Schutzsuchende sind in Ungarn gänzlich unerwünscht. Seit Jahren setzt das Land auf eine rigorose Praxis der Entrechtung und Gewalt. Betroffene können oft erst im Nachhinein in langwierigen Klageverfahren auf die Anerkennung der erlittenen Menschenrechtsverletzungen hoffen.

Grenzen schließen, Leistungen kappen, Grenzverfahren einführen oder Asylverfahren doch gleich in vermeintlich sichere Drittstaaten auslagern – die roten Linien in der Abschottungsdebatte sind aktuell ausradiert, der Forderungskatalog der Hardliner*innen scheint grenzenlos. Dabei werden das Grundrecht auf Asyl und die Menschenrechte Schutzsuchender aus unterschiedlichen Richtungen zur Disposition gestellt.

Ungarns Langzeit-Regierungschef Viktor Orbán verfolgt seit fast einem Jahrzehnt genau diese menschenrechtswidrige Abschottungspolitik. Regelmäßig wird das Land dafür vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) verurteilt. Die daraus resultierenden Straf- und Schadensersatzforderungen gehen in die Millionenhöhe. Ungarn galt bisher auch deswegen auf europäischer Ebene als isoliert. Doch der europäische Rechtsruck droht, diese menschenrechtswidrigen Praktiken salonfähig zu machen.

Ein Blick auf die ungarische Praxis zeigt die gravierenden Konsequenzen des Überbietungswettbewerbs der Verschärfungen für Geflüchtete. Die Abschottungspolitik Ungarns wird jedoch von der unerschrockenen Arbeit der PRO ASYL-Partnerorganisation und des Stiftungspreisträgers Hungarian Helsinki Committee begleitet. Trotz Anfeindungen und Kriminalisierung stehen sie entschlossen an der Seite Schutzsuchender, setzen sich für das Recht auf Schutz ein und begleiten Betroffene in langwierigen Klageverfahren.

Legalisierung der Pushbacks

Ungarn ist abgeschottet. Gleich zwei Zäune markieren die Grenze zwischen Serbien und Ungarn, sie werden verstärkt von Stacheldraht und Elektronik. Das Signal ist klar: Hier kommt keiner rein! Schon lange greift Ungarn zudem auf Gewalt zurück, um Geflüchtete nach Serbien zurückzudrängen.

Trotz mehrfacher Verurteilung vor europäischen Gerichten ändert Ungarn nichts an der menschenverachtenden Praxis.

Um diese Pushback-Praxis zu legalisieren, hat die ungarische Regierung im Jahr 2016 ein Gesetz erlassen, das Pushbacks an der Grenze erlaubt, 2017 wurde es auf das ganze Land ausgeweitet. Begründet wurde das Gesetz mit einem Ausnahmezustand als Reaktion auf eine angebliche sogenannte Massenmigration. Auf Grundlage des Gesetzes kann jede Person, die sich illegal in Ungarn aufhält, nach Serbien ohne Überprüfung des Asylgesuchs zurückgeschickt werden. Im Dezember 2020 stellte der EuGH in einem Vertragsverletzungsverfahren die Rechtswidrigkeit dieses Pushback-Gesetzes fest. Im Juli 2021 urteilte der EGMR erstmals, dass sowohl das Gesetz als auch die damit verbundene Praxis gegen die europäische Menschenrechtskonvention verstoßen. Es folgten viele weitere Urteile.

Dennoch sind Pushbacks an der ungarischen Grenze auch neun Jahre nach der Gesetzesinitiative weiterhin Alltag. Ihre mehrfach von europäischen Gerichten festgestellte Rechtswidrigkeit hat daran bisher nichts geändert – im Gegenteil: Die ungarische Polizei veröffentlicht die Zahlen zu diesen Pushbacks sogar offiziell. Im Jahr 2023 wurden 98.000 solcher Fälle registriert.

Da Ungarn an dieser Praxis festhält, sind Geflüchtete gezwungen, langwierige Klagewege zu durchlaufen, um zumindest die Anerkennung des ihnen widerfahrenen Unrechts durchzusetzen. Die meisten Betroffenen haben jedoch kaum eine realistische Chance, diesen Rechtsweg zu beschreiten. Die PRO ASYL-Partnerorganisation Hungarian Helsinki Committee kämpft regelmäßig für die Entschädigung der Opfer von Pushbacks – zuletzt erfolgreich in einem Fall vor dem EGMR im September 2024.

Aushungern in den Transitzonen

Auch Opfer von unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung begleitet das Hungarian Helsinki Committee bis heute.

Von September 2015 bis Mai 2020 inhaftierte Ungarn Geflüchtete in sogenannten Transitzonen in Röszke und Tompa, entlang des durchgängigen Grenzzauns zu Serbien. Schutzsuchende durften ihre Asylanträge ausschließlich in diesen Transitzonen stellen. Dort wurde zunächst im Rahmen eines sogenannten Grenzverfahrens die Zulässigkeit des Asylantrags geprüft Ab März 2017 wurde das Verfahren auf das reguläre Asylverfahren und das Rückführungsverfahren ausgeweitet. Die Antragsstellenden waren dort faktisch inhaftiert – ohne Rechtsgrund. Von der Inhaftierungspraxis wurden Familien mit Kindern und unbegleitete minderjährige Kinder und Jugendliche nicht verschont.

Im Jahr 2018 wurde erstmals bekannt, dass einer Person in der Transitzone die Essensversorgung komplett verweigert wurde. Mit dieser Praxis des Aushungerns sollte eine schnelle Ausreise bewirkt und der Gang vor Gericht verhindert werden. Der Asylantrag des betroffenen Familienvaters aus Afghanistan war zuvor als unzulässig abgelehnt worden, da Serbien für ihn als sicheres Drittland eingestuft wurde. Eine Entscheidung, gegen die er Klage einlegte. Ungarn argumentierte, eine Essensversorgung des Mannes sei nicht länger notwendig, da er jederzeit nach Serbien ausreisen könne. Dort wäre es ihm jedoch nicht möglich gewesen, seine Klage gegen diese Entscheidung weiterzuverfolgen. Der Schutzsuchende sah sich vor einer existenziellen Wahl gestellt: Entweder das Asylverfahren weiterverfolgen oder Nahrung erhalten.

Ungarn scheute auch bei vielen weiteren Schutzsuchenden nicht davor zurück, sie in solche verzweifelten Situationen zu bringen.

Denn dieser Fall blieb kein Einzelfall. In den folgenden Jahren erstritt das Hungarian Helsinki Committee insgesamt in 24 Fällen für 34 Personen durch Eilanträge vor dem EGMR die Versorgung in den Transitzonen. Den Betroffenen wurde für Zeiträume von einem bis zu acht Tagen das Essen verweigert.

Bis heute sind zahlreiche Fälle vor dem EGMR anhängig, bei denen das Hungarian Helsinki Committee für die Anerkennung und Entschädigung für diese und andere Rechtsverletzungen kämpft.

Zwar schloss Ungarn beide Transitzonen im Jahr 2020, nachdem der Zugang zum Asylverfahren durch ein neues Verfahren verhindert wurde. Die Strukturen der Transitzonen sind jedoch weiterhin vorhanden. Für die Umsetzung der durch die GEAS-Reformen vorgesehenen Screening- und Grenzverfahren sind sie jederzeit reaktivierbar.

Asylverfahren in Drittstaaten 

Nach der Schließung der Transitzonen im Jahr 2020 sollte der einzige Weg für Geflüchtete nach Ungarn über Verfahren in den nicht-EU Staaten Serbien oder die Ukraine führen. Seit Mai 2020 müssen, neben wenigen Ausnahmen, nahezu alle Asylsuchenden ein neues Botschaftsverfahren durchlaufen, um in Ungarn Schutz beantragen zu können. Diese Änderung stellte jedoch keineswegs eine Reaktion auf die Verurteilungen Ungarns durch europäische Gerichte dar, sondern wurde offiziell mit der Corona-Pandemie begründet, um die öffentliche Gesundheit zu schützen und der Ausbreitung von Covid-19 einzudämmen.

Um das Botschaftsverfahren zu initiieren, müssen Asylsuchende bei den ungarischen Botschaften in Kiew oder Belgrad einen Termin vereinbaren, um dort eine Absichtserklärung zur Asylantragstellung einreichen zu können. Darauf folgt ein langwieriges und kompliziertes Vorprüfverfahren. Theoretisch kann nach diesem Vorprüfverfahren bei einer der Botschaften die Einreise nach Ungarn zum Zwecke der Durchführung des Asylverfahrens gestattet werden. Erst dann würde das eigentliche Asylverfahren beginnen.

Dieses Verfahren ist jedoch nicht dazu eingeführt worden, den Zugang zum Asylverfahren für Schutzsuchende zu ermöglichen. Es ist vielmehr ein Mittel, um diesen Zugang zu verhindern. Das Hungarian Helsinki Committee wertet die ihnen vorliegenden offiziellen Statistiken zu den Botschaftsverfahren regelmäßig aus: In den letzten viereinhalb Jahren konnten sich nur 101 Personen an eine der Botschaften wenden, wobei nur 21 Einreiseerlaubnisse nach Ungarn für die Durchführung des Asylverfahrens erteilt wurden. Mit diesem Pseudoverfahren ist der Zugang zum Asylverfahren in Ungarn faktisch versperrt, während die Pushback-Praxis weiter fortgesetzt wird.

Ein einmaliges Urteil des EuGH

Angesichts der Pushback-Praxis und der systematischen Verhinderung des Zugangs zu Asylverfahren hat die EU-Kommission mehrfach Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet. Zuletzt stellte der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Juni 2024 in einem einmaligen Urteil fest, dass die Botschaftsverfahren und Pushback-Praxis Ungarns die Einheit des Unionsrechts gravierend bedrohen und schwerwiegende Auswirkungen auf die Rechte von Schutzsuchenden sowie auf das öffentliche Interesse haben.

Der EuGH verurteilte Ungarn zur Zahlung eines Pauschalbetrags von 200 Millionen Euro und eines Zwangsgelds von einer Million Euro pro Tag, solange die beanstandeten Umstände nicht behoben werden.

Bei aller Kritik an der GEAS-Reform würde diese im Vergleich zur aktuellen ungarischen Praxis sogar eine Verbesserung darstellen. Dies unterstreicht umso mehr, wie menschenverachtend und unrechtmäßig die derzeitige Praxis dort ist.

Das Hungarian Helsinki Committee hat die rechtswidrige Praxis Ungarns in zahlreichen Berichten dokumentiert und tritt weiterhin vehement für ein Ende der Pushbacks und das Grundrecht auf Asyl ein. »Dieses Urteil bedeutet hoffentlich das Ende der beschämenden Pushback-Praxis Ungarns. Die hohe Strafe ist die Folge der beispiellosen Weigerung, das frühere Urteil des Gerichtshofs zu befolgen«, kommentierte Anikó Bakonyi vom Hungarian Helsinki Committee das Urteil.

Ungarns Regierung wies das Urteil jedoch als inakzeptabel zurück und hält an der rechtswidrigen und menschenverachtenden Praxis fest.

Bei aller Kritik an den abgesenkten Standards im Umgang mit Asylsuchenden und den gravierenden Folgen der verabschiedeten GEAS-Reform würde diese im Vergleich zur aktuellen ungarischen Praxis sogar eine Verbesserung darstellen. Dies unterstreicht umso mehr, wie menschenverachtend und unrechtmäßig die derzeitige Praxis in Ungarn ist. Es ist daher wenig überraschend, dass Ungarn sich weigerte, diesen Reformen zuzustimmen. Daher ist auch zu befürchten, dass Ungarn an der bisherigen Praxis festhalten und die Anwendung der ab 2026 geltenden Verordnungen verweigern wird.

(ja)

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