EU-Debatte über Entsendung von Soldaten nach Grönland schwillt an. Die Arktis ist bereits heute Schauplatz einer wachsenden militärischen Rivalität zwischen den USA und Russland.
(Eigener Bericht) – In der EU schwillt die Debatte über die Stationierung von Soldaten in Grönland an. Nach einem entsprechenden Vorstoß des Vorsitzenden des EU-Militärausschusses hat nun auch Frankreichs Außenminister Jean-Noël Barrot erklärt, „wenn unsere Interessen auf dem Spiel stehen“, werde man über die Entsendung von Truppen auf die zum EU-Staat Dänemark gehörende Insel nachdenken. Barrot verwies darauf, dass die Arktis insgesamt zu einem „neuen Konfliktfeld“ geworden sei. Tatsächlich nimmt auch dort die Rivalität vor allem zwischen dem Westen und Russland zu. Russland verfügt inzwischen über ein knappes Dutzend Militärbasen in seiner Arktisregion, um seine Nordflanke mit dem Heimathafen seiner Nordflotte wie auch die dortigen Erdöl- und Erdgasquellen zu schützen. Die Vereinigten Staaten betreiben neun Militärstützpunkte in Alaska und nutzen die Pituffik Space Base in Grönland. Bereits im Mai 2019 hatte US-Außenminister Mike Pompeo die Arktis zur „Arena“ globaler Machtkämpfe erklärt; Präsident Donald Trump hatte sie kaufen wollen. Dass er damals scheiterte, trägt zur Erklärung seiner äußerst aggressiven aktuellen Annexionsforderungen bei.
„Puerto Rico mit Schnee“
Erstmals seit entsprechenden Bestrebungen in den Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg nahmen die USA eine Annexion Grönlands 2019 ins Visier. Im Mai 2019 erklärte Außenminister Mike Pompeo in einer Rede, die er vor einem Treffen des Arktischen Rats im nordfinnischen Rovaniemi hielt, die Arktis sei zur „Arena“ für globale Macht- und Konkurrenzkämpfe geworden: „Wir treten in ein neues Zeitalter strategischer Aktivitäten in der Arktis ein.“[1] Im August 2019 erklärte US-Präsident Donald Trump, er wolle Grönland kaufen. Der Vorstoß löste in Dänemark allgemein und in Grönland selbst ungläubige, teils entsetzte Reaktionen aus. „Ich hoffe, das ist ein Witz“, bekannte der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses im dänischen Parlament, Martin Lidegaard – es sei es „ein schrecklicher und grotesker Gedanke“.[2] „Grönland steht nicht zum Verkauf“, teilte der grönländische Ministerpräsident Kim Kielsen mit. Entsprechend führten Trumps Pläne ins Leere. Der Leiter des Center for Military Studies an der Universität Kopenhagen, Henrik O. Breitenbauch, wurde damals mit der Feststellung zitiert, man treibe keinen Handel mit Menschen und Ländern. Zudem sei das Interesse in Grönlands Bevölkerung doch wohl eher beschränkt, eine Art „Puerto Rico mit Schnee“ zu werden.[3]
„Wir kriegen Grönland“
Am 22. Dezember 2024 teilte Trump erneut mit, er wolle Grönland den Vereinigten Staaten einverleiben.[4] Am 7. Januar 2025 bekräftigte er ausdrücklich, er schließe, um dies zu erreichen, weder wirtschaftliche noch militärische Zwangsmaßnahmen aus.[5] Wie 2019 sind in Dänemark wie auch in Grönland selbst konsternierte Reaktionen und offene Ablehnung zu hören. Unter Verweis auf die historische rassistische Diskriminierung der einheimischen Bevölkerung Alaskas, der Inuit, erklärte etwa die Abgeordnete im grönländischen Parlament Pipaluk Lynge: „Wir wissen, wie sie die Inuit in Alaska behandeln.“ An die USA gerichtet, fügte Lynge hinzu: „Macht das ‚great‘, bevor ihr versucht, bei uns einzumarschieren.“[6] Erste Versuche der dänischen Regierung, mit Zugeständnissen an die Trump-Administration – etwa mit dem Versprechen, einen Flughafen auf Grönland für US-Kampfjets vom Typ F-35 auszubauen – die Forderungen zu dämpfen, sind gescheitert. Trump habe vorvergangene Woche in einem Telefonat mit Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen nicht nur darauf beharrt, Grönland den USA einzuverleiben, wird berichtet; er habe auch mit konkreten Zwangsmaßnahmen gedroht, etwa mit Zöllen.[7] „Wir kriegen Grönland“, bekräftigte Trump am Wochenende; sollte Dänemark nicht bereit sein, auf sein Territorium zu verzichten, sei dies „ein sehr unfreundlicher Akt“.[8]
Arktische Frühwarnsysteme
Trump beharrt auf der Forderung, obwohl die Vereinigten Staaten schon heute erhebliche militärische Spielräume auf Grönland haben und Dänemark ihnen bereits deren Ausweitung angeboten hat. Washington und Kopenhagen unterhalten seit 1951 ein Grönland betreffendes Militärabkommen, das den US-Streitkräften unter anderem die Nutzung einer weit im Nordwesten der Insel gelegenen Militärbasis erlaubt. Sie ist bis heute als Thule Air Base bekannt, heißt aber offiziell seit einigen Jahren Pituffik Space Base. Dort befinden sich außer einer Weltraumüberwachungsstation auch Radar- und Frühwarnanlagen. Diese wurden schon im Kalten Krieg eingesetzt, um womöglich anfliegende sowjetische Bomber und Raketen aufzuspüren; die Route über Grönland ist aufgrund der Erdkrümmung die kürzeste aus Russland in die USA. Experten weisen heute darauf hin, dass die Anlagen auf der Pituffik Space Base wohl nicht in der Lage sind, moderne russische Hyperschallraketen rechtzeitig zu entdecken; dazu müssten, so heißt es, „neue Aufklärungsanlagen … auch auf Grönland stationiert werden“.[9] Darüber ließe sich freilich verhandeln. Die USA hätten „in Grönland militärisch weitgehend bekommen, was sie wollten, indem sie nett gefragt haben“, wird Peter Viggo Jakobsen, Professor an der Königlich Dänischen Verteidigungshochschule, zitiert.[10]
Arktische Militärbasen
Eine mögliche Annexion Grönlands sowie eine Ausweitung der US-Militärpräsenz auf der Insel würde die militärischen Spannungen in der Arktis erheblich verschärfen. Die USA unterhalten zur Zeit – zusätzlich zur Pituffik Space Base in Grönland – neun Militärbasen in Alaska. Russland wiederum hat seine Militärstützpunkte in seinen nördlichen Landesteilen auf ein knappes Dutzend aufgestockt. Dort – genauer: auf der Halbinsel Kola – befindet sich die Basis seiner Nordflotte, die nicht zuletzt einen Teil der atomaren Zweitschlagsfähigkeit der russischen Streitkräfte enthält. In Russlands arktischen Gebieten liegen zudem große Erdöl- und vor allem Erdgasvorkommen. Beides muss im Fall eines etwaigen Krieges gegen Angriffe geschützt werden können, weshalb Moskau seine Militärpräsenz in der Arktis als klar defensiv orientiert darstellt.[11] Russland hat allerdings in letzter Zeit seine Manöver auch in arktischen Gewässern ausgeweitet und sie dabei, wie berichtet wird, immer weiter in Richtung Norwegen verschoben, was seinen Bewegungsspielraum erweitert, aber im Westen als offensive Handlung eingestuft wird. Zudem kooperiert es auch in der Arktis mit China – allerdings nicht militärisch, sondern etwa beim Austausch von Satellitendaten für Kommunikation und Navigation.[12]
„Ein starkes Signal“
Mittlerweile ist darüber hinaus eine Stationierung von EU-Streitkräften in Grönland in der Diskussion. Bereits am vergangenen Wochenende hatte der Vorsitzende des EU-Militärausschusses, der österreichische General Robert Brieger, geäußert, es sei „durchaus sinnvoll“, in Grönland „eine Stationierung von EU-Soldaten in Erwägung zu ziehen“: „Das wäre ein starkes Signal“.[13] Am Dienstag hat anlässlich eines Kurzbesuchs der dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen in Paris Frankreichs Außenminister Jean-Noël Barrot erklärt, die Arktis sei zu einem „neuen Konfliktfeld“ geworden, auf dem man „auswärtige Einmischung“ beklagen müsse; „wenn unsere Interessen auf dem Spiel stehen“, dann werde man über die Entsendung von Militär auch nach Grönland nachdenken.[14] Dänemark hat inzwischen begonnen, in seiner autonomen Provinz auf nationaler Ebene aufzurüsten. Wie am Montag mitgeteilt wurde, will Kopenhagen 14,6 Milliarden Dänische Kronen aufwenden – knapp zwei Milliarden Euro –, um unter anderem drei arktistaugliche Kriegsschiffe sowie zwei Langstreckendrohnen zu beschaffen, mit denen ausgedehnte Überwachungsflüge möglich sind. Außerdem soll die Kriegsführung in arktischem Gelände intensiver als bisher geübt werden.[15]
Mehr zum Thema: Der Kampf um Grönland (I) und Der Kampf um Grönland (II).
[1] Michael R. Pompeo: Looking North: Sharpening America’s Arctic Focus. 2027-2021.state.gov 06.05.2019.
[2], [3] Martin Selsoe Sorensen: ‘Greenland Is Not for Sale’: Trump’s Talk of a Purchase Draws Derision. nytimes.com 16.08.2019.
[4] Rebecca Falconer: Trump suggests U.S. should take ownership of Greenland. axios.com 23.12.2024.
[5] Seb Starcevic: Trump refuses to rule out using military force to take Greenland and Panama Canal. politico.eu 07.01.2025.
[6] Seb Starcevic, Eric Bazail-Eimil, Jack Detsch: Donald Trump Jr.’s visit was ‘staged,’ says Greenland lawmaker. politico.eu 09.01.2025.
[7] Richard Milne, Gideon Rachman, James Politi: Donald Trump in fiery call with Denmark’s prime minister over Greenland. ft.com 24.01.2025.
[8] Richard Milne: Donald Trump ridicules Denmark and insists US will take Greenland. ft.com 26.01.2025.
[9] Michael Paul: Grönlands arktische Wege zur Unabhängigkeit. SWP-Studie 2024/S 22. Berlin, 02.10.2024.
[10] Julian Staib: Warum Trump Grönland will. Frankfurter Allgemeine Zeitung 09.01.2025.
[11] Colin Wall, Njord Wegge: The Russian Arctic Threat: Consequences of the Ukraine War. csis.org 25.01.2023.
[12] Majid Sattar, Friedrich Schmidt, Julian Staib, Jochen Stahnke: Der Kampf um die Arktis. Frankfurter Allgemeine Zeitung 14.01.2025.
[13] EU-Militärchef für Stationierung von Soldaten auf Grönland. rnd.de 26.01.2025.
[14] Théo Bourgery-Gonse: France mulls sending EU troops to Greenland. euractiv.com 28.01.2025.
[15] Billy Stockwell, James Frater, Eve Brennan: Denmark boosts Arctic defense spending by $2 billion after Trump’s Greenland interest. edition.cnn.com 27.01.2025.