Seit vielen Jahren gibt es in verschiedenen europäischen Ländern die Tradition, dass das überparteilliche Staatsoberhaupt eine Weihnachtsansprache hält: in Belgien, Deutschland, Luxemburg, den Niederlanden, Spanien, Schweden und dem Vereinigten Königreich. Angesichts dessen, dass es sich um ein christliches Fest handelt, ist erstaunlich, dass lediglich der britische und der niederländische König die Bibel zitieren und konkret auf sie verweisen. In jedem Fall können diese Ansprachen aber als wichtige Verweistexte in der europa-öffentlichen Debatte um inneren und äußeren Frieden dienen. Was wir in ihnen mehrheitlich mit Blick auf Sprache finden, sei hier kurz beleuchtet.

Dieses Jahr verweisen – mit Ausnahme der Rede des schwedischen Königs – die Ansprachen auf die Wichtigkeit des Dialogs. Dabei wird zwar nicht von allen ausdrücklich gesagt, ob dies nur national oder in Europa oder im West oder global gelten soll – es klingt jedoch stets wie ein allgemeines Prinzip. Teilweise wird dabei auf Beispiele bereits existierender Dialog-Kultur hingewiesen. Der belgische König nennt Akteure der Zivilgesellschaft. Dass Dialog auch dann funktioniert oder funktionieren soll, wenn der Ton mal etwas rauer und lauter wird, wird vor allem vom spanischen König mehrfach betont, aber auch vom belgischen König und deutschen Bundespräsidenten erwähnt. Letzteres sagt ausdrücklich, dass man offen aussprechen müsse, was schlecht im Lande laufe. Dass Dialog nicht einfach bedeutet, den anderen sprechen zu lassen, sondern ihm auch zuzuhören, wird teilweise ebenfalls hervorgehoben, so vom König der Niederlande, insbesondere aber vom spanischen König und vom englischen König. Der englische König sieht dies als Basis für den Zusammenhalt im Commonwealth und illustriert außerdem, dass dies ein wiederkehrendes Motiv in der Weihnachtsgeschichte sei: Maria höre auf den Engel, die Hirten hörten auf die Friedensbotschaft des Engels. Ferner gehe es im Dialog um das Ermöglichen von und Streben nach Verständnis: Es entstünde Verständnis, so der niederländische König, wenn wir die Schmerzen und Wünsche anderer hörten. Durch Zuhören, so der englische König, entstünde Verständnis und dadurch die Möglichkeit zu Entscheidungen, die zum Wohl aller wären. Es entstünden, so der spanische König, Lösungen für einen leichteren Zugang zu annehmbaren Lebensbedingungen für alle. Der luxemburgische Großherzog nennt sein Land aufgrund der vielen Kulturen in seinem Land einen Ort des Dialogs und des Austausches, der ein Modell sein kann, aber eines, das tägliche Bemühungen erfordert.

Auch wenn jedes Staatsoberhaupt auch nationale Ereignisse erwähnt, so unterscheidet sich die Ansprache des schwedischen Königs doch deutlich von den anderen. Einen weiten Teil nimmt in dieser Rede die Thematik der Sicherheit beziehungsweise die Angst um die Sicherheit ein. Diese taucht auch in einigen anderen Reden auf, aber in deutlich abgeschwächter Form. Warum die Schweden Angst um die Sicherheit haben sollen, wird vom König nicht direkt begründet. Es wird zwar auf den Krieg in der “Nachbarschaft” (Ukraine) verwiesen, aber es wird nicht beschrieben, warum damit eine Bedrohung für ein Land ausginge, das mit 200 Jahren Blockfreiheit offenabr gute Erfahrungen gemacht hat. Im Text wird vielmehr die Wichtigkeit des NATO-Beitritts erwähnt. Dieser scheint jedoch das Sicherheitsgefühl nicht wesentlich verstärkt zu haben; da der König zusätzlich empfiehlt, dass jeder die an alle Haushalte verteilte Broschüre “Om krisen eller kriget kommer” (“Wenn die Krise oder der Krieg kommt”) zu lesen, falls man es noch nicht getan habe, denn Vorbereitung, so der König, baue Ängste ab und gebe ein Gefühl der Sicherheit. Interessanterweise sieht der spanische König ausdrücklich Dialog als Basis für Sicherheit.

Allen Reden gemein ist der Ruf nach Respekt (das entsprechende Wort taucht in allen Texten bis auf den deutschen auf); manchmal in konkreterer Form, und zwar, dass dies kulturelle positive Effekte (im britischen Text) oder zumindest auch positive Effekte (im spanischen Text) hätte oder dass es keine Diskriminierung beziehungsweise keinen Hass geben dürfe (so im niederländischen und im deutschen Text). Wie gesagt: Respekt und Dialog erscheinen für die internationalen Beziehungen als ebenso gültig wie innerhalb des eigenen Landes. Dafür können die genannten Ansprachen als Verweisquellen dienen.

Joachim Grzega

Quellen

Rede des belgischen Königs Philippe (französisch): https://www.monarchie.be/fr/agenda/discours-de-sa-majeste-le-roi-a-loccasion-de-noel-et-du-nouvel-an-24122024

Rede des britischen Königs Charles III. (englisch): https://www.youtube.com/watch?v=avmhw0M6EZ0

Rede des deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (deutsch): https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier/Reden/2024/12/241225-Weihnachtsansprache.html

Rede des luxemburgischen Großherzogs Henri (letzeburgisch): https://gouvernement.lu/lb/actualites/agenda.gouvernement2024%2Blb%2Bactualites%2Btoutes_actualites%2Bdiscours%2B2024%2B12-decembre%2B24-discours-noel-grand-duc.html

Rede des niederländischen Königs Willem-Alexander (niederländisch): https://www.koninklijkhuis.nl/documenten/toespraken/2024/12/25/kersttoespraak-van-de-koning-25-december-2024

Rede des schwedischen Königs Carl XVI. Gustaf (schwedisch): https://www.kungahuset.se/arkiv/tal/2024-12-25-h.m.-konungens-jultal-2024

Rede des spanischen Königs Felipe VI. (spanisch): https://www.casareal.es/ES/Actividades/Paginas/actividades_actividades_detalle.aspx?data=16381

Über den Autor
Joachim Grzega ist promovierter Sprachwissenschaftler, Leiter des Projektbereichs “Innovative Europäische Sprachlehre (InES)” an der Volkshochschule Donauwörth sowie Leiter der Academy for SocioEconomic Linguistics (ASEcoLi). Er ist außerplanmäßiger Professor an der Universität Eichstätt-Ingolstadt und war von 2012 bis 2016 Leiter des Europäischen Hauses Pappenheim. Darüber hinaus hatte er Gast- und Vertretungs­professuren an den Universitäten Münster, Bay­reuth, Erfurt, Freiburg und Budapest. Zu sei­nen Forschungs­schwer­punkten gehören die Suche nach den Gemeinsamkeiten euro­päischer Spra­chen (Euro­linguistik), das Zusammenspiel von Sprache/Denken/Handeln, die Vermittlung von Experten­wissen an Laien, interkulturelle Kommuni­ka­tion, das Modell Lernen durch Lehren (LdL) und der Einstieg in Fremdsprachen.