In Lateinamerika formiert sich international agierender Widerstand

„Sie hatten die Bibel und wir hatten das Land. Sie sagten uns: Schließt die Augen und betet! Als wir die Augen öffneten, hatten sie das Land und wir die Bibel.“ So beschrieb der uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano in seinen Schriften einst die Kolonisierung unseres Kontinents. Die Energiewende verfolgt – oder verfolgte – zweifellos ein Ziel, das wir alle anstreben. Sie zielt auf den Übergang zu einem Produktionssystem, das die Umwelt weniger belastet, unser Energiemodell verändert und dadurch teilweise das Überleben künftiger Generationen absichert. Gegen die Art und Weise, wie diese vorangetrieben wird, gibt es jedoch immer mehr Widerstand auf dem lateinamerikanischen Kontinent.

Von Victor Hugo Bahamonde Brintrup, Valparaíso (Übersetzung: Tininiska Zanger Montoya)

Es ist kein leichter Weg, den heute öffentliche und private Institutionen beschreiten. Sie aber sind nicht bereit, überholte Produktionssysteme radikal zu ändern. Ihr Problem sind ein erhöhter Ressourcenverbrauch und die fehlende Regeneration dessen, was es einmal gab.

Die Veränderung der Energieerzeugung durch erneuerbare Energiequellen reicht nicht aus, wenn der Verbrauch nicht weniger wird. Es reicht nicht, wenn die Länder, deren Wirtschaft die größten Auswirkungen auf die Klimakrise hat, keine Abstriche machen. Es ist jene Wirtschaftsproduktion, die momentan die Temperatur auf der Erde und den Meeresspiegel ansteigen lässt und damit unsere Lebensweise unwiderruflich verändert.

Bergbauprojekte, in denen Lithium, Nickel, Eisen, Mangan und Kupfer gewonnen werden, dienen vordergründig der Energiewende im Globalen Norden. Es handelt sich um Rohstoffe für die Herstellung von Batterien, Windturbinen, Kabeln und Solarzellen. Wegen ihnen stehen lateinamerikanische Länder im Mittelpunkt des internationalen Drucks für die Energiewende im Globalen Norden. Gleichzeitig wird in der Werbung massiv die Botschaft von Umweltverantwortung, Elektromobilität und erneuerbaren Energien verbreitet.

Die Regionen Antofagasta und Magallanes scheinen weit entfernt von diesen Themen. Antofagasta liegt in der Atacama-Wüste, Magallanes hingegen im südlichsten Teil des chilenischen Patagoniens, am Rande der Meerenge, von der aus Schiffe in die Antarktis fahren. Die beiden Regionen haben kaum Gemeinsamkeiten, außer dass sie in den letzten Jahren zum Zentrum der Industrialisierung des Grünen Wasserstoffs wurden. Benötigt werden große Mengen Wasser, um den trendigen Kraftstoff für die Energiewende anderer Kontinente zu erzeugen. Wasser ist, besonders in den chilenischen Gebieten der Lithium­ausbeutung, besonders knapp.

Auch in Mexiko, Bolivien und Argentinien führt die Lithiumförderung zu Konflikten mit den vom Abbau betroffenen Gemeinden. Die indigenen Gemeinden der argentinischen Region Jujuy im sogenannten „Lithium-Dreieck“ mobilisierten sich im vergangenen Jahr gegen die Reform der politischen Verfassung ihrer Provinz. Die Reform verändert die traditionelle Nutzung des argentinischen Hochlands durch die indigenen Gemeinschaften zugunsten der Privatisierung von Lithiumabbau. Lithium gilt heute als strategischer Rohstoff, mit dem Druck auf lateinamerikanische Länder ausgeübt wird. Es sollen rechtliche, wirtschaftliche und politische Bedingungen entstehen, die eine Ausweitung der Industrie ermöglichen und die angestammten Rechte der Menschen und der Umwelt außer Kraft setzen. „Unser Land trocknet aus und unser Wasser ist verseucht“, sagt Nati Machaca, eine Demonstrantin in Purmamarca. Neben den Umweltauswirkungen kommen in den Ländern noch politische Spannungen um die Kontrolle der Ressource hinzu. Nationale und ausländische Akteure ringen um ein ausgewogenes Verhältnis von Investitionen in den Lithiumabbau.

Brasilien dagegen setzt auf den Bau großer Staudämme für seine Wasserkraftwerke und lagert Rohstoffe aus dem Bergbau hinter hohen Mauern giftiger Abfälle. Das führte 2015 in der Kleinstadt Mariana und 2019 in der Kleinstadt Brumadinho zu massiven Dammbrüchen und Schlammlawinen. Die Folgen davon waren Hunderte Tote, Millionen von betroffenen Menschen und Hunderte von Kilometer, die mit Bergbauabfällen überflutet wurden. Bis heute sind die Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und die Gesundheit in Bundesstaat Minas Gerais zu spüren.

Heutige Gesellschaften verfügen über die Kommunikations-, Informations- und Organisationsmöglichkeiten, um die Entwicklung von Großprojekten in ihrem Umfeld zu beeinflussen. Dies kann der erste Schritt im Kampf gegen nicht beteiligungsorientierte und groß angelegte Projekte sein. Es erfordert rechtliche, mediale, politische und soziale Mobilisierung – die wiederum an den Ressourcen und organisatorischen Kapazitäten der Gemeinschaften zehrt. Gelingt sie hingegen, werden organisierte Gemeinschaften zu Instrumenten der politischen Interessensvertretung.

Viele Basisorganisationen, die in den letzten Jahrzehnten überlebt und ihre Fähigkeit zu kollektivem Handeln verbessert haben, machen große Fortschritte auf internationaler Ebene. Es gibt kein wirksameres Rezept als Organisation, Kommunikation und Internationalismus gepaart mit educación popular (dt. Bildung von unten) und strategischer Planung. Mobilisierungen, wie die Via Campesina, die Bewegung der von Staudämmen betroffenen Menschen (MAR) und die jährlichen Teilnahmen an Austauschtreffen, haben sich mittlerweile etabliert. Das sind die Schlüssel für den Widerstand und den Aufbau von Alternativen von unten. Ziel ist ein wirtschaftlich tragfähiges, gerechtes und nachhaltiges Gesellschafts­­modell, das auf Solidarität und kollektivem Reichtum gründet.

Heute sieht es so aus, als ob in den kommenden Jahrzehnten der Druck der Industrieländer auf die Entwicklungsländer zunimmt, ihre strategischen Ressourcen möglichst billig zu verkaufen. Die großen Mengen an Lithium, Wasserstoff und Mineralien, die in die Länder des Globalen Nordens transportiert werden sollen, hinterlassen einen Fußabdruck in den Gemeinschaften und Gebieten des Südens. Doch die Geschichte von Opferung und Plünderung muss sich nicht endlos wiederholen. Vielmehr müssen wir versuchen, gemeinsam für den Planeten und seine Lebewesen einzustehen.

Die Begrenzung des Reichtums ist der Schlüssel zur Bekämpfung von Überausbeutung, irrationalem Extraktivismus und Verschmutzung ohne Regeneration. Empfehlungen und Sanktionen reichen nicht aus, denn das Leben in einigen Regionen des Planeten steht in den kommenden Jahrzehnten auf dem Spiel. In dieser Zeit ist die Suche nach Antworten durch internationale Organisationen und die akademische Gemeinschaft von entscheidender Bedeutung.

Die Weltkonferenz der Völker zum Klimawandel und den Rechten von Mutter Erde 2010 in Bolivien war ein solcher Auftakt, bei dem sich die Bewegungen über Umweltgerechtigkeit, Klimamigration und Energiewende ausgetauscht haben, um die schleppenden Diskussionen auf den COPs zu beeinflussen. Ebenso das Alternative Weltwasserforum 2018 in Brasilien, das parallel zum berühmten Weltwasserforum in Brasilia stattfand. Letzteres ist eine jährliche Veranstaltung, die Industrieunternehmen mit hohem Wasserverbrauch und die Vereinten Nationen organisieren – ohne die Beteiligung von Bewegungen, die um das Recht auf Wasser kämpfen. Die weltweite Wasserproblematik ist mittlerweile so drastisch, dass die UNO im Jahr 2023 erstmals nach 50 Jahren wieder eine Weltwasserkonferenz organisierte. Dieses Mal lud sie einige Nichtregierungsorganisationen und Bewegungen ein.

Neben der internationalen Vernetzung ist neu, dass ein Teil der Organisationen, die vom Rohstoffmodell betroffen sind, an Wahlprozessen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene in mehreren lateinamerikanischen Ländern beteiligt war. Demokratische Entscheidungsträger und die Entwicklung von politischen Programmen unter Bürgerbeteiligung und mit einer transformativen Perspektive auf Grundlage des solidarischen Wirtschaftens sollen zu einer positiven Änderung beitragen. Höhepunkt dieser Entwicklung in Chile war die Wahl unserer Umwelt- und Wasserbewegung Modatima im ersten Verfassungsprozess, der Rat der Maya Bevölkerung (CPO) in Guatemala, die bäuerliche Selbstorganisation der Rondas Campesinas in Peru und die linke Partei Frente Patria Grande in Argentinien.

Dieses Jahrzehnt ist für Lateinamerika und die Karibik von zentraler Bedeutung. Viele neuere Entwicklungen stehen auf dem Prüfstand: die Nutzungsrechte für Projekte wie Häfen, Straßen und der Mega-Infrastruktur. Dagegen endeten viele Grundleistungen wie Trinkwasser, Strom und öffentliche Verkehrsmittel. Nun ist der Moment, die Leistungsfähigkeit der Privatwirtschaft und des öffentlichen Sektors neu zu bewerten.

So sind die Herausforderungen der Gemeinschaften infolge der Energiewende mit neuen Kämpfen für die Wiedergewinnung von Wasser und Strom zu verbinden. Auch müssen sie sich gegen Megaprojekte und den Aufbau einer Industrie des Lithiums oder des grünen Wasserstoffs richten, die nicht für den Verbrauch in Lateinamerika, sondern der USA, Europa und China bestimmt ist.

Die Komplexität dieser Kämpfe ist, dass es einen hohen globalen Druck gibt, das Energiemodell zu ändern. Dieser Druck wirkt sich auf Gemeinden aus. Ihr Protest wird in Frage gestellt, weil sie sich gegen die Produktion erneuerbarer Energien in ihren Gebieten wehren. So unterzeichneten in Chile 2023 knapp 70 Umweltorganisationen eine Erklärung gegen die Nationale Strategie für grünen Wasserstoff, weil es am „Schutz der Gebiete vor negativen Umwelteffekten“ mangelt. Die aktuelle Regierung ignorierte ihre Kritik, denn sie wendet sich gegen die gestiegene Nachfrage des Kraftstoffs der nördlichen Hemisphäre.

Vor diesem Hintergrund wird dies eines der Themen sein, die 2025 auf dem Gipfel der Völker in Verbindung mit der COP 30 zum Klimawandel in Brasilien behandelt werden. Der Gipfel ist eine Gelegenheit, Regeln und Kontrollen für die Länder zu erwirken, die am meisten zur Umweltverschmutzung beitragen, aber auch für jene mit einer erhöhten Nachfrage nach erneuerbaren Energien. Der Gipfel soll ein Raum für die Reflexion und strategische Planung für die kommenden Jahrzehnte sein. Betroffene von allen Kontinenten werden anwesend sein, um über die Notwendigkeit zu diskutieren, eine globale Bewegung von Gemeinschaften und Nationen für ein neues Modell einer populären, gerechten und ökologischen Energiewende aufzubauen, die Wasser, Land und Ozeane schützt.

Die Frage, Energie wofür und für wen, bleibt. Gelingt es, durch sie die Energiearmut derjenigen zu überwinden, die bisher keinen Zugang zu Heizung und Strom haben? Gelingt es, die Stromtarife neuzugestalten, um Qualität und Verteilung zu verbessern, Stromausfälle zu verringern und somit letztendlich auch zur öffentlichen Sicherheit beizutragen? Denn nur so kann es gelingen: Energie muss erst den Gemeinschaften und dann der Produktion dienen – in dieser Reihenfolge. Oder wird die Energiewende zum neuen heiligen Buch im Sinne Galeanos? Eine Bibel, die uns mit ihren Lichtern blendet, sodass wir nicht sehen, dass sie uns wieder unsere Ressourcen für die Entwicklung Anderer nehmen – weit weg von unserem Amerika und der Karibik.

Victor Bahamonde ist zuständig für die internationalen Beziehungen der Wasser- und Umwelt­schutzbewegung MODATIMA in Chile und Mitglied der internationalen Koordination der Bewegung MAR, die Betroffene von Staudämmen aus verschiedenen Ländern vereint.

Der Originalartikel kann hier besucht werden