mit pandemiefähigen Erregern – das darf nicht länger als reine Grundlagenforschung oder Dual-Use-Forschung [für militärische und zivile Zwecke brauchbar – Anm. d. Red.] angesehen werden. Es ist viel mehr», so Wiesendanger. «Es ist eine Verletzung der Biowaffenkonvention. Und jeder, der diese Forschung weiter betreibt, macht sich schuldig.»
Damit sind auch die westlichen Staaten gemeint. Doch Wissenschaftler und Auftraggeber, die an der Gain-of-Function-Forschung beteiligt sind, lobbyieren dafür, dass ihre Forschung von Vorschriften und Gesetzen verschont bleibt.
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*In einer früheren Version stand hier fälschlicherweise elf Millionen.