Die “Letzte Generation” gibt nach Österreich auch in Deutschland das Ende ihrer Kampagne bekannt. Der Politikwissenschafter Reinhard Steurer sieht keinen Sinn mehr darin, die Klima-Tagespolitik zu kommentieren, wie er es so lange getan hat. Die Klimabewegung scheint erschöpft. Doch zur gleichen Zeit tun sich an anderen Fronten neue Protestformen auf.
von Paula Dorten (moment.at)
Lange war er der obligatorische Experte in allen Fernsehformaten, der wissenschaftliche Gegenpol zu Bremser:innen und Leugner:innen in Medienbeiträgen zur Klimakrise. Seit Herbst ist aber Stille. Da hat Reinhard Steurer angekündigt, keine Interviews zu tagesaktueller Klimapolitik mehr zu geben, weil das keinen Sinn mehr mache. MOMENT.at war lange das einzige Medium, das sich gemeldet hat, um mit ihm darüber zu sprechen, sagt er. (Anm.: Das stimmte zum Zeitpunkt unseres Gesprächs Ende 2024. Mittlerweile hat auch FM4 dazu einen Beitrag gesendet.)
Eigentlich wollen wir uns im Park treffen, aber am Nachmittag steht die Sonne doch schon zu tief. Reinhard Steurer ist Professor für Klimapolitik an der Boku Wien, wo wir uns stattdessen treffen. Wir setzen uns in einen kleinen Konferenzraum, vor uns zwei Gläser Wasser.
Wenn die Märchenerzählung gewinnt
Die FPÖ hat trotz permanenter Leugnung der menschengemachten Klimakrise bei der Nationalratswahl triumphiert. Die USA haben mit Trump noch eins draufgesetzt. Der hat die Klimawissenschaft als “großen Betrug” bezeichnet. International fahren Rechte mit plumpem Populismus Erfolge ein.
Bullshit bedeutet, dass sich eine Mehrheit gar nicht mehr dafür interessiert, was stimmt und was nicht stimmt. Sie wählt einfach das, was besser klingt.
“Eine große Mehrheit wendet sich von der bedrückenden Faktenlage ab und läuft den Märchenerzählern nach”, erzählt Steurer. “Spätestens seit den Wahlen sieht man, wie sehr der öffentliche Diskurs von Bullshit dominiert wird. Und Bullshit bedeutet, dass sich eine Mehrheit gar nicht mehr dafür interessiert, was stimmt und was nicht stimmt. Sie wählt einfach das, was besser klingt.”
Das zeigt sich auch in Umfragen zu anderen Themen. In den USA ist das Vertrauen in Wissenschaft und Forschung seit der Corona-Pandemie um zehn Prozent gesunken. Forschende werden mittlerweile nicht mehr nur frustrierend oft ignoriert – sondern angegriffen. Die Hurricanes in den USA brachten nicht nur Sturmfluten, sondern genauso Fluten an Morddrohungen und Beschuldigungen gegen Meteorolog:innen. Zuvor hatten republikanische Politiker:innen gezielt Falschnachrichten verbreitet und erzählt, die Wissenschaftler:innen seien schuld an den Naturkatastrophen.
“Dann wird die Wissenschaft selber zur Märchenerzählung”, meint Steurer und runzelt die Stirn. Er beobachte das mit Sorge.
“Wenn eine Gletscherforscherin behauptet, mit bravem Klimaschutz kommen die Gletscher wieder zurück, dann wird es für mich sehr bedenklich. Zwar macht man das, um die Menschen zu motivieren, aber das macht das Problem noch größer. Unsere Aufgabe ist weder optimistisch noch pessimistisch zu sein, sondern realistisch.” Doch die Realität sei den Märchen im Moment unterlegen.
Die Fakten lassen keine Zuversicht mehr zu
Reinhard Steurer ist die immergleichen Sager müde. “Was bringt es, die 29. Weltklimakonferenz zu kommentieren, die versagt? Wohlwissend, dass es der Mehrheit der Österreicher eh wurscht ist?” Die Gesellschaft halte sich die Ohren zu. “Wenn man schon froh sein muss, dass ein Klimakrisen-Verharmloser mit viel Hausverstand aber wenig Sachverstand Bundeskanzler bleibt, weil es noch schlimmer kommen könnte, dann sage ich besser nichts mehr”, meint Steurer.
Das liegt für ihn vor allem auch am medialen Diskurs. Oder eher an jenem, den er vermisst. Denn der aktuelle ist zu oft von einer “falschen Balance” geprägt. “Zwei Klimakrisen-Leugner versus zwei aus Wissenschaft oder Aktivismus. Das brauche ich nicht mehr. Ich habe das lang genug gemacht”, meint Steurer. Er will nicht mehr mitspielen. Reinhard Steurer erzählt das fast trocken. Es sei ein Prozess gewesen, das zu realisieren, meint er. “Ich habe jetzt drei Jahre sehr viel Medienarbeit und Zeit investiert und ich sehe nicht mehr, dass der Aufwand dafür steht.” Irgendwann reiche es dann einfach.
Für Steurer ist das alles auch gar kein Aufgeben von Hoffnung. Eher ein Bewerten davon, was noch etwas bringt und was nicht. Er kann Zuversicht nicht mehr authentisch vermitteln, weil das die Fakten eben einfach nicht hergeben. “Wenn ich mir anschaue, wie sich das Klima in den letzten eineinhalb Jahren entwickelt hat, dass sich unser sehr kurzes Zeitfenster schließt, das uns noch bleibt, dann sehe ich nicht, wie sich das noch ausgehen soll.”
Das Versagen der Gesellschaft
Dass die Märchen im Moment gewinnen, heißt aber nicht, dass die Klimabewegung versagt hat. Kurz einmal habe es ja wirklich gut ausgeschaut. Steurer denkt da an 2019 zurück, als Fridays For Future mit Massenprotesten gezeigt hat, was an Dynamik möglich ist. Er habe geglaubt, wir würden es als Gesellschaft wirklich angehen. “Dann ist die Bewegung durch die Pandemie abgewürgt worden”, sagt er. Die Demos kamen in ihrer Größe nicht zurück.
Dann ein zweites Mal der Versuch, eine Welle zu erzeugen. Diesmal die “Letzte Generation” mit Klebeaktionen. Sie hatten sich in Kleingruppen auf Straßen geklebt und so den Verkehr blockiert. Steurer selbst hätte nicht gedacht, dass Leute so weit gehen – sich verhaften und einsperren lassen. Das habe ihm Mut gemacht. Aber wieder kam der Stillstand, ja sogar eine Rückwärtsbewegung in Politik und Gesellschaft.
“Manchmal muss man einfach einsehen, dass man gegen das Gesellschaftsversagen nicht länger ankommt. Gesellschaft und Regierung haben sich für das fossile Weiter-so entschieden.”
Zu wenig Rückhalt für Klimaproteste
“Die Regierung hat mit Inkompetenz geglänzt”, sagt auch Mina Canaval von der Letzten Generation, “die haben nicht einmal ansatzweise daran gedacht, dass man vielleicht das Klima schützen könnte. Sie haben sich ja auch noch mit der Schärfung der Strafen gegen uns profiliert.” Das sei der Moment gewesen, als Gesellschaft Stellung zu beziehen, sich mit den Klimaaktivist:innen solidarisch zu zeigen. Es wäre wohl alles anders gekommen, hätten sich 1000 statt 30 Leute auf die Straßen geklebt. Aber die Dynamik blieb aus. Die “Letzte Generation” bekam viele Zurufe und Attacken ab, für die Form ihres Protests – aber anders oder gar besser machen wollte oder konnte es selbst offenbar niemand.
Also hat die “Letzte Generation” in Österreich im August 2024 das Ende ihrer Aktionen bekannt gegeben. “Manchmal muss man einfach einsehen, dass man gegen das Gesellschaftsversagen nicht länger ankommt”, sagt Canaval. “Gesellschaft und Regierung haben sich für das fossile Weiter-so entschieden.” Im Dezember folgte die “Letzte Generation” Deutschland mit der Entscheidung, sich umzubenennen und die Aktionen zu beenden. Etwas anderes soll folgen.
Die Frage nach dem Mehrwert
Irgendwann muss man sich dann eben die Frage nach dem Mehrwert stellen. Das findet auch Teresa Tausch von “Wir fahren gemeinsam”. Für die Kampagne haben sich die Gewerkschaft Vida und die Klimaorganisationen “System Change not Climate Change” und “Fridays For Future” zusammengetan. Gemeinsam kämpfen sie für bessere Arbeitsbedingungen in der Busbranche und eine Mobilitätswende. Es ist einer der oft vermissten Versuche, den Schulterschluss von Arbeiter:innen und Klimabewegung zu schaffen. Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit zu vereinen.
Mittlerweile hätte man eben auch das ganze Spektrum durchprobiert: von Großdemos bis Straßenblockaden. Zu den klassischen, bewährten Protestformen brauche es neue Ansätze, findet Tausch. Das politische To-Do sei nicht erledigt, wenn man einmal im halben Jahr auf die Straße geht.
Was also, wenn es gar nicht an der Aktionsform liegt, sondern daran, wer damit erreicht wird? Und das bleibt bisher ein Teil einer vor allem weißen, sehr akademischen Elite. “Wir fahren gemeinsam” will das ändern und die Klima-Bubble aufbrechen für die Menschen, die die Gesellschaft durch ihre Arbeit tragen und gleichzeitig am stärksten von der Klimakrise betroffen sind. Sprich: Die Klimafrage als Klassenfrage stellen.
“Wir müssen strategisch umdenken”, sagt Tausch, “und Kämpfe verknüpfen. Wir können nicht sagen: Jetzt ist es vorbei. Wir müssen uns immer wieder neu aufstellen und schauen, wie wir das auf die Reihe kriegen.”
Wo bleibt der Funke?
Und zwar als Gesamtgesellschaft, meint Canaval. Nicht die Klimabewegung alleine. “Alle tun dann immer so, als wäre das ein Spezialinteresse dieser Randgruppe”, sagt sie. “Aber wir sprechen ja auch über andere Bereiche nicht so. Es tut sich auch niemand schwer zu sagen: Ja, die Wirtschaft betrifft uns alle. Da gibt es keine ‘Wirtschaftsbewegung’.”
„Mittlerweile, glaube ich, braucht es sowas wie ein gesellschaftliches Wunder. Und nachdem Wissenschaftler nicht unbedingt an Wunder glauben, bin ich nicht mehr allzu optimistisch.”
“Wenn eine Gesellschaft will, ist viel möglich”, sagt Steurer, “Aber mittlerweile, glaube ich, braucht es sowas wie ein gesellschaftliches Wunder. Und nachdem Wissenschaftler nicht unbedingt an Wunder glauben, bin ich nicht mehr allzu optimistisch.”
Trotzdem glaubt er, dass viele bereit wären, sich zu engagieren. Aber sie würden vielleicht auf einen günstigeren Zeitpunkt warten. “Wenn wir Glück haben, kommt der rechtzeitig”, so Steurer. Sozialforscher:innen sprechen da von sozialen Kipppunkten. Oder wirtschaftspolitischen. Darauf zählen einige.
Man denke als Beispiel nur an ein anderes Thema. Etwa an die Proteste gegen Rechtsextremismus in Deutschland, meint auch Canaval. Da waren Recherchen der Plattform Correctiv zu einem Geheimtreffen Rechtsextremer der Funke für große Proteste. “So kann es auch mit der Klimawende sein”, meint sie.
Demokratie verteidigen
Das politische Feld, auf dem der Kampf für Klimagerechtigkeit ausgetragen wird, ist über die Jahre jedenfalls verrückt. Der Versuch der “Letzten Generation” war vor zwei Jahren genau richtig, meint Steurer. Im Jahr 2025 wäre er das nicht. Jetzt müsse man darauf achten, Rechtspopulist:innen mit gewissen Forderungen nicht in die Hände zu spielen.
“Seit den Wahlen in dem Jahr ist Klimaschutz nicht mehr die Priorität Nummer eins”, sagt Steurer: “Ich glaube, im Moment ist die unmittelbar größte Bedrohung, dass wir, bevor es Klima-mäßig katastrophal wird, Gefahr laufen, die Demokratie zu verlieren.”
Dafür braucht es einen Gegenentwurf zu den Erzählungen der Rechtspopulist:innen. “Es ist sinnvoll, dass es zu verschiedenen Zeiten verschiedene Personen und Akteure gibt, die das übernehmen”, meint Steurer: “Wenn andere Wissenschaftler in der Lage sind, in der Gemengelage noch eine positive Erzählung zustande zu bringen, dann lasse ich ihnen gerne den Vortritt”.
Jetzt widmet er sich jedenfalls erst einmal seinem Buch, das wegen viel Medienarbeit lange liegen geblieben ist. Darin will er zukünftigen Generationen erklären, wieso der Kampf für Klimagerechtigkeit nicht erfolgreich genug war: das habe auch damit zu tun, dass wir uns als Gesellschaft selbst mit angenehmen Lügen und Ausreden betrogen haben und es immer noch tun. Weiter unterrichten wird er natürlich auch. Wobei ihm das zurzeit viele Gedanken bereitet, erzählt er. Denn die Studierenden wirken oft bedrückt von seiner schonungslosen Ehrlichkeit zur aktuellen Klimapolitik. Die eigentliche Zumutung sei allerdings nicht das, was er ihnen sage, sondern die Realität dahinter.
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