Acht Jahrzehnte nach der Befreiung Österreichs vom Nationalsozialismus steht das Land vor einer politischen Zäsur: Die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) könnte erstmals den Kanzler stellen. Dieser Gedanke ruft Besorgnis und Empörung hervor, insbesondere angesichts der Vergangenheit und der ideologischen Nähe der FPÖ zu rechtsextremen Strömungen. „Unseren Widerstand können sie haben!“, erklärt Vera Koller, Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft unabhängiger Gewerkschafter:innen (AUGE) Wien.

Rechte Vergangenheit und fragwürdige Allianzen
Die FPÖ, oft als „Partei der Einzelfälle“ oder „Partei der Liederbücher“ kritisiert, geriet in der Vergangenheit immer wieder wegen rechtsextremer Vorfälle, antisemitischer Tendenzen und rassistischer Äußerungen in die Schlagzeilen. Die Möglichkeit, dass ausgerechnet eine solche Partei den Kanzler stellen könnte, wirft für viele die Frage nach der politischen Verantwortung anderer Parteien auf.

Nach dem Abbruch der Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und Neos ist der Weg für eine Koalition zwischen der ÖVP und der FPÖ geebnet. „Damit haben die Verhandlungsverantwortlichen dem Demokratiebewusstsein der Österreicher:innen einen Bärendienst erwiesen. Sie haben unsere Zeit verschwendet!“, so Koller.

Historische Warnungen und aktuelle Befürchtungen
Die FPÖ hat in der Vergangenheit durch umstrittene Aussagen, wie die Verharmlosung der Waffen-SS oder die Unterstützung der neonazistischen Gruppierung „Identitäre“, Besorgnis ausgelöst. Der Schriftsteller und Historiker Doron Rabinovici bezeichnete die FPÖ einst als „Nachfolger der Vorgänger der Nazis“. Für viele ist diese historische Kontinuität eine Mahnung, jetzt Widerstand zu leisten.

Auch wirtschaftliche Aspekte der möglichen Koalition stehen in der Kritik. Trotz der EU-feindlichen Haltung der FPÖ zeigen sich Vertreter:innen der ÖVP, insbesondere aus dem wirtschaftsliberalen Flügel, offen für eine Zusammenarbeit. „Ein Spatz in der Hand ist den Vertreter:innen der Großindustriellen lieber als eine Taube auf dem Dach“, vermutet Koller. Die Aussicht auf schnelle Gewinne für Konzerne – beispielsweise durch Einsparungen im Sozialsystem – könnte wirtschaftliche Bedenken überlagern.

Sozialabbau und Angriffe auf Arbeitnehmer:innen
Bereits während der Koalitionsverhandlungen sickerten Details zu möglichen Einsparungsplänen durch: massive Kürzungen bei Lehrer:innengehältern, im Gesundheitsbereich und eine Erhöhung des Pensionsantrittsalters. Der ÖVP-Chef Karlheinz Stocker sprach zudem von drastischen Maßnahmen wie einem degressiven Arbeitslosengeld, der Abschaffung der Bildungskarenz und weiteren Einschnitten bei arbeitsrechtlichen Leistungen.

„Das ist ein Frontalangriff auf den Sozialstaat und die Rechte der Arbeitnehmer:innen“, warnt Koller. Die geplanten Maßnahmen seien ein gefährliches Signal, das weit über Österreich hinaus Wirkung entfalten könnte.

Für viele steht fest: Sollte eine rechtsextreme Regierung Wirklichkeit werden, wird der Widerstand laut und entschlossen sein. „Gegen all das, was uns von einer potenziell zukünftigen reaktionären Regierung noch droht, werden wir Widerstand leisten“, kündigt Koller an. Der Kampf um die Zukunft der Demokratie in Österreich ist eröffnet.

Bereits heute, Montag, den 6. Januar 2024, findet eine spontane Kundgebung der Jüdischen Österreichischen Hochschüler:innen  (JöH) am Ballhausplatz in Wien statt. Unter dem Motto „Herbert Kickl als Bundeskanzler verhindern“ versammelten sich ab 10:30 Uhr zahlreiche Demonstrierende, um gegen den FPÖ-Chef und die Möglichkeit einer rechtsextremen Regierung zu protestieren.

Breite Mobilisierung gegen Kickl
Die Aktion der JöH ist nur der Auftakt einer Reihe von Protesten. Auch bekannte Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie Greenpeace, Volkshilfe und SOS Mitmensch haben zu einer weiteren Kundgebung aufgerufen. Diese soll am Donnerstag, dem 9. Januar 2024, um 18 Uhr ebenfalls auf dem Ballhausplatz stattfinden.

Weitere Aktionen erwartet
Die Kundgebungen in dieser Woche könnten erst der Anfang sein. Aktivist:innen kündigten an, weitere Aktionen zu planen, falls die Regierungsbildung tatsächlich in Richtung einer FPÖ-Kanzlerschaft geht.

Mit der anstehenden Demonstration am Donnerstag dürfte sich erneut zeigen, wie groß der Widerstand in der Zivilgesellschaft gegen eine rechtsextreme politische Führung ist. Die Botschaft ist klar: Die demokratischen Grundwerte Österreichs dürfen nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden.