Der Fall Niehoff zeige eine bedenkliche Entwicklung auf, sagt unsere Autorin, eine promovierte Richterin. Das Recht auf Meinungsfreiheit müsse gewahrt bleiben.

Von Clivia von Dewitz

Und wieder beantragt ein Staatsanwalt – dieses Mal in Bayern – eine Hausdurchsuchung bei einem Bürger, nämlich bei Stefan Niehoff, der einfach von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht hat. Und wieder wird ein Hausdurchsuchungsbeschluss von einer Richterin erlassen mit der Folge, dass morgens um 6.15 Uhr mehrere Polizeibeamte vor der Tür eines unbescholtenen Bürgers stehen, um seine Wohnung zu durchsuchen.

Hausdurchsuchungen finden in einem Verfahrensstadium statt, in dem die Aufklärung einer potenziellen Straftat im Vordergrund steht, richten sich mithin gegen potenzielle Straftäter und beschränken daher den Schutz der Unschuldsvermutung. Deswegen sind sie nur unter engen Voraussetzungen (vgl. § 102 StPO und Art. 13 GG) zulässig und verhältnismäßig. So muss ein konkreter Anfangsverdacht auf eine Straftat vorliegen. Weiter kann eine Hausdurchsuchung zum „Zwecke der Ergreifung als auch dann vorgenommen werden, wenn zu vermuten ist, dass die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen werde“. So steht es in § 102 Strafprozessordnung (StPO).

Da der Beschuldigte in Niehoffs Fall nicht verhaftet wurde, scheidet der Zweck der Ergreifung aus. Bleibt der Zweck, Beweismittel zu sichern. Was sollen das für Beweismittel sein in einem Fall, in dem ein Bürger auf dem Kurznachrichtendienst X einen Tweet lediglich retweetet (und nicht einmal selbst erstellt) hat, auf dem der amtierende Wirtschaftsminister Robert Habeck in Anlehnung an eine Werbung für die Haarpflegemarke Schwarzkopf als „Schwachkopf PROFESSIONAL“ bezeichnet wird? Der Computer, mit dem er dies retweetet hat? Am Ende wurde tatsächlich ein Tablet beschlagnahmt.

Eine Anwendbarkeit des § 188 StGB liegt fern

Es heißt, Hausdurchsuchungen dienten der Verhinderung zukünftiger und der Aufklärung bereits begangener Straftaten. Für die Klärung der Frage, ob dieser Tweet den Tatbestand der Beleidigung gegen Normalsterbliche nach § 185 StGB beziehungsweise gegen Personen des politischen Lebens nach § 188 StGB erfüllt, brauchte es keinerlei Beweismittel. Hier geht es um rein rechtliche Fragen. Für die Beantwortung der Frage, ob der Beschuldigte den Tweet selbst abgesetzt hat, müsste in derartigen Bagatellfällen wohl abgewartet werden können, ob ein Geständnis erfolgt. Die Beschlagnahme des Tatmittels, die in Zweifelsfällen der einzige Weg zu einer sicheren Täterfeststellung sein mag, muss auf schwerwiegende Straftaten beschränkt bleiben.

Weitere Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen den Adressaten der jüngsten Hausdurchsuchung, Stefan Niehoff, wegen Volksverhetzung werden in dem Beschluss des Amtsgerichts Bamberg, das die Hausdurchsuchung angeordnet hat, nicht erwähnt. Dass es möglicherweise auch noch eine Ermittlung wegen Volksverhetzung gab, muss daher für diesen Fall unbeachtet bleiben, auch wenn es in dem Beschluss wohl versehentlich heißt: „in dem Ermittlungsverfahren gegen … wegen Volksverhetzung“.

Eine Beleidigung von Politikern gemäß § 188 StGB liegt fern, da die weitere, den Tatbestand einschränkende Voraussetzung, dass nämlich die Tat geeignet sein muss, das öffentliche Leben der Person des politischen Lebens „erheblich zu erschweren“, hier sicher nicht vorliegt. Eine Begründung diesbezüglich lässt der Hausdurchsuchungsbeschluss auch vermissen.

Wäre nicht ein Politiker mit „Schwachkopf PROFESSIONAL“ bezeichnet worden, sondern ein normaler Bürger, ist fraglich, ob hier ein Strafverfahren eingeleitet worden wäre. Keiner möchte als Schwachkopf bezeichnet werden, so viel ist klar. Die Frage ist aber, ob durch eine solche Bezeichnung schon die Schwelle zu einem strafbaren Verhalten überschritten wurde. Eine beleidigende Äußerung ist nach § 185 StGB nur dann strafbar, wenn durch die Äußerung Missachtung oder Geringschätzung zum Ausdruck gebracht wird. Dabei ist eine Äußerung stets am Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 GG, der Meinungsfreiheit, eines für die liberale Demokratie schlechthin konstituierenden Grundrechts, zu messen.

Im April 2024 erst hat das Bundesverfassungsgericht der Meinungsfreiheit gegenüber Äußerungen, die den Staat kritisierten, den Vorrang eingeräumt und klargestellt, dass der Staat keinen Ehrschutz genieße und auch scharfe und polemische Kritik aushalten müsse. Diese Grundsätze sollten auf die amtierenden Politiker übertragbar sein. Es bleibt zu hoffen, dass dem Bundesverfassungsgericht bald auch ein Fall vorgelegt wird, in dem eine Verurteilung nach § 185 StGB oder § 188 StGB erfolgt ist, weil ein Minister kritisiert worden ist, um dies klarstellen zu können.

Hat CJ Hopkins einfach nur Glück gehabt?

Wenn schon die Äußerung selbst nicht ohne weiteres als strafbare Beleidigung eingestuft werden kann, warum wurde sogar eine Hausdurchsuchung durchgeführt, eine mithin viel einschneidendere Maßnahme, die neben Art. 5 Abs. 1 GG auch noch Art. 13 GG, die Unverletzlichkeit der Wohnung, berührt? Sollte dies zur Vermeidung zukünftiger Straftaten dieser Art beitragen?

Sicherlich führen solche Maßnahmen dazu, dass sich immer weniger Bürger trauen, ihre Meinung, sofern sie von „der herrschenden Meinung“ abweicht und/oder darüber hinaus amtierende Politiker kritisiert, öffentlich zu äußern. Dies darf in einer liberalen Demokratie nicht geschehen und zeigt eine sehr bedenkliche Entwicklung hin zu Regierungsformen, die man in Deutschland überwunden zu haben glaubte.

Eine Hausdurchsuchung darf nur dann angeordnet werden, wenn eine solche Maßnahme auch verhältnismäßig ist, worauf das Landgericht Hamburg in der sogenannten Pimmelgate-Affäre 2022 hingewiesen hat. Das sollte in einer freiheitlichen Gesellschaft selbstverständlich sein. Denn dem Schutzinteresse der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) muss gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse des Staates der Vorrang eingeräumt werden, wenn nur eine geringe Sanktion in Betracht kommt.

So hat das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss vom 6. Mai 2008 verlangt, dass der Richter die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme geprüft haben müsse, bevor er eine Hausdurchsuchung anordne. Eine Hausdurchsuchung sei nur dann zulässig, wenn nach dem Stand der Ermittlungen auch im konkreten Fall die Verurteilung zu einer mehr als geringfügigen Sanktion in Betracht komme.

Seit 2020 scheinen Hausdurchsuchungen gegen unbescholtene Bürger, die Politiker kritisieren, keine Seltenheit mehr zu sein. So wurde bei dem emeritierten Professor Dr. Rudolph Bauer 2023 eine Hausdurchsuchung wegen des Verdachts auf Volksverhetzung durchgeführt. Er hatte zuvor mehrfach in Collagen Karl Lauterbach und andere Politiker wegen der Corona-Maßnahmen kritisiert. In einem dieser Fälle hatte Karl Lauterbach Strafantrag gestellt und Rudolph Bauer wurde daraufhin wegen Beleidigung verurteilt. Die Hausdurchsuchung wurde vom LG Bremen zwar inzwischen für rechtswidrig erklärt. Auch das LG Stuttgart erklärte eine Hausdurchsuchung für rechtswidrig, nachdem ein Mann einen Post von Friedrich Merz zur Legalisierung von Cannabis mit „Fresse drecks suffkops“ beantwortet hatte. Aber solche zutreffenden Entscheidungen der Landgerichte können die einschneidenden Folgen einer solchen Hausdurchsuchung für die Betroffenen nicht wiedergutmachen.

Hat CJ Hopkins, der im September 2024 vom Kammergericht Berlin der Verwendung von NS-Kennzeichen in Zusammenhang mit einer Maske für schuldig befunden wurde, einfach nur Glück gehabt, dass bei ihm keine Hausdurchsuchung stattgefunden hat? Oder lag es an seiner amerikanischen Staatsbürgerschaft? Oder schlicht daran, dass in seinem Fall kein Minister den Strafantrag gestellt hatte? Verfallen einige Staatsanwälte und Richter in einen in diesem Land schon einmal dagewesenen Modus des „vorauseilenden Gehorsams“ und meinen, Minister forderten bei Beleidigungen gegen sie ein möglichst hartes und die Grundrechte negierendes Vorgehen? Dann hätten sie den Beruf verfehlt und sollten ihr Amt umgehend niederlegen.

Mögen die Wähler bei der nächsten Wahl darauf reagieren

Was bewegt Staatsanwaltschaften dazu, Ermittlungen in Bagatellfällen aufzunehmen und Polizeibeamte anzuweisen, Ministern ein Formular zwecks Stellung eines Strafantrags zu schicken? Und wie kommen Minister überhaupt dazu, einen Strafantrag zu stellen, wenn unbescholtene Bürger öffentliche Tweets posten, um ihren Unmut über das politische Wirken einzelner Politiker auszudrücken?

Aus dem Bundestagsbüro von Habeck heißt es, der Vorgang sei ihm im Rahmen weiterer Vorgänge, bei denen es sich um schwere Beleidigungen gehandelt haben soll, vorgelegt und Strafantrag gestellt worden. Hat er den Strafantrag nur „versehentlich“ gestellt, weil er übersehen hat, dass hier gar kein Fall einer schweren Beleidigung vorgelegen hat? Der Strafantrag ist jedenfalls von ihm nicht zurückgenommen worden, nachdem die Durchführung einer Hausdurchsuchung wegen einer Äußerung, die nicht offensichtlich als Beleidigung eingeordnet werden kann, bekannt geworden ist. Auch hätte der Minister nach § 194 Abs. 1 StGB einer Strafverfolgung widersprechen können, was ebenfalls nicht erfolgt ist. Das zeigt, dass Habeck noch immer an einer Verfolgung dieses Posts beziehungsweise von dessen Weiterleitung wegen Beleidigung gelegen ist.

Mögen die Wähler bei der nächsten Wahl darauf reagieren und nur noch Politiker und deren Parteien wählen, die gerade in emotional aufgeladenen Zeiten wie diesen Kritik aushalten und sich für Freiheit, insbesondere Meinungsfreiheit, Frieden und die Belange der Bürger einsetzen.

Im Zuge der Böhmermann-Affäre 2017 wäre § 188 StGB fast mit § 103 StGB (ehemals mit „Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten“ überschrieben) aus dem Strafgesetzbuch gestrichen worden. Die FDP und die Fraktion Die Linke hatten sich für eine Streichung des § 188 StGB ausgesprochen. Das wäre sehr gut gewesen, wenn man bedenkt, wie sehr § 188 StGB dieser Tage politisch missbraucht wird.

Es ist an der Zeit, dass der Gesetzgeber tätig wird, um Bagatellfälle vom Tatbestand der Beleidigung und insbesondere auch unsachliche und/oder polemische Kritik an amtierenden Politikern vom Beleidigungstatbestand auszunehmen. Eine Streichung von § 188 StGB (neben anderen Normen) wäre im Sinne einer Entrümpelung des Strafgesetzbuches sehr zu begrüßen.

Und vielleicht sollten Minister und sonstige Politiker, die Strafanträge stellen in Fällen, die am Ende von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, für die Kosten der Verfahren selbst aufkommen müssen. Die in jüngster Zeit zunehmende Flut von Strafanträgen von Politikern wegen Bagatellfällen, denen die Justiz nachgehen zu müssen meint, als handele es sich hierbei um schwerwiegende Verbrechen, bedeutet einen Missbrauch der Justiz, der einer Demokratie unwürdig ist und dem entgegengewirkt werden muss.


Clivia von Dewitz ist Richterin und hat zu NS-Gedankengut und Strafrecht (§§ 86, 86a und § 130 StGB) promoviert. Ihr Buch „Gerechtigkeit durch Wiedergutmachung. Zur südafrikanischen Wahrheitskommission und deren Übertragbarkeit auf den Ukraine-Konflikt“ ist im Februar 2024 im Westend Verlag erschienen.

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