Kolumbiens Bemühungen um ein dauerhaftes Friedensabkommen sind weltweit bekannt. Der Friedensprozess und seine Umsetzung werden auf vielen regionalen Veranstaltungen und internationalen Foren gefeiert. Doch acht Jahre nach der Unterzeichnung des endgültigen Friedensabkommens ist der Weg zum Frieden für die Kolumbianer*innen, insbesondere für die afrokolumbianische Bevölkerung, ungewiss und mit enormen Herausforderungen verbunden. Insbesondere was den Vorsatz der ethnischen Gleichberechtigung angeht, bleibt die Realität erheblich hinter den allgemeinen Zielen des endgültigen Friedensabkommens zurück.

In meiner Heimatstadt Buenaventura, der wichtigsten Hafenstadt Kolumbiens, befürchtet man neue Zyklen der Gewalt. Allein auf dem Festland der Stadt, zu dem die Bezirke 5 bis 12 gehören, wurden bisher mehr als ein Dutzend Menschen ermordet. Die neuen Gewaltausbrüche lösen Angst und Besorgnis aus und lassen bei der Bevölkerung Zweifel am Erfolg der Friedensverhandlungen aufkommen, die die Shottas und die Espartanos mit der Regierung führen. Die beiden kriminellen Banden dominieren den Drogenhandel der Stadt und schikanieren die Bevölkerung mit Erpressung. Seit 2020 liegen sie wegen eines Gebietsstreits im Stadtgebiet von Buenaventura miteinander im Clinch. Die Verhandlungen begannen im Juli 2023 mit dem Ziel, beide Gruppen zu entwaffnen und die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen. Die Bedeutung des Friedensabkommens in Kolumbien ist immens, und die Zeit drängt. Die Umsetzung der Beschlüsse bleibt hinter den Erwartungen zurück, insbesondere was den ethnischen Aspekt des Konflikts betrifft. Eine beschleunigte Umsetzung des Abkommens würde die Chancen auf Veränderung für die Bevölkerung an der kolumbianischen Pazifikküste enorm verbessern.

Was genau ist der ethnische Aspekt bei den Friedensverhandlungen, und warum ist er so wichtig?

Im November 2016 unterzeichnete die kolumbianische Regierung das endgültige Friedensabkommen mit der FARC-EP. Es war das erste Mal, dass ein Friedensprozess ein spezielles Kapitel über ethnische Völker enthielt. Die Aufnahme dieses Kapitels fiel der afrokolumbianischen Bevölkerung nicht in den Schoß, sondern war das Resultat der Zusammenarbeit afrokolumbianischer Organisationen und Führungspersönlichkeiten. Ihnen war es nach mehreren Jahren der Mobilisierung auf nationaler und internationaler Ebene gelungen, Einfluss auf die Verhandlungen in Havanna zu nehmen und die ausdrückliche Berücksichtigung des “ethnischen Kapitels” innerhalb weniger Monate nach der Unterzeichnung des endgültigen Friedensabkommens zu erreichen. Dieses Kapitel sieht in jedem Punkt des Abkommens konkrete Maßnahmen für ethnische Gemeinschaften vor und erkennt die unverhältnismäßigen Auswirkungen an, die die ethnischen Gemeinschaften während des bewaffneten Konflikts erleiden mussten.

Nach offiziellen Angaben wurden im November 2024 insgesamt 9.826.986 Menschen als Opfer des internen Konflikts in Kolumbien gezählt. Davon bezeichnen sich 1.270.639 Millionen als Schwarze, Afrokolumbianer*innen, Raizales und Palenqueras. Das macht zwei von zehn Kolumbianer*innen, die vom bewaffneten Konflikt betroffen sind, und eine*r von acht Betroffenen ist Schwarz, Afrokolumbianer*in, Raizal oder Palenquera. Die Umsetzung des ethnischen Kapitels ist eine der wichtigen Verpflichtungen des Friedensprozesses. Im Mai dieses Jahres waren nach Angaben des Instituto Kroc von den 80 Bestimmungen mit ethnischem Schwerpunkt nur 13 Prozent erfüllt, 61 Prozent befanden sich im Anfangsstadium, 14 Prozent in einem Zwischenstadium, und 13 Prozent wurden noch nicht in Angriff genommen. Das wirft ein beunruhigendes Licht auf die Umsetzung des Friedensabkommens und lässt ernsthafte Zweifel aufkommen, ob die im Abkommen festgelegten Ziele in der verbleibenden Umsetzungszeit wirklich erreicht werden.

Wie steht es um die Wiedergutmachung für afrokolumbianische Opfer?

Von den mehr als neun Millionen Opfern des Konflikts haben laut Dejusticia nur knapp 1,2 Millionen Opfer (14 Prozent) eine Entschädigung erhalten. Maßnahmen zur Rückgabe, Rehabilitierung, Entschädigung und Garantien der Nichtwiederholung wurden gesetzlich festgelegt (ley 1448 del 2011), und es muss überrüft werden, ob diese eingehalten werden, damit die Opfer des bewaffneten Konflikts in Kolumbien vollständig entschädigt werden. Dejusticia beziffert die Auswirkungen des bewaffneten Konflikts auf die afrokolumbianische Bevölkerung folgendermaßen: 1.232.842 Menschen wurden zwangsvertrieben, 106.820 bedroht, und über 56.000 verloren ihr Leben: 6.522 Menschen wurden gezielt getötet, 49.798 wurden als “indirekte Opfer” gezählt.

Darüber hinaus sind die öffentlichen Finanzen des Landes in einem miserablen Zustand. Der Staatshaushalt wurde um 2,5 Mio. € gekürzt. Das wird sich unweigerlich auf die umfassende Wiedergutmachung auswirken, denn mehrere staatliche Stellen, deren koordinierte Arbeit dafür notwendig ist, sind von den Kürzungen betroffen. Darüber hinaus hat der USAID-Stopp der für die internationale Zusammenarbeit bereitgestellten Mittel den Prozess in ernste Schwierigkeiten gebracht. Die Sondergerichtsbarkeit für den Frieden (JEP) wurde als Mechanismus zur Untersuchung, Verurteilung und Bestrafung von Menschenrechtsverletzungen und Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht während des bewaffneten Konflikts durch das Friedensabkommen geschaffen. Ohne die zuvor in Aussicht gestellten knapp 3,5 Mio. € werden sich die Arbeit und die Ergebnisse des neu eingerichteten Rechtsinstruments weiter verzögern.

Natürlich gibt es auch Phänomene im eigenen Land wie das der Korruption, die die Entschädigung der Opfer des bewaffneten Konflikts erschweren. Schätzungsweise 2,6 Mio. €, die für soziale Projekte zur Verwirklichung des Friedens in den Regionen bestimmt waren, wurden während der Amtszeit von Präsident Duque entwendet. Das Geld ist also nicht nur knapp, sondern das Wenige, was da ist, wird vom Krebsgeschwür der Korruption verschlungen.

Dem Bericht „Licht und Schatten der Umsetzung des Friedensabkommens in Kolumbien“ zufolge sind die indigene Bevölkerung und die afro-kolumbianischen Gemeinschaften nicht nur am stärksten vom bewaffneten Konflikt betroffen, sondern haben bisher auch am wenigsten Wiedergutmachung erfahren. Für die indigene Bevölkerung liegt die Zahl bei 21 Prozent, für die Afrokolumbianer*innen bei 18 Prozent (UNDP, 2020).

Hauptaspekt Sicherheit

Die Sicherheit bleibt eins der wichtigsten Themen für die ethnischen Gebiete. In Buenaventura kosten Gewalt und Krieg weiterhin jungen Menschen voller Träume und Hoffnungen das Leben. „Wie lange werden wir noch die Toten in Buenaventura zählen?“, fragt Linda Y. Posso Gomez, Aktivistin und Soziologin in Buenaventura.

In einem Kommuniqué vom 23. Januar machten die Shottas die nationale Regierung für die jüngsten Gewaltausbrüche in Buenaventura verantwortlich. Sie sind der Ansicht, dass die Regierung sie bei den Verhandlungen mit den Espartanos im Stich gelassen habe. Auch die Stadtregierung Buenaventura wandte sich an die nationale Regierung und bat um Klarheit über die Vereinbarungen und um mehr Unterstützung bei den Friedensgesprächen in Buenaventura. Shottas und Espartanos haben sich zwar auf einen Waffenstillstand bis zum 5. Februar geeinigt, doch bedarf es einer weitreichenden Unterstüzung der staatlichen und der lokalen Regierung. Wir brauchen wirtschaftliche und bildungspolitische Perspektiven und Arbeitsplätze, um illegalen Wirtschaftszweigen wie Drogenhandel und Erpressung das Wasser abzugraben. Andernfalls wird Buenaventura auf ewig in seiner Gewaltspirale verharren.

Die Farben des Friedens und der Blick in die Zukunft

Für die Umsetzung des Friedensabkommens bleibt nicht mehr viel Zeit, ganz besonders nicht für die ethnischen Gruppen. Die nach kolumbianischem Recht vorgesehene maximale Umsetzungsfrist beträgt 15 Jahre, aber bisher ist der Prozess noch nicht einmal zur Hälfte abgeschlossen. Für Ende 2024 hat die kolumbianische Regierung die Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Verlängerung der Umsetzung des Friedensabkommens angekündigt. Sollte der Vorschlag im Kongress vorgelegt und angenommen werden, würde die Umsetzung des Abkommens nicht 2030, sondern erst 2038 enden. Doch auch wenn wir den Vorschlag der kolumbianischen Regierung begrüßen, müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass keine Verlängerung der Umsetzungszeit ein echtes Engagement und den Willen zum Frieden ersetzen kann.

Der Frieden in Kolumbien muss seinen ethnischen und territorialen Ansatz im Auge behalten. Wir können nicht zulassen, dass sich die Geschichte wiederholt und dass die schwächsten Gemeinschaften weiterhin die Hauptlast des Konflikts tragen. Andernfalls wird der lang ersehnte Wunsch nach Frieden für die afrokolumbiansche und indigene Bevölkerung eine vergebliche Hoffnung auf Veränderung bleiben.

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