Im Atlantis, einem ehemaligen Erlebnisbad im Westen von Mexiko-Stadt, wurden vor ein paar Jahren die Schwimmbecken zu Skate-Bowls umgebaut. Die Beckenwände sind mit bunten Graffitis bemalt. Es ist Sonntag und das Wetter bleibt trocken, der Park ist gut besucht. Auch eine Gruppe junger Frauen hat sich hier versammelt. Eine von Ihnen ist gerade gestürzt, trotzdem ist die gute Laune spürbar – es ist nichts Schlimmeres passiert. Raquel, Ende 20, hat vor kurzem die erste Gruppe von Grl Swirl in Lateinamerika gegründet, einem internationalen Skate-Kollektiv von und für Frauen. Raquel sagt, sie wollte einfach mit Freundinnen skaten, dabei lachen und Spaß haben und die gegenseitige Unterstützung spüren. Weil sie dafür lange keinen Ort gefunden hat, will sie ihn mit dem Kollektiv jetzt selber schaffen.
Wem gehört das Skate-Territorium?
Skateparks sind traditionell eher männliches Terrain. Gerade als Anfängerin hat man es schwer, man muss sich blöde Sprüche anhören und sich die Welt erklären lassen. Frauenkollektive, wie die Gruppe von Raquel, wollen das ändern – und den Skatepark auch zu ihrem Territorium machen. Auch Maridol, die von Beginn an in der Gruppe dabei war, hat genug davon, sich von Männern sagen zu lassen, wo sie sein und was sie machen darf. Sie sagt, sie habe mit der Gruppe gelernt, den Ort zu verstehen und will zeigen, dass auch ihre Frauengruppe das Recht hat, den Skatepark zu nutzen.
Viele Räume in Mexiko sind männlich dominiert. Der Machismo ist, wie in anderen Teilen Lateinamerikas, immer noch sehr präsent. Skaten, als Sport der gefährlich sein kann und oft draußen auf der Straße stattfindet, war dafür lange ein Paradebeispiel. Mit dem Skateboard nachts draußen durch die Straßen zu cruisen ist für viele Mädchen und Frauen unvorstellbar. Aber in den letzten Jahren ist die Skateszene in Mexiko nicht nur immer größer, sondern auch immer diverser geworden. Die mexikanische Skaterin Verónica Zamudio feiert dieses Jahr ihr zwanzigjähriges Skate-Jubiläum – und hat die Entwicklung in der Skateszene beobachtet. Früher hätten alle Skater*innen gleich ausgesehen und die gleichen Klamotten getragen, heute gebe es richtige Unterschiede, sagt sie. Und freut sich über die Vielfalt, die sie als revolutionär bezeichnet.
Auch Mädchen können skaten
Neben den Gruppen die vor allem Frauen vereinen, sind auch andere FLINTA-Gruppen Teil der mexikanischen Skateszene geworden. Das Kollektiv „cute cute“ ist beispielsweise eine Gruppe von Trans-Skaterinnen. Die Skate-Szene boomt seit Jahren und ist international gut vernetzt. Immer mehr feministische Kollektive haben daran einen Anteil. Mit dem Kollektiv „U Can Skate“ gibt Verónica auch selbst Unterricht. Als einen Grund nennt sie eine Studie, die ihr im Kopf geblieben ist: Schon mit sechs Jahren denken Mädchen, dass sie keinen Sport machen sollten. Laut der Studie denken sie, dass sie es nicht können oder dass sie blöd dabei aussehen. Verschiedene Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Und Skaten wird als Risikosport umso mehr als „Jungssport“ verstanden. Verónica glaubt, dass es daran liege, dass wir immer noch Frauen und Männer in Stereotype einteilen. Diese Einteilung bestimmt wer was machen darf oder machen sollte – festgemacht am Geschlecht.
Das Kollektiv „U Can Skate“ will dagegen arbeiten und bietet nicht nur Skate-Kurse für Mädchen und Frauen in Mexiko-Stadt an, sondern hat auch im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas schon einen Skatekurs für indigene Mädchen organisiert. Möglich war das durch die Unterstützung einer kanadischen NGO. Verónica erinnert sich daran, wie die Mädchen am Anfang gar nicht glauben konnten, dass da eine Frau vor ihnen auf dem Skateboard steht. Inzwischen sind auch die indigenen Mädchen in Chiapas vom Skaten begeistert und bleiben motiviert. Aber leicht ist es nicht, am Skaten dranzubleiben, vor allem nicht außerhalb von Mexiko-Stadt.
Skaten als Metapher für das echte Leben
Beim Treffen von Grl Swirl im Atlantis ist auch Bella dabei. Die 13-Jährige wohnt eigentlich in Toluca, eine gute Stunde westlich von Mexiko-Stadt. Dort gebe es noch keine Gruppen, in denen sie sich wohlfühle, sagt sie. Sie wünscht sich, dass in Toluca mehr Skateparks gebaut werden. Bella kann sich vorstellen, später auch mal eine Gruppe für Skater*innen zu gründen. Und dann gemeinsam den öffentlichen Raum zu erobern. Verónica Zamudio sagt, genau dafür ist Skaten perfekt geeignet. Weil Skaten nicht nur eine Auszeit vom Alltag sei, sondern man eben auch Einiges fürs „echte Leben“ lernen kann. Denn wenn immer man sich stößt oder man hinfällt, man muss aufstehen und es nochmal versuchen.
Diesen Bericht gibt es auch als Podcast bei Radio onda.