Vor 80 Jahren, im April 1945, wurde Woody Guthries wohl bekanntestes Lied „This Land is Your Land“ veröffentlicht. Hier seine Lebensgeschichte und warum er heute aktueller denn je ist.

von Leo K.

Dust Bowl Ballads

Geboren 1912 in Oklahoma, war Woody Guthrie früh auf sich allein gestellt. Die Mutter litt an der damals noch kaum bekannten erblichen Nervenkrankheit Chorea Huntington, die zu psychischen wie auch zu motorischen Störungen führt und im Übrigen bis heute nicht heilbar ist. Unter nicht restlos geklärten Umständen kam es im elterlichen Haushalt zu einer Brandkatastrophe, als Woody 14 Jahre alt war. Es wird vermutet, dass die Mutter im Zustand geistiger Umnachtung ihren Mann mit Kerosin übergossen hatte als er auf dem Sofa schlief. Der Vater erlitt schwere Verbrennungen und musste sich in Pflege begeben, Guthries Schwester Clara kam bei dem Brand ums Leben, die Mutter wurde in eine Klinik eingewiesen.

Guthries Jugendzeit, die frühen 1930er Jahre, wurden in den USA nicht nur durch die „Great Depression“, also die nationale Ausformung der Weltwirtschaftskrise, bestimmt, sondern waren auch von der „Dust Bowl“, einer zum Teil menschengemachten Dürreperiode geprägt. Betroffen davon waren die „Great Plains“, ein trockenes Gebiet östlich der Rocky Mountains, das ursprünglich von Kurzgras-Prärien geprägt war und auf dem im 19. Jahrhundert noch Büffelherden gegrast hatten. Aufgrund intensiver landwirtschaftlicher Nutzung und als Folge außergewöhnlichen Wassertemperaturen des Pazifiks und Atlantiks wurde die gesamte Region von einer jahrelangen Dürre heimgesucht. Vor allem der Bundesstaat Oklahoma war davon betroffen, viele wanderten damals in andere Bundesstaaten aus. Diese frühen Klimaflüchtlinge wurden „Okies“ genannt, und in dieser Community erlangte der junge Woody Guthrie erste Popularität.

Er verdingte sich anfangs unter anderem als Schildermaler, trat in Bars und Kneipen auf und spielte als Straßenmusiker. Gemeinsam mit seinem Cousin Leon „Oklahoma Jack“ Guthrie fand er einen Job beim Radiosender KFVD, dessen inhaltlicher Schwerpunkt linke Talk-Sendungen waren. Die Woody-and-Lefty-Lou-Show war Folk-orientiert und sozialkritisch und wurde bald sehr populär, vor allem unter den Okies.

John Steinbecks Roman „Früchte des Zorns“ fängt die Hoffnungslosigkeit und Trostlosigkeit jener Epoche sehr gut ein, Woody Guthrie jedoch schuf quasi den Soundtrack dazu. Verantwortlich dafür war unter anderem sein Zusammentreffen mit dem Musikforscher Alan Lomax in New York, der mit Guthrie erste Tonaufnahmen machte. 1940 nahm Woody Guthrie schließlich das Album „Dust Bowl Ballads“ auf, mit dem er größere Bekanntheit erlangte und das wegweisend für kommende Generationen in der Folkmusik werden sollte.

In „Tom Joad (Part 1)“ heißt es etwa:

That truck rolled away in a cloud of dust

Tommy turned his face toward home

He met Preacher Casey, and they had a little drink

But they found that his family they was gone 

He found his mother’s old-fashion shoe,

Found his daddy’s hat.

And he found little Muley and Muley said,

„They’ve been tractored out by the cats.

This machine kills fascists

Woody Guthrie hatte sich in New York der Kommunistischen Partei der USA (CPUSA) angenähert. Für deren Zeitung, den „Daily Worker“, schrieb er eine populäre tägliche Kolumne. Er ergriff Partei für die Sowjetunion und die Führung der KPdSU, und nach dem deutschen Überfall auf die UdSSR stellte er den Antifaschismus in den Vordergrund. Um 1943 schrieb Guthrie das Kriegslied „Talking Hitler’s Head Off Blues“. Aus dieser Zeit stammt auch das ikonische Foto das Woody Guthrie mit seiner Gitarre und dem Schriftzug „This machine kills fascists“ zeigt. Nach dem Krieg gründete Guthrie außerdem mit Pete Seeger die Folk-Musiker-Gewerkschaft People’s Songs.

Im Gegensatz zu anderen Linken distanzierte sich Guthrie auch nie vom Kommunismus und Stalinismus, wenngleich nicht bestätigt ist, dass er formell Mitglied der CPUSA wurde. Das FBI ging auf alle Fälle davon aus und setzte ihn auf den Index der staatsgefährdenden Personen, auch das Komitee für „unamerikanische Aktivitäten“ interessierte sich für ihn. Guthrie selbst nahm es gelassen und meinte: „Wenn man mich als Kommunisten bezeichnet, dann macht mich das stolz, denn nur eine kluge und hart arbeitende Person kann ein Kommunist sein.“

Guthries Widerstand gegen den Faschismus resultiert aus seiner Erkenntnis, dass der Faschismus „eine Form der wirtschaftlichen Ausbeutung ähnlich der Sklaverei“ sei. Er verurteilte die Faschisten – insbesondere ihre Führer – als Gruppe von Verbrechern, die angetreten waren, „die Welt auszurauben“.

Dies erinnert an seine Proteststrategie, die er während der Weltwirtschaftskrise verwendet hatte, als soziale, politische und wirtschaftliche Ungleichheit durch Börsenspekulation von einer kleinen reichen Elite erzeugt worden war. Während dieser Ära hatte Guthrie die Taten von Gesetzlosen wie Jesse James, Calamity Jane oder der Dalton Gang heroisiert.

Guthrie bezeichnete die Gegner des Faschismus nicht als bloße Gesetzlose in einem faschistischen Staat, sondern als „Helden, die in Zeiten wirtschaftlicher Turbulenzen und sozialer Ungleichheit“ aufstanden, um ein höchst illegitimes kriminelles Unterfangen zur Ausbeutung des einfachen Volkes zu bekämpfen“.

This Land Is Your Land

Ein großes Missverständnis ist Woody Guthries vermutlich bekanntester Song, „This Land is Your Land“, der heute als eine der inoffiziellen US-Hymnen gilt. Guthrie schrieb die ursprüngliche Fassung des Songs im Februar 1940 in einem New Yorker Hotel. Aber erst 1944, während eines Urlaubs von der Handelsmarine (Guthrie verweigerte im Zweiten Weltkrieg den Dienst mit der Waffe) wurde das Lied im Tonstudio des Musikproduzenten Moses „Moe“ Asch aufgenommen.

Der Song zählt in sechs Strophen die geografischen Regionen Amerikas zwischen Kalifornien und New York, den Redwood-Wäldern und der Golfregion auf, glorifiziert die Landschaften und stilisiert das Reisen als großartige Erfahrung. Obwohl Guthrie hiermit nie die Hitparaden erreichte, war er in aller Munde und schuf einen Evergreen. Der Arbeitstitel „This Land Was Made for You and Me“ deutet bereits Guthries eigentliche Intention an:

Denn das Lied war eigentlich nicht als Glorifizierung gedacht, sondern als Parodie auf das übertrieben patriotische „God Bless America“, und nicht von ungefähr werden üblicherweise nur die ersten drei Strophen gespielt und die restlichen weggelassen.

In diesen Strophen wendet sich Guthrie nämlich gegen das bedrückende Privateigentum, das man in sein Gegenteil kehren müsse.

Er kritisiert am Ende die durch den Kapitalismus verursachte Armut und den Hunger in einem eigentlich reichen Land. Die Schlüsselzeilen lauten:

There was a big, high wall there that tried to stop me

A sign was painted said „Private Property“

But on the backside, it didn’t say nothing

This land was made for you and me

Vor diesem Hintergrund wirft Guthrie die Frage auf, ob dieses Land denn wirklich „für dich und mich gemacht“ wurde. Die ungesagte Botschaft des Liedes lautet wohl: Wir müssen das Land erst zu unserem Land machen – und hierfür muss es ein sozialistisches Land werden.

Solche klassenkämpferischen Ansätze waren natürlich in der anbrechenden McCarthy-Ära (ca.1947-1955) – also in der Anfangsphase des Kalten Krieges und der beginnenden Verfolgung von Kommunisten und deren Sympathisanten in den USA  – nicht erwünscht und widersprechen auch heute noch dem Selbstverständnis, mit dem sich das offizielle Amerika gerne darstellt.

Woody Guthries späte Jahre und sein Vermächtnis

Noch 1945 schuf er zur Erinnerung an die 1927 hingerichteten aus Italien eingewanderten anarchistischen Arbeiter Sacco und Vanzetti den Zyklus „Ballads of Sacco & Vanzetti“, den er 1946/47 aufnahm. Das Album wurde jedoch erst 1960 veröffentlicht, da Guthrie selbst mit dem Ergebnis nicht zufrieden war. Neben den elf Balladen Guthries wurde es mit der Vertonung von „Sacco’s Letter to Son“ („Saccos Brief an seinen Sohn“) um einen Titel von Pete Seeger aus dem Jahr 1951 ergänzt.

In den folgenden Jahren begann Woody Guthrie selbst die ersten Symptome der von seiner Mutter vererbten Nervenkrankheit zu entwickeln. Er schrieb weiter an Songs, wurde aber durch die Krankheit immer unzuverlässiger und schwieriger im Umgang. Die letzten Aufnahmen für Folkways Records von 1952 wurden aus Diskretion nicht mehr veröffentlicht…

Kurz davor hatte Guthrie seine letzten kommerziellen Aufnahmen für Decca Records gemacht, danach beeinträchtigte ihn die Krankheit so sehr, dass er zum Pflegefall wurde und daraufhin 1956 zwangsweise ins Greystone Hospital eingewiesen werden musste.

Am 3. Oktober 1967 starb Woody Guthrie im New Yorker Stadtteil Queens in einer Spezialabteilung für Chorea-Huntington-Patienten.

Guthries Einfluss reicht bis in die zeitgenössische Singer/Songwriter- und Folkmusikszene und er gilt als einer der „Väter“ des (modernen) politischen Protestsongs:

Bob Dylan besuchte „seinen letzten Helden“ am Krankenbett; später veröffentlichte er „Song to Woody“ auf seinem ersten Album Bob Dylan (1962).

Woody Guthrie hat aber nicht nur im Œuvre von Bob Dylan und seinem musikalischen Kollegen aus Greenwich-Village-Tagen Phil Ochs (1940-1976) deutlich Spuren hinterlassen, sondern wirkt in vielfältiger Weise bis heute nach.

Viele von Guthries Liedern wurden mehrfach gecovert, allen voran „This Land is Your Land“ (u.a. Harry Belafonte, Glenn Campbell).

Der Song „Vigilante Man“ aus den „Dust Bowl Ballads“ wurde 1972 von Ry Cooder und ein Jahr danach von Nazareth in modernisierter Bearbeitung aber keineswegs weniger intensiv interpretiert.

„I Ain’t Got No Home in This World Anymore“ wurde 1988 von Bruce Springsteen gecovert, letzterer nahm auch mit “The Ghost of Tom Joad” (1995) direkt Bezug auf die Wirtschaftskrise und die Dust Bowl der 1930er Jahre, die Woody Guthries frühes Schaffen geprägt hat.

Um die Jahrtausendwende nahmen Billy Bragg und die Band Wilco bis dahin unvertonte Gedichte Guthries auf den Alben Mermaid Avenue (I-III) auf und bezogen sich mit dem Titel auf Woody Guthries letzte Wohnadresse in Coney Island in New York.

Woody Guthries Sohn Arlo schließlich wurde zu einer Ikone der Woodstock-Ära und hat mit den Songs „Alice’s Restaurant Massacree“ (1967) und „City of New Orleans“ (1972) Weltruhm erlangt.

Woody Guthries Vermächtnis besteht nicht nur in den rund 3.000 Songs, die er geschrieben hat und seinem musikalischen Nachwirken bis in 21. Jahrhundert, sondern auch in seinem Bekenntnis zu den Verdammten dieser Erde, denen er sich –  nicht zuletzt aufgrund seines tragischen Schicksals – selbst zugehörig fühlte. Guthrie war ein Kritiker des Kapitalismus und seiner Verwerfungen und hat mit seinen „Dust Bowl Ballads“ in prophetischer Weise die dramatischen Folgen menschengemachter klimatischer Veränderungen beschrieben. Und als ausdrücklicher und kompromissloser Gegner des Faschismus sollte Guthrie in Zeiten des Wieder-Erstarkens der Rechten mehr denn je in Erinnerung bleiben…