In einem Offenen Brief mit mehr als 30 prominenten Erstunterzeichner*innen wendet sich die Kampagne „Friedensfähig statt erstschlagfähig: Für ein Europa ohne Mittelstreckenwaffen!“, einem Bündnis von knapp 50 Friedensinitiativen, an die Kandidierenden zur Bundestagswahl. Sie fordern die Politiker*innen auf, sich gegen die Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland auszusprechen und „für neue Verhandlungen über Rüstungskontrolle und die Abrüstung aller Mittelstreckenwaffen in Europa“ einzusetzen.
Die Unterzeichnenden fordern zudem ein Bekenntnis „zum mittelfristigen Ziel einer neuen Friedensordnung in Europa“. Sie beklagen, dass „die weitreichende Entscheidung zur Stationierung der US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland ohne jede öffentliche Begründung oder Debatte getroffen wurde“. Zu den 30 prominenten Erstunterzeichner*innen aus der Zivilgesellschaft gehören unter anderem die ehemalige EKD Ratsvorsitzende Dr. Margot Käßmann, die Schriftstellerin Daniela Dahn und der Umweltforscher Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker.
Am 10. Juli 2024 gaben die US-Regierung und die deutsche Bundesregierung bekannt, US-Raketen vom Typ SM 6, Tomahawk Marschflugkörper und Dark Eagle Hyperschallwaffen stationieren zu wollen. Sie unterliegen der Kontrolle der 2. Multi Domain Task Force der US-Streitkräfte, die bereits 2021 in Wiesbaden aktiviert wurde. Die Waffen sind somit Teil einer Strategie der USA, um binnen kürzester Zeit jeden Ort der Welt angreifen zu können. Die in Deutschland stationierten Waffen decken fast den kompletten europäischen Teil Russlands ab.
„Erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges sollen ab 2026 wieder US-Mittelstreckenwaffen nach Deutschland kommen. Weil die Stationierung nicht im Rahmen der NATO, sondern bilateral zwischen den USA und Deutschland vereinbart wurde, wäre Deutschland alleiniges Ziel eines möglichen russischen Gegenschlages. Kurz nach der Amtseinführung von Donald Trump als US-Präsident wollen wir mit diesem Brief im Wahlkampf einen wichtigen Akzent für Frieden und Abrüstung setzen“, erklärt Thomas Carl Schwoerer, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG VK) von der Kampagne.
Pressemitteilung von der Deutschen Friedensgesellschaft Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG VK)
Offener Brief an alle Kandidierenden zur Bundestagswahl 2025
24. Januar 2025
Sehr geehrte Damen und Herren,
erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges sollen ab 2026 wieder US-Mittelstreckenwaffen nach Deutschland kommen. Am 10. Juli 2024 gaben die US-Regierung und die deutsche Bundesregierung bekannt, US-Raketen vom Typ SM-6, Tomahawk-Marschflugkörper und Dark-Eagle-Hyperschallwaffen stationieren zu wollen. Sie unterliegen der Kontrolle der 2. Multi Domain Task Force der US-Streitkräfte, die bereits seit 2021 in Wiesbaden aufgebaut wird. Die Waffen sind somit Teil einer Strategie der USA (Conventional Prompt Global Strike), um binnen kürzester Zeit jeden Ort der Welt angreifen zu können. Die in Deutschland stationierten Waffen decken fast den kompletten europäischen Teil Russlands ab. Aufgestellt werden sie möglicherweise am Standort der 41. US-Feldartillerie-Brigade im oberfränkischen Grafenwöhr.
Zusätzlich wurde bekannt, dass Deutschland mit weiteren europäischen Staaten die Entwicklung eigener Mittelstreckenwaffen im Rahmen des Projektes ELSA vereinbart hat.
Es ist einer Demokratie nicht würdig, dass die weitreichende Entscheidung zur Stationierung der US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland ohne jede öffentliche Begründung oder Debatte getroffen wurde. Der Bundestag hatte keinerlei Mitsprache! Es ist zudem nicht nachvollziehbar, warum die Stationierung nicht im Rahmen der NATO, sondern bilateral zwischen den USA und Deutschland vereinbart wurde.In der Folge ist Deutschland alleiniges Ziel eines möglichen Gegenschlages. Die Verfügungsgewalt über die Waffen liegt bislang ausschließlich bei den USA. Ebenso kritikwürdig ist, dass die Ankündigung – anders als der NATO-Doppelbeschluss von 1979 – kein Verhandlungsangebot an Russland über den beidseitigen Verzicht auf derartige Waffen enthält.
Die Kündigung des INF-Vertrages durch US-Präsident Donald Trump 2019 hat eine gefährliche Regelungslücke hinterlassen und ein neues Wettrüsten mit Mittelstreckenwaffen eröffnet. Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Aufrüstung in Ost und West befeuert und gefährdet den Frieden in ganz Europa.
Die Ukraine setzt mittlerweile weitreichende Raketen und Marschflugkörper gegen russische Ziele ein. Moskau hat daraufhin im November 2024 bei Angriffen auf das ukrainische Dnipro erstmals eine neu entwickelte Mittelstreckenrakete eingesetzt und mit weiteren Einsätzen gedroht. Diese unverantwortliche Eskalation verunsichert die Menschen auch in Deutschland und stärkt jene, die eine vermeintliche „Fähigkeitslücke“ der NATO mit landgestützten Mittelstreckenwaffen schließen wollen.
Expertinnen und Experten wie Oberst a.D. Wolfgang Richter zeigen jedoch, dass es nicht sinnvoll ist, einzelne Waffengattungen gegeneinander aufzurechnen. Mehrere aktuelle Studien weisen nach, dass die NATO Russland militärisch in nahezu allen Bereichen klar überlegen ist und über zahlreiche weitreichende Waffensysteme auf U-Booten, Schiffen und Flugzeugen verfügt. Die landgestützten US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland würden in erster Linie ein gefährliches Wettrüsten befeuern und das Kriegsrisiko auch in Deutschland deutlich erhöhen.
Wir rufen Sie, sehr geehrte Kandidierende zur Bundestagswahl 2025, daher auf:
Sorgen Sie dafür, dass keine US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland stationiert werden! Lassen Sie außerdem nicht zu, dass Deutschland sich an der Entwicklung eigener europäischer Mittelstreckenwaffen beteiligt!
Die Stationierung von schnellen, präzisen und schwer abzufangenden Mittelstreckenwaffen in Deutschland führt dazu, dass die USA binnen Minuten – also nahezu ohne Vorwarnzeit – strategische Ziele wie Raketensilos, Kommandozentralen, Entscheidungszentren und auch Frühwarnsysteme in Russland zerstören können. Russland wird darauf reagieren und seinerseits Waffen mit vergleichbaren Fähigkeiten auf Deutschland richten. Die Folge wäre nicht mehr Sicherheit, sondern eine gefährliche Instabilität, in der ein einziger Irrtum oder Fehler ausreicht, um die Welt mitten in einen Atomkrieg zu führen. Das kann und darf nicht in unserem Interesse sein!
Setzen Sie sich mit Nachdruck für neue Verhandlungen über Rüstungskontrolle und die Abrüstung aller Mittelstreckenwaffen ein (multilaterales Folgeabkommen zum INF-Vertrag) und bekennen Sie sich zum mittelfristigen Ziel einer neuen Friedensordnung in Europa!
Die europäische Geschichte zeigt, dass Rüstungskontrollverträge und Strukturen der gemeinsamen Sicherheit und Zusammenarbeit der einzige Weg sind, um Konfrontationen ohne Blutvergießen beizulegen und Aufrüstungsspiralen zu durchbrechen. Der INF-Vertrag hatte die Vernichtung und das Verbot einer ganzen Waffengattung in der Sowjetunion und den USA zur Folge. Er läutete so das Ende des Kalten Krieges und eine Epoche gemeinsamer Sicherheit in Europa ein. Deutschland hat der Diplomatie der 1980er-Jahre viel zu verdanken. Daher muss gerade jetzt das Signal für neue Initiativen der Rüstungskontrolle und des Dialogs aus Berlin kommen!
Unterzeichnende:
PD Dr. Johannes Becker, Friedens- und Konfliktforscher
Prof. Dr. Hanne-Margret Birckenbach, Friedensforscherin
Prof. Dr. Karl Hans Bläsius, Informatiker mit Fachgebiet KI
Prof. Dr. Peter Brandt, Historiker und Publizist
Prof. Dr. Jochen Cornelius-Bundschuh, Bischof i. R., Vorsitzender der AGDF
Daniela Dahn, Schriftstellerin
Prof. Dr. Frank Deppe, Politikwissenschaftler
Prof. Dr. Alex Glaser, Physiker, Princeton University
Jürgen Grässlin, Rüstungskritiker und Buchautor
Antje Heider-Rottwilm, OKRin. i. R., Vorsitzende von Church and Peace
Stefan Hügel, IT-Berater, Vorsitzender FIfF e.V.
Dr. Hannes Jung, Physiker, DESY emeritus, Science4Peace
Dr. Margot Käßmann, Theologin
Sandra Klaft, Projektleiterin Peace for Future
Prof. Dr. Hans-Jörg Kreowski, Informatiker, Bremen
Dr. Matthias Kreplin, Mitglied der Kirchenleitung der Evangelischen Landeskirche in Baden
Dr. Moritz Kütt, Physiker, IFSH
Ruth Misselwitz, Pfarrerin i.R.
Prof. Dr. Klaus Moegling, Politikwissenschaftler
Dr. Max Mutschler, Friedens- und Konfliktforscher, BICC
Rainer Rehak, Informatiker und Philosoph, FIfF
Clemens Ronnefeldt, Referent für Friedensfragen Versöhnungsbund
Prof. Dr. Werner Ruf, Politikwissenschaftler und Friedensforscher
Prof. Dr. Jürgen Scheffran, Klima- und Friedensforscher, Universität Hamburg
David Scheuing, Verantw. Redakteur Wissenschaft und Frieden
Hans von Sponeck, Beigeordneter UNO-General-Sekretär a. D.
Peter Vonnahme, Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof i. R.
Peter Wahl, Autor, Attac-Mitbegründer
Dr. Gregor Walter-Drop, Politikwissenschaftler
Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker, Umweltforscher
Prof. Dr. Werner Winzerling,Informatiker, Magdeburg
Dr. Theodor Ziegler, Religionspädagoge
Dr. Michaela Zöhrer, Friedensforscherin
Andreas Zumach, Journalist
Dieser Brief wurde organisiert und wird unterstützt von den mehr als 45 Mitgliedsorganisationen der Kampagne „Friedensfähig statt erstschlagfähig. Für ein Europa ohne Mittelstreckenwaffen!“. Mehr Infos: friedensfaehig.de