EU-Mercosur-Freihandelsabkommen ist nach über 25 Jahren endgültig besiegelt worden. Hauptprofiteur ist Deutschland, Hauptverlierer Frankreich. Scheitern des Abkommens ist noch möglich. Bauernproteste dauern an.
(Eigener Bericht) – Begleitet von Protesten haben am Freitag die EU und der südamerikanische Staatenbund Mercosur ihr Freihandelsabkommen besiegelt. Das Abkommen, über das mehr als ein Vierteljahrhundert verhandelt wurde, sieht eine weitreichende Aufhebung der Zölle auf beiden Seiten vor. Als Hauptgewinner gilt Deutschland, dessen Industrie künftig mehr Produkte in den Mercosur-Staaten absetzen und deren Rohstoffe günstiger importieren können wird, darunter etwa Lithium und Kupfer, die für die Industrien der Energiewende zentrale Bedeutung besitzen. Als Hauptverlierer gilt Frankreich, das relativ wenig Handel mit dem Mercosur treibt und dessen Landwirte ernste Verluste befürchten, sobald billigere südamerikanische Agrarprodukte in die EU gelangen. Zudem warnen Kritiker, das Freihandelsabkommen lege die Mercosur-Länder auf eine neokoloniale Rolle als Absatzmärkte und Rohstoflieferanten der wohlhabenden EU fest und bringe schwere Nachteile für Arbeiter und Umwelt in Südamerika. Das Abkommen kann noch im EU-Parlament oder am Widerstand von EU-Staaten scheitern. Proteste von Landwirten in mehreren Mitgliedstaaten der Union dauern an.
Der Hauptgewinner
Hauptprofiteur des Freihandelsabkommens zwischen der EU und dem Mercosur, das am vergangenen Freitag mit der Einigung auf eine Zusatzerklärung endgültig besiegelt worden ist, ist Deutschland. Von den rund 110 Milliarden Euro, auf die sich der Handel zwischen der EU und dem Mercosur gegenwärtig beläuft, gehen 24 Milliarden Euro auf das Konto der Bundesrepublik, mehr als auf das Konto jedes anderen EU-Mitgliedslandes. Dass die hohen Mercosur-Einfuhrzölle zu 91 Prozent entfallen, nützt besonders den drei stärksten Branchen der deutschen Industrie; deren Exporte werden aktuell noch durch Zölle in Höhe von 35 Prozent auf Autos, von bis zu 20 Prozent auf Maschinen sowie von bis zu 18 Prozent auf Chemikalien gebremst.[1] Das Freihandelsabkommen erleichtert deutschen Konzernen zudem, wie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) konstatiert, den Zugang „zu wichtigen Rohstoffen wie Lithium und Kupfer“, die „für Schlüsselindustrien wie Elektromobilität und Erneuerbare Energien essenziell sind“. Einzelne Mercosur-Staaten verfügen über immense Vorräte an ihnen und können sie in Zukunft viel günstiger in die EU exportieren.[2] Beobachter schätzen die Einsparungen für deutsche Firmen, die sich durch das Abkommen insgesamt ergeben, auf bis zu 500 Millionen Euro pro Jahr.[3]
Der Hauptverlierer
Als Hauptverlierer der endgültigen Einigung auf das Abkommen gilt auf europäischer Seite Frankreich. Dessen Handelsvolumen mit dem Mercosur beläuft sich gegenwärtig auf bloß zehn Milliarden Euro; insbesondere exportiert Frankreich, anders als Deutschland, kaum Fahrzeuge in den Mercosur. Zugleich erhöht das Abkommen den Druck auf die französische Landwirtschaft, da es den Export von Agrarprodukten aus den Mercosur-Staaten vergünstigt; so können künftig zum Beispiel bis zu 160.000 Tonnen Rindfleisch pro Jahr ohne oder zu reduzierten Zöllen in die EU verkauft werden.[4] Weil im Mercosur weniger strikte Normen für die Agrarindustrie gelten, sehen Beobachter übereinstimmend europäische Landwirte im Nachteil. Das trifft neben der französischen Agrarwirtschaft insbesondere die irische, die österreichische und die polnische Branche hart. Auch in Deutschland verschiebt das Mercosur-Abkommen die Kräfteverhältnisse weiter zu Ungunsten der Landwirtschaft. Es „geht einseitig zu Lasten der europäischen Bauern und schwächt unsere Betriebe massiv im Wettbewerb“, heißt es beim Deutschen Bauernverband; die „geplanten Mechanismen zum Schutz europäischer Standards für Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung“ seien „völlig unzureichend“.[5]
Absatzmarkt und Rohstofflieferant
Ernste Folgen droht das Freihandelsabkommen zudem für weite Teile der Bevölkerung der Mercosur-Staaten wie auch für Umwelt und Klima mit sich zu bringen. Indem es der ohnehin starken Industrie der EU-Staaten die Mercosur-Märkte öffne, schwäche es die dortige Industrie, heißt es etwa in einer Protesterklärung, die Ende November von 369 Initiativen aus Europa und Lateinamerika publiziert wurde.[6] Arbeiter in Mercosur-Ländern seien daher vom Verlust von Arbeitsplätzen und von sich verschlechternden Arbeitsbedingungen bedroht. Zudem zementiere das Abkommen die ungleiche Arbeitsteilung zwischen der EU und dem Globalen Süden, indem es die Mercosur-Staaten noch stärker als bisher auf die neokoloniale Doppelrolle als Absatzmärkte der EU-Industrie und als Lieferanten von Agrarprodukten und Bodenschätzen reduziere. Zugleich fördere das Abkommen Großagrarier in den Mercosur-Staaten und benachteilige damit Kleinbauern und indigene Communities, während „der Export von giftigen Agrochemikalien … vorangetrieben“ werde, sogar von „solchen, die in der EU verboten sind“.[7] Überdies werde das Abkommen ungeachtet der – kosmetischen – Zusatzerklärung „die Entwaldung beschleunigen, die Klimakrise verschärfen und unsere Regionen weiter von Klimagerechtigkeit entfernen“.
Mehrheit ungewiss
Endgültig in trockenen Tüchern ist das EU-Mercosur-Abkommen noch nicht. Zwar will die EU-Kommission es in zwei Teile spalten; der Teil, der die zentralen Handelsbestimmungen umfasst, muss dann nicht mehr im Konsens aller EU-Staaten verabschiedet werden – es reicht aus, eine Zustimmung des Europaparlaments und zusätzlich eine qualifizierte Mehrheit der EU-Staaten zu erhalten, die von mindestens 15 Mitgliedsländern und von mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung getragen wird. Allerdings ist auch dies nicht garantiert. So gilt es als denkbar, dass die Verabschiedung des Abkommens im Europaparlament auf Widerstand stößt, da es nicht nur von Teilen der Grünen-Fraktion – wegen der absehbaren Schäden für Umwelt und Klima –, sondern auch von konservativen, der Agrarwirtschaft nahestehenden Parteien zumindest mit Skepsis betrachtet wird. Auch die qualifizierte Mehrheit ist noch nicht gesichert. Frankreich wehrt sich mit Blick auf seine Landwirtschaft energisch; es wird dabei von Österreich, von den Niederlanden und von Polen unterstützt. Die italienische Regierung schwankt noch. Sollten sich in Rom diejenigen Kräfte durchsetzen, die gegen das Abkommen sind, wäre eine Sperrminorität von mehr als 35 Prozent der EU-Bevölkerung erreicht.[8] Allerdings ist zu hören, die polnische Regierung könne nach der Präsidentenwahl im Sommer 2025 einknicken, wenn sie die Stimmen der polnischen Landwirte nicht mehr braucht.
„Eine größere politische Krise“
Zusätzlich sind weitere Bauernproteste angekündigt. In Frankreich setzten am Donnerstag vergangener Woche – zu Beginn des Mercosur-Gipfels in Uruguay, bei dem das Abkommen des südamerikanischen Staatenbundes mit der EU besiegelt wurde – französische Landwirte ihre Demonstrationen gegen die Freihandelsvereinbarung fort.[9] Parallel gingen dagegen auch belgische Bauern auf die Straße.[10] Für den heutigen Montag sind weitere Proteste im Brüsseler EU-Quartier angekündigt.[11] Mit einem Abflauen wird vorläufig nicht gerechnet, allenfalls mit einer kleinen Unterbrechung während der Weihnachtsfeiertage. Es drohe, so heißt es beim französischen Collectif Stop CETA-Mercosur, „eine größere politische Krise in der EU“.[12]
Mehr zum Thema: Proteste gegen Freihandel.
[1] Hendrik Kafsack: Die größte Freihandelszone der Welt. Frankfurter Allgemeine Zeitung 07.12.2024.
[2] EU-Mercosur: Handelsabkommen setzt dringend notwendigen Wachstumsimpuls. bdi.eu 06.12.2024.
[3] Hendrik Kafsack: Die größte Freihandelszone der Welt. Frankfurter Allgemeine Zeitung 07.12.2024.
[4] Romain Geoffroy, Maxime Vaudano: L’accord de libre-échange entre l’UE et le Mercosur a été conclu : les réponses à vos questions sur son contenu et ses consequences. lemonde.fr 06.12.2024.
[5] Mercosur-Einigung geht auf Kosten der Landwirtschaft. bauernverband.de 06.12.2024.
[6], [7] The EU-Mercosur trade deal must be stopped – NOW! europeantradejustice.org 26.11.2024.
[8] Romain Geoffroy, Romain Imbach, Manon Romain: Accord UE-Mercosur : quelles coalitions des pays pourraient bloquer l’adoption du traité? lemonde.fr 06.12.2024.
[9] Tom Demars-Granja, Théo Bourrieau: Mobilisation contre l’accord UE-Mercosur : La garde à vue des cinq militants de la Confédération paysanne prolongée, la porte-parole dénonce un « deux poids deux mesures ».
[10] Jean-Pierre Stroobants: En Belgique, des barrages et des blocages aux frontières contre l’accord de libre-échange UE-Mercosur. lemonde.fr 05.12.2024.
[11] Eric Renette: Manifestation des agriculteurs contre le Mercosur le lundi matin à Bruxelles. lesoir.be 08.12.2024.
[12] Tom Demars-Granja, Théo Bourrieau: Mobilisation contre l’accord UE-Mercosur : La garde à vue des cinq militants de la Confédération paysanne prolongée, la porte-parole dénonce un « deux poids deux mesures ».