Zur Vermeidung von Unruhen im Krisen- und Kriegsfall skizziert ein aktuelles „Grünbuch“ umfassende Repressionsmaßnahmen und fordert einen „Schulterschluss“ von Gesellschaft und Staat. Militärs verlangen „Mentalitätswechsel“.

(Eigener Bericht) – Für den Krisen- und Kriegsfall sieht ein aktuell von Soldaten, Ministerialbeamten und Geheimdienstlern erstelltes „Grünbuch“ umfassende Maßnahmen der Repression zur Verhinderung von Sabotage und „allgemeiner Unruhe“ vor. Eskalieren etwa die Spannungen mit Russland, wie es das dem Grünbuch ZMZ 4.0 zugrunde liegende Szenario beschreibt, dann müssten nicht nur Schritte zum Schutz der Verkehrswege und der Kritischen Infrastruktur eingeleitet werden, heißt es in dem Dokument. Man müsse auch Vorsorge treffen, dass die mit Sicherheit zu erwartenden Belastungen für die Zivilgesellschaft nicht zu „Unruhe“ oder gar „politischer Destabilisierung“ führten. Dazu seien umfangreiche Aktivitäten der Geheimdienste und deren engere Kooperation mit Polizei und Bundeswehr erforderlich. Zudem gelte es schon jetzt, die „Resilienz“ der Bevölkerung zu stärken – ihre Bereitschaft, die Zumutungen von Krisen und Kriegen zu ertragen. Die unumgängliche zivil-militärische Kooperation (ZMZ) sei schon „in Schulen zu vermitteln“. Einen entsprechenden „Mentalitätswechsel“ in der Bevölkerung hat bereits vor einem Jahr der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, gefordert.

Kritische Infrastruktur

Wie es im Grünbuch ZMZ 4.0 heißt, müsse im Krisen- und Kriegsfall zunächst der Transport von NATO-Truppen über die „Drehscheibe Deutschland“ in Richtung Osten gesichert werden. Dieser beginnt an den Grenzübergängen, die „verzugslos“ passierbar sein sollen – möglichst ungehindert durch mögliche Staus an den Grenzen, durch Flüchtlingsbewegungen oder auch durch Demonstrationen und Blockaden von Friedensaktivisten. Anschließend gelte es, den Weitertransport über Straße oder Schiene zu gewährleisten, heißt es im „Grünbuch“; dabei sei der Zustand auch von Brücken zu berücksichtigen, so etwa die Sperrung der Rheinbrücke bei Leverkusen.[1] Straßen, Schienen und Brücken werden in Deutschland zur Zeit auch zugunsten einer Verbesserung der sogenannten Military Mobility instandgesetzt (german-foreign-policy.com berichtete [2]). Das Grünbuch warnt vor Sabotageakten, aber auch vor Protesten, die etwa eine Blockade von Bahngleisen beinhalten könnten. Ähnliches gelte für Häfen und Flughäfen. Besonders heben die Autoren des Papiers Maßnahmen zum Schutz der Kritischen Infrastruktur hervor; genannt werden die Energieinfrastruktur – etwa Kraft- oder Umspannwerke –, aber auch Kommunikationsnetze und Rechenzentren. Der Schutz Kritischer Infrastruktur gegen Angriffe „von Extremisten, Terroristen“ und „verdeckt operierenden militärischen Spezialeinheiten“ erfordere eine „enge Kooperation zwischen Nachrichtendiensten und der Privatwirtschaft“.

„Allgemeine Unruhe“

Grundsätzlich räumen die Autoren des Grünbuchs ein: „Die Truppentransporte, verbunden mit dem einhergehenden Logistikaufwand, werden dazu führen, dass das zivile Leben stark beeinflusst wird.“ Dabei geht es nicht nur um Einschränkungen aller Art „für den Öffentlichen Verkehr und die Mobilität der Bevölkerung“. Schon diese Einschränkungen könnten dazu führen, „dass die Versorgung“ der Zivilbevölkerung „nur eingeschränkt oder verzögert aufrechterhalten werden kann“, heißt es. Weitere Belastungen etwa durch kriegsbedingte Zerstörungen der Infrastruktur oder durch eine massiv gesteigerte Zahl an Todesfällen lässt das Grünbuch unerwähnt. Die Autoren gehen allerdings davon aus, dass aufgrund der „Einschränkungen“ für Zivilpersonen „gesteigerte Anforderungen an die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Land zu stellen“ seien. Denn bei einer anhaltend misslichen Lage seien nicht nur „Unruhen“ in der Bevölkerung denkbar; man könne auch nicht ausschließen, dass „Unruhen“ gezielt „forciert und angestachelt“ würden, „um zu einem Zustand allgemeiner Unruhe zu gelangen“, also zu einem Zustand „politischer Destabilisierung“. Einen solchen Zustand gilt es den Autoren zufolge unbedingt zu vermeiden.

Repression

Entsprechend nimmt das Grünbuch ZMZ 4.0 umfassende Repressionsmaßnahmen in den Blick. Wichtig sei, heißt es etwa, die „Aufrechterhaltung der Inneren Sicherheit durch erhöhte Polizeipräsenz“. Nötig sei zudem eine enge Zusammenarbeit von „Polizei und Streitkräften“, zum Beispiel bei Erstellung und Aktualisierung eines „Lagebildes“ im Hinblick etwa auf Truppentransporte, die abgesichert werden müssten. Die „Kontrolle und Überwachung der Grenzen“ müsse verstärkt werden. Gegebenenfalls könne man die Feldjäger der Bundeswehr oder militärpolizeiliche Einheiten anderer NATO-Streitkräfte einbinden. Hohe Bedeutung messen die Autoren des Grünbuchs den Inlandsgeheimdiensten auf Bundes- und Länderebene (Bundes- und Landesämter für Verfassungsschutz) zu. Diese müssten beispielsweise, heißt es, „Desinformationskampagnen schnell erkennen und Gegenmaßnahmen vorschlagen, um gesellschaftlichen Spaltungen entgegenzuwirken“. Zur „Identifikation und Abwehr hybrider Bedrohungen“ sei „eine systematische enge Abstimmung“ auch der „Nachrichtendienste“ mit Bundeswehr und Polizei unumgänglich. Das Trennungsgebot, demzufolge Polizei und Geheimdienste strikt getrennt operieren müssen, solle „so ausgestaltet sein“, dass es zu keiner „Einbuße in der Öffentlichen Sicherheit führen“ könne, fordern die Autoren des Grünbuchs. Dies öffnet einer faktischen Aushebelung des Trennungsgebots Tür und Tor.

Resilienz

Insgesamt dringen die Autoren des Grünbuchs ZMZ 4.0 auf eine umfassende Formierung der gesamten deutschen Gesellschaft mit dem Ziel, sie „resilient“ zu machen, „widerstandsfähig“ gegen die Zumutungen aller Art, die Krisen und Kriege unweigerlich mit sich bringen. Um Resilienz zu erreichen, sei eine dichte „vertikale und horizontale Vernetzung der staatlichen Ebenen“ anzustreben, in die „zivile Akteure“ und Nichtregierungsorganisationen (NGO) konsequent einbezogen werden müssten, heißt es in dem Dokument; „eine widerstandsfähige Gesellschaft“ erfordere einen „Schulterschluss aller Akteure“ – und zwar „von der lokalen Bevölkerung bis hin zu staatlichen Institutionen“. Zivilisten müssten für ihre Rolle in diesem Kontext „geschult und sensibilisiert“ werden; es gelte ein „kollektive[s] Bewusstsein zu schaffen“, dass „jede und jeder Einzelne“ etwas beitragen müsse. Zivilpersonen sollten zum Beispiel fragen: „Wie kann ich meine persönliche Resilienz stärken?“ Dies beginne „bei der Einlagerung von Vorräten“, beinhalte jedoch auch eine „Vorbereitung auf Mangellagen“ ganz allgemein. „Erfolgreiche“ zivil-militärische Zusammenarbeit lebe „vom Mitmachen, vom Mitdenken“, heißt es im Grünbuch – aber auch „vom Annehmen der Umstände“. Man müsse zivil-militärische Zusammenarbeit „mit relevanten Akteuren regelmäßig … üben“; es gelte zudem, sie „bereits in Schulen zu vermitteln“.

„Ein Mentalitätswechsel“

Vor einem Jahr hatte der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, gefordert, die Bundeswehr müsse „in fünf Jahren … kriegstüchtig sein“.[3] Dabei gehe es „neben der personellen und materiellen Einsatzbereitschaft“ auch um einen „nötigen Mentalitätswechsel, dem wir uns unterziehen müssen“. Eine „Gedankenwende“ sei erforderlich, und zwar nicht nur in der Bundeswehr, sondern auch „in der Gesellschaft“. Erst kürzlich hat der stellvertretende Kommandeur des Allied Command Transformation (ACT) der NATO in Norfolk (US-Bundesstaat Virginia), der deutsche General Christian Badia, bekräftigt, „das Mindset der Bevölkerung“ spiele in Krisen und Kriegen „eine sehr entscheidende“ Rolle.[4] Um das erstrebte „Mindset“ zu erreichen – die Bereitschaft, einen Krieg aktiv mitzutragen oder doch zumindest passiv hinzunehmen –, gehen seit geraumer Zeit einige Kommandeure der Landeskommandos der Bundeswehr, zu deren Aufgaben die Einbindung von Zivilisten im Krisen- und Kriegsfall zählt, medial in die Offensive, um eine breitere Öffentlichkeit auf die zu erwartenden Einschränkungen und Belastungen vorzubereiten (german-foreign-policy.com berichtete [5]). Dazu trägt aktuell auch die Veröffentlichung des Grünbuchs ZMZ 4.0 bei.[6]

 

Mehr zum Thema: Zivilisten im Krieg (I).

 

[1] Zitate hier und im Folgenden aus: Sandra Bubendorfer-Licht, Leon Eckert, André Hahn, Günter Krings, Ingo Schäfer (Hg.): Grünbuch ZMZ 4.0. Zivil-Militärische Zusammenarbeit 4.0 im militärischen Krisenfall. Eine Situationsbeschreibung, Analyse und Handlungsempfehlungen. Berlin, Januar 2025.

[2] S. dazu Damit die Panzer rollen.

[3] „In fünf Jahren müssen wir kriegstüchtig sein“. spiegel.de 10.02.2024.

[4] Markus Tiedke: „Verteidigung und Widerstandsfähigkeit sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben“. bmvg.de 03.01.2025.

[5] S. dazu Das Mindset für den Krieg.

[6] „Das deckt gefährliche Planungen auf“. junge Welt 08.02.2025.

Der Originalartikel kann hier besucht werden