Bundeswehr-Kommandeure fordern Einstimmung der Bevölkerung auf Kriegssituationen, dringen auf stärkeren „Willen zur Selbstbehauptung“. Bundesregierung arbeitet an „Bunker-App“. CDU-Politiker spekuliert über „Spannungsfall“.
Eine wachsende Zahl an Kommandeuren der Bundeswehr dringt öffentlich auf eine Einstimmung der Bevölkerung auf Kriegssituationen und verlangt die Förderung einer dazu passenden Mentalität. Man müsse die Menschen darauf vorbereiten, dass im Kriegsfall „konservativ mit 1.000 Verwundeten pro Tag“ an der Front im Osten zu rechnen sei, erklärt etwa der Kommandeur des Bundeswehr-Landeskommandos Baden-Württemberg; dann werde auch in zivilen Krankenhäusern „der schwer verwundete Soldat zuerst behandelt …, der Blinddarm-Patient später“. Man müsse sich „darauf einstellen“, „dass auch auf dieses Land wieder geschossen werden kann“, verlangt der Kommandeur des Landeskommandos Schleswig-Holstein; daher gelte es, Bunker „wieder nutzbar“ zu machen. Während die Bundesregierung laut Berichten eine „Bunker-App“ erarbeitet, fordert ein hochrangiger deutscher NATO-Kommandeur von der deutschen Bevölkerung einen stärkeren „Wille[n] zur Selbstbehauptung“. Zugleich kritisiert der CDU-Außen- und Militärpolitiker Roderich Kiesewetter, die deutschen „Antworten“ auf die angebliche Bedrohung durch Russland sähen weder NATO-Konsultationen noch die Ausrufung des Spannungsfalls vor.
„Gesamtgesellschaftliche Aufgaben“
Eine steigende Zahl an Kommandeuren der Bundeswehr, darunter ganz besonders solche, die „Heimatschutz“-Einheiten befehligen, dringen darauf, die deutsche Bevölkerung auf einen möglichen Krieg inklusive militärischer Angriffe auf die Bundesrepublik vorzubereiten. „Verteidigung und Widerstandsfähigkeit sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben“, erklärt etwa General Christian Badia, stellvertretender Kommandeur des Allied Command Transformation (ACT) der NATO in Norfolk (US-Bundesstaat Virginia), in einem Interview, das das deutsche Verteidigungsministerium zu Jahresbeginn verbreitet.[1] „Sicherheit“ dürfe nicht mehr nur „Aufgabe der Polizei im Inneren und der Bundeswehr im Rahmen der äußeren Sicherheit sein“, fordert Badia. Vielmehr müssten „unsere Gesellschaften“ in Zukunft „in der Lage sein, strategische Schocks … bestehen und überwinden zu können“, etwa „einen langfristigen Stromausfall aufgrund eines Cyberangriffs“. Ein klarer „Wille zur Selbstbehauptung“ sei erforderlich. Als Beispiel dafür, „wie das geht“, nennt Badia die Ukraine, deren Bevölkerung die Fortsetzung des Krieges bis zum Sieg lange mehrheitlich befürwortert und ein Leben unter Feuer ertragen hat. Auf die Frage, welche Rolle in Krisen und Kriegen „das Mindset der Bevölkerung“ spiele, antwortet Badia: „Eine sehr entscheidende!“
„Die Angriffsphase läuft schon“
Ähnlich äußern sich auch mehrere Kommandeure von Landeskommandos der Bundeswehr, denen es unter anderem obliegt, die Heimatschutzregimenter zu führen – im Wesentlichen aus Reservisten gebildete Truppen, die im Falle einer Krise oder eines Krieges zur Sicherung der „Heimatfront“ eingesetzt werden.[2] Zu ihrer Tätigkeit zählt es auch, die Inlandsaktivitäten der Bundeswehr mit den zuständigen zivilen Stellen abzustimmen. „Wir müssen am Mindset der Bevölkerung arbeiten“, erklärt im Hinblick darauf beispielsweise der Kommandeur des Landeskommandos Baden-Württemberg, Kapitän zur See Michael Giss.[3] Giss war Anfang Januar im Gespräch mit der Schwäbischen Zeitung aus Ravensburg einerseits bemüht, eine gewisse Alarmstimmung zu kreieren. Man erlebe aktuell „eine Angriffsphase des Gegners“ – Russlands –, „die schon läuft“, äußerte er; „jeden Tag“ fänden in Deutschland Cyberattacken, „Sabotage-Akte“ und Ähnliches statt. „Kundschafter“ des Gegners reisten „mit offenen Augen“ durch die Bundesrepublik, spähten den „Bauzustand einer Autobahnbrücke“ oder auch „irgendwelcher Kraftwerke, irgendwelcher Schleusen“ aus, um herauszufinden, „wo wir … vielleicht verletzbar und verwundbar sind“. Informationen würden dann schließlich an die Auftraggeber „gemeldet, damit sich der Gegner auf die nächste Angriffswelle vorbereiten kann“.
„Wenn die NATO rollt“
Andererseits suchte Giss die Lage, die bei einem Krieg gegen Russland zu erwarten wäre, plastisch zu schildern, um die Bevölkerung auf Einschränkungen und auf Leid vorzubereiten. „Wenn die NATO rollt“, dann würden „800.000 Soldaten mit Fahrzeugen und allem, was dazugehört, Deutschlands Straßen dicht machen“, schilderte Giss die Situation. Das werde „nicht für einen Tag so sein, sondern vielleicht für einige Wochen oder Monate“.[4] Das solle man „den Leuten jetzt in Ruhe erklären“. Anschließend müsse „die Planung losgehen“. Dabei könne „jeder … bei sich selbst anfangen“: „Wenn man sich mal zehn Liter Wasser und ein paar Nudelbüchsen in den Keller legt, kann das nie schaden.“ Bei alledem müsse man sich im Klaren darüber sein, dass man im Kriegsfall „konservativ mit 1.000 Verwundeten pro Tag“ an der Ostfront zu rechnen habe: „Diese müssten dann über die Rettungskette nach Deutschland zurückgebracht und irgendwo in Deutschland versorgt werden.“ Dazu würden auch zivile Krankenhäuser genutzt: „Und da muss man sich darauf einstellen, dass der schwer verwundete Soldat zuerst behandelt wird, der Blinddarm-Patient später. Auf diese Aspekte“, schloss Giss Anfang Januar im Gespräch mit der Schwäbischen Zeitung, „muss man die Bevölkerung so vorbereiten, dass sie es versteht.“
Die Bunker-App
Bereits Ende Dezember hatte auch der Kommandeur des Landeskommandos Schleswig-Holstein, Oberst Axel Schneider, in dem Springer-Blatt „Bild“ eine „klarere Ansprache der Bevölkerung“ gefordert. „Es ist wichtig, dass Menschen in einem Ernstfall drei Tage ohne Hilfe klarkommen können und nicht gleich nach dem Staat oder dem Bürgermeister rufen“, erklärte Schneider. Da man sich heute „darauf einstellen“ müsse, „dass auch auf dieses Land wieder geschossen werden kann“, gelte es nicht zuletzt, „Schutzräume … wieder nutzbar“ zu machen.[5] Das zuständige Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) hat mittlerweile eine Bestandsaufnahme gemacht; demnach sind deutschlandweit von ehedem 2.000 öffentlich zugänglichen Bunkern zur Zeit noch 579 nutzbar und bieten knapp 500.000 Menschen Schutz.[6] Dies genüge, heißt es, nicht. Als Vorbild wird häufig Finnland genannt, für dessen 5,5 Millionen Einwohner es 50.500 Schutzräume gebe. Bunkerkonstrukteure raten, eigenständig Vorsorge zu treffen; bereits heute gebe es in Deutschland, so wird berichtet, gut 84.000 Privatbunker.[7] Laut Berichten ist inzwischen zudem ein „nationaler Bunker-Plan“ in Arbeit.[8] Unter anderem soll in Zukunft eine „Bunker-App“ das Auffinden nahe gelegener Schutzräume erleichtern [9] – dann jedenfalls, wenn das Internet noch funktioniert.
Ungenutzte Möglichkeiten
Beschränkten sich deutsche Politiker bislang weitgehend darauf, mehr „Kriegsbereitschaft“ respektive einen „Mentalitätswechsel“ in der Bevölkerung zu fordern, so werden mittlerweile erste Stimmen laut, die auch formal eine Abkehr vom Friedenszustand fordern. So behauptete kürzlich der CDU-Außen- und Militärpolitiker Roderich Kiesewetter, ein Oberst a.D., auf X, Russland befinde sich „nicht mehr nur im Informationskrieg“ gegen den Westen, „sondern greift in einer Vorstufe an“. „Unsere bisherigen Antworten auf diese Bedrohung“, kritisierte Kiesewetter, „nutzen nicht die Möglichkeiten von Art. 4 Konsultationen des NATO-Vertrages oder den Spannungsfall.“ Art. 4 des Nordatlantikvertrags sieht offizielle Konsultationen der NATO-Staaten vor. Der Spannungsfall wiederum, der mit Zweidrittelmehrheit in aller Form vom Bundestag festgestellt werden muss, wird in Reaktion auf erhöhte militärische Spannungen ausgerufen. Er erlaubt besondere staatliche Eingriffe und gilt als Vorstufe zum Verteidigungsfall, der mit massiven Einschränkungen demokratischer Rechte verbunden ist.
[1] Markus Tiedke: „Verteidigung und Widerstandsfähigkeit sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben“. bmvg.de 03.01.2025.
[2] S. dazu Auf Krieg einstellen (IV).
[3], [4] Ludger Möllers: Der Feind heißt Russland: „Die Angriffsphase des Gegners läuft schon“. schwaebische.de 02.01.2025.
[5] „Wir müssen den Deutschen mehr zumuten“. bild.de 29.12.2024.
[6] Wie es um deutsche Bunker bestellt ist. zdf.de 26.11.2024.
[7] Bunker in Deutschland sind „mit geringem Aufwand“ wieder einsatzbereit. n-tv.de 14.12.2024.
[8] Julian Loevenich: Das ist der Bunker-Plan für Deutschland. bild.de 25.11.2024.
[9] Antonio Mastroianni: Schutz in Krisenzeiten: Bund plant Bunker-App. chip.de 26.11.2024.