Erstmals spricht sich ein Politiker der künftigen deutschen Regierungskoalition für die Inbetriebnahme der Pipeline Nord Stream 2 aus. Hintergrund sind Berichte, ein US-geführtes Konsortium wolle die Betreiberfirma übernehmen.

(Eigener Bericht) – Erstmals spricht sich ein Politiker der künftigen deutschen Regierungskoalition für die Inbetriebnahme der Erdgaspipeline Nord Stream 2 aus. Wenn „wieder Frieden“ zwischen Russland und der Ukraine herrsche, würden „früher oder später“ auch „die Embargos“ fallen, erklärt der CDU-Abgeordnete Thomas Bareiß im sozialen Netzwerk LinkedIn. Dann könne „natürlich … auch wieder Gas fließen“. Bareiß, bis 2021 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, reagiert damit auf Berichte US-amerikanischer und britischer Medien, denen zufolge US-Geschätsleute die Übernahme der Betreibergesellschaft Nord Stream 2 planen – im Kontext mit der erhofften Friedensregelung zwischen Russland und der Ukraine sowie einer gewissen Annäherung zwischen Washington und Moskau. Eine solche Übernahme verstärkte den US-Einfluss auf die Erdgasversorgung der EU noch mehr. US-Flüssiggas deckte schon 2023 rund die Hälfte des gesamten LNG-Imports der EU. Allerdings steigt auch der Importanteil russischen Flüssiggases wieder. Der noch intakte Strang von Nord Stream 2 könnte etwa 27,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr durchleiten; das wäre rund ein Drittel des deutschen Imports.

Der erste Übernahmeplan

Erste Meldungen über US-Aktivitäten im Zusammenhang mit Nord Stream 2 hatte es schon im November vergangenen Jahres gegeben. Damals berichtete die Washington Post, der US-Geschäftsmann Stephen Lynch habe am 28. Februar 2024 bei der zuständigen US-Behörde, dem Office of Foreign Assets Control (OFAC), beantragt, die in der Schweiz registrierte, mit Sanktionen belegte Betreibergesellschaft der Pipeline übernehmen zu dürfen. Dies liege im Interesse der Vereinigten Staaten, da die Erdgasleitung auf diese Weise in US-Besitz, also politisch de facto unter US-Kontrolle gerate. Lynch gilt als in Moskau recht gut vernetzt, seit er im Jahr 2007 an den dortigen Bemühungen beteiligt war, Auslandsfirmen des inzwischen aufgelösten Yukos-Konzerns von Michail Chodorkowski in den Besitz von Rosneft zu bringen.[1] Ihm war es darüber hinaus im Jahr 2022 gelungen, den mit Sanktionen belegten Schweizer Ableger der russischen Sberbank zu übernehmen. Lynch gab nun an, er verfüge über Erfahrung in der „Entrussifizierung“ sanktionierter Unternehmen und wolle sie für die Übernahme von Nord Stream 2 nutzen. Galt sein Vorhaben unter US-Präsident Joe Biden als aussichtslos, so hieß es jetzt, vor dem Hintergrund der Ankündigung von President-elect Donald Trump, eine Beendigung des Ukraine-Krieges anzustreben, könne sich dies ändern.

Unter US-Kontrolle

Anfang März griff die Financial Times das Thema auf. Zwischenzeitlich war das eigentlich zum 9. Januar 2025 fällige Schweizer Insolvenzverfahren gegen die Betreibergesellschaft Nord Stream 2 auf Ersuchen von deren Besitzer Gazprom bis zum 9. Mai dieses Jahres verschoben worden. Gazprom habe erklärt, hieß es, der Regierungswechsel in den USA und die Neuwahl des Deutschen Bundestags könnten „bedeutende Konsequenzen“ für die äußere Lage der Erdgaspipeline haben.[2] Mittlerweile gebe es zudem mindestens einen zweiten Interessenten für Nord Stream 2. Dabei handle es sich um ein US-geführtes Konsortium, das in seinen Vorbereitungen und offenbar auch in konkreten Verhandlungen erheblich weiter fortgeschritten sei als Lynch. Wie die Financial Times berichtete, seien mehrere prominente Angehörige der Trump-Administration über die Vorgänge informiert; sie betrachteten sie als einen Teil von Washingtons Bestrebungen, wieder gewisse politische Beziehungen zu Moskau aufzubauen. Zudem könne eine etwaige Einigung über Nord Stream 2 ein Teil einer umfassenden Einigung über die Beendigung des Ukraine-Kriegs sein. Die Financial Times wies nicht zuletzt darauf hin, eine Übernahme der Gaspipeline durch ein US-geführtes Konsortium verschaffe den USA zusätzlichen Einfluss auf die Erdgasversorgung Europas.

Nur mit Einwilligung Berlins

Freilich wäre eine erneute Inbetriebnahme von Nord Stream 2 nur bei einer ausdrücklichen Einwilligung der Bundesregierung möglich. Von einer solchen kann bislang keine Rede sein. Ein Regierungssprecher wies unter Bezug auf den Bericht der Financial Times darauf hin, Nord Stream 2 sei aufgrund des im Jahr 2021 eskalierten Streits um die Leitung „nicht zertifiziert“; sie könne deshalb „gar nicht genutzt werden“.[3] Medienberichte in der Sache seien „hochspekulativ“. Auch die EU-Kommission wies jeglichen Gedanken an eine erneute Inbetriebnahme des nicht zerstörten Strangs von Nord Stream 2 zurück. Die Leitung sei für die Energieversorgung der Union kein Gewinn, da sie diese „nicht diversifiziere“ und die „Abhängigkeit von einem nicht verlässlichen Partner“ – Russland – „wiederherstelle“, sagte ein Kommissionssprecher in Brüssel.[4] Unklar ist bei alledem auch, ob in die Gespräche mittlerweile auch deutsche Kontaktpersonen involviert sind. Die Washington Post hatte auf die Agentur Berlin Global Advisors hingewiesen, der mit Rüdiger von Fritsch ein früherer deutscher Botschafter in Moskau angehört.[5] Die Agentur bestätigte das nicht. Der einstige Geschäftsführer von Nord Stream 2, Mathias Warnig, dementierte Aussagen der Financial Times, an den Gesprächen über die Inbetriebnahme der Erdgaspipeline beteiligt zu sein, explizit.[6]

„Viel billiger als LNG“

Mittlerweile hat sich mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten Thomas Bareiß erstmals ein Politiker der künftigen deutschen Regierungskoalition öffentlich für die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 ausgesprochen. „Wenn wieder Frieden herrscht und zwischen Russland und Ukraine die Waffen zur Ruhe kommen (und hoffentlich wird das bald passieren)“, schrieb Bareiß im sozialen Netzwerk LinkedIn, dann „werden sich die Beziehungen normalisieren“. „Früher oder später“ würden „die Embargos“ fallen – „und natürlich kann dann auch wieder Gas fließen“. Dies werde „vielleicht diesmal dann in einer Pipeline unter US-amerikanischer Kontrolle“ geschehen, erklärte der CDU-Abgeordnete unter Anspielung auf die Pläne eines US-geführten Konsortiums bzw. von Stephen Lynch. Bareiß fügte hinzu, „da Europa auch zukünftig auf Gasimporte angewiesen“ und Pipelinegas „gegenüber LNG-Gas viel billiger und auch umwelt-/klimafreundlicher“ sei, werde das über Nord Stream 2 importierte Erdgas „sicher schnell Abnehmer in Europa“ finden. Bareiß war in den Jahren von 2018 bis 2021 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und zählt zur Zeit zu den CDU-Koalitionsunterhändlern mit der SPD in der Arbeitsgruppe, die sich mit Verkehr und Infrastruktur befasst.[7]

Mehr russisches LNG

Die Vorstöße in Sachen Nord Stream 2 erfolgen, während einerseits starke Kräfte in der EU auf den kompletten Ausstieg aus dem Bezug russischen Erdgases dringen, andererseits jedoch die Lieferungen russischen Flüssiggases in die EU zunehmen. Während über die deutschen LNG-Terminals kein russisches Flüssiggas importiert werden darf, ist dies an anderen LNG-Terminals in Westeuropa unverändert möglich. Über sie kauften die EU-Staaten im Jahr 2024 neun Prozent mehr russisches Flüssiggas als im Vorjahr; sie gaben dafür sieben Milliarden Euro aus.[8] Zugleich befindet sich der Anteil von US-Flüssiggas am gesamten LNG-Import der Union auf hohem Niveau; schon 2023 lag er bei fast 50 Prozent.[9] In der EU dringt etwa Energiekommissar Dan Jørgensen darauf, die Union müsse bis 2027 komplett aus dem Bezug russischen Erdgases aussteigen. Das beträfe allerdings auch das Gas, das über die Pipeline Turk Stream in die Türkei und von dort über die Pipeline Balkan Stream weiter insbesondere nach Ungarn und in die Slowakei geleitet wird. Beide Staaten sperren sich deshalb gegen ein vollständiges Importverbot. Kommt es nicht zustande, dann käme im Grundsatz auch eine Einfuhr russischen Gases über den noch intakten Strang der Pipeline Nord Stream 2 in Frage. Sie hinge lediglich von einer Zertifizierung der Leitung durch die deutschen Behörden ab.

 

[1] Catherine Belton: American businessman makes play for Russian natural gas pipelines. washingtonpost.com 22.11.2024.

[2] Max Seddon, Henry Foy, Felicia Schwartz: Putin ally pushes deal to restart Nord Stream 2 with US backing. ft.com 02.03.2025.

[3] Bund weist angebliche Pläne zu Nord Stream 2 zurück. n-tv.de 03.03.2025.

[4] Jasper Steinlein: EU commission not considering involvement in Nord Stream 2. euractiv.com 04.03.2025.

[5] Catherine Belton: American businessman makes play for Russian natural gas pipelines. washingtonpost.com 22.11.2024.

[6] Ingo Malcher, Stefan Willeke: Matthias Warnig bestreitet, Nord Stream 2 wiederaufbauen zu wollen. zeit.de 02.03.2025.

[7] Christian Geinitz, Andreas Mihm, Katharina Wagner: Will Europa zurück zu Putins Gas? faz.net 15.03.2025.

[8] EU imports of Russian fossil fuels in third year of invasion surpass financial aid sent to Ukraine. energyandcleanair.org 24.02.2025.

[9] Where does the EU’s gas come from? consilium.europa.eu.

Der Originalartikel kann hier besucht werden