Ute Donner hat mit Marion Nawroth, die sich seit zwölf Tagen im unbefristeten Hungerstreik befindet, ein tief bewegendes Interview geführt. Mit ihrer Aktion möchte die 68-jährige Berlinerin ein klares Zeichen gegen Krieg und Gewalt setzen. Ihr Protest richtet sich gegen die Forderung, Deutschland „kriegsfähig“ zu machen, und plädiert stattdessen für eine „friedenstüchtige“ Politik, die auf Dialog, Diplomatie und Gewaltfreiheit setzt.
Die leidenschaftliche Friedensaktivistin ist Mutter von vier Söhnen und Großmutter von vier Enkelkindern, die, wie sie betont, in einer friedlichen Zukunft aufwachsen sollen. Persönlich geprägt von den Erfahrungen ihrer Familie während des Zweiten Weltkriegs, darunter die Bombardierung Hamburgs und die Flucht ihrer Großmutter mit fünf kleinen Kindern, sieht Marion Nawroth die Verantwortung Deutschlands in der Förderung von Friedensverhandlungen und nicht in militärischer Aufrüstung.
Im Gespräch schildert sie ihre Beweggründe und fordert die Politik auf, ihrer historischen Verantwortung gerecht zu werden, sich für ein Ende der Kriege in der Ukraine und in Gaza einzusetzen und Kriegstreiberei konsequent zu widersprechen. Mit ihrem Hungerstreik will sie auch die Aufmerksamkeit auf die Millionen von Opfern und das unendliche Leid der Zivilbevölkerung lenken, die tagtäglich unter den Konflikten weltweit leiden.
Das Interview fand im Lustgarten neben dem Berliner Dom statt, wo Marion Nawroth seit dem 17. November 2024 für ihre Anliegen einsteht. Ihre Botschaft ist klar: Frieden ist nicht das Ziel, sondern der Weg.
Das Transkript des Interview befindet sich weiter unten:
Ute Bella Donner: Ja, Marion, ich freue mich, dich kennenzulernen und finde deine Aktionen richtig gut, auch wenn sie für dich sicherlich nicht ganz ungefährlich ist. Also warum, warum machst du das?
Deutschland hat da nichts zu suchen.
Und das sieht keiner. Alle sagen Taurus. Und der Herr Merz sagt, wenn ich Bundeskanzler bin, in 24 Stunden stelle ich den Putin Ultimatum und dann schießen wir die Raketen ab. Wer weiß gar nicht, was das bedeutet. Wir setzen wirklich unser schönes Leben, unser Land, die Bevölkerung aufs Spiel. Das sind doch nicht unsere Politiker. Wahnsinn. Und was wir noch, also wir wissen ja auch manchmal nicht, wir können das nicht ermessen. Ich bin ja auch kein Fachmann, aber Harald Kujat hat gesagt, damit wir uns vorstellen können, was die Taurus Rakete ist. Das ist so, als würden wir von einem Fahrrad in den Porsche steigen. So ein Unterschied. Das ist eine ganz andere Ebene. Also das ist Wahnsinn. Und wenn die losgeht, dann kann man nur noch reagieren. Dann können wir gar nicht mehr verhandeln. Jetzt können wir noch verhandeln. Und darum geht es mir. Ich sitze hier und will das Kind sein. Aus dem Märchen des Kaisers neue Kleider, das sagt der Kaiserist nackt. Einfach auszusprechen. Ich bin eine Mutter, ich will, dass das Leben geschützt wird. Und jetzt komme ich fast ins Heulen.
Ja, ich kann dich verstehen. Du denkst natürlich an deine Enkelkinder dabei. Deine Kinder und Enkelkinder. Geht mir ganz genauso.
Und diese Politiker haben ja, die sind unter 80 Jahre, die haben doch gar keinen Krieg erlebt. Meine Mutter hat Krieg erlebt. Die ist mit acht Jahren ausgebombt worden. Mit acht Jahren ihren Vater verloren. Die Mutter musste arbeiten, für die Kinder sorgen. Und sie musste, es waren Zwillinge, sie musste als Achtjährige ihre vier Geschwister in den Luftschutzbunker bringen, ganz alleine. Dann kam die Mutter dazu und dann sind sie ausgebombt worden. Die Straße und das Haus gibt es nicht mehr in Hamburg.
Die haben viel darüber erzählt wahrscheinlich.
Auf jeden Fall. Und die sind gut quasi durch das ganze Land gezogen und sind in Mecklenburg sind sie sesshaft geworden. Und sie sagt, das finde ich nochmal beeindruckend, das Schlimmste ist nicht der Krieg, sondern die Zeit hinterher. Da gab es nichts. Die haben gefroren, gehungert. Eine Tante von mir, die hat Papier gefressen aus dem Papierkorb.
Ja, meine Eltern haben sowas auch erzählt.
Und das ist das furchtbar. Wir leben hier in Frieden, wir wissen gar nicht, was wir haben. Wir bomben uns zurück in eine Zeit, das will gar keiner wissen.
Und wie bist du auf die Idee mit dem Hungerstreik gekommen? Hast du vorher, hast du dir das. Ja, was war das?
Ja, eigentlich Auslöser war einer meiner Söhne. Ich wollte jetzt am 3. Oktober zu der Friedensdemo gehen nach Berlin. Mutter, was bringt denn das, wenn du auf der Straße bist? Und hab ich gesagt, ja, man muss ja zeigen, dass man für den Frieden ist.
Wenigstens sagen, dass man dagegen ist.
Genau, dass es eben nicht nur alle dafür sind. Aber dann hat es in mir gerattert irgendwie. Das Gespräch war vielleicht am Freitag und am Sonntag um halb 5 Uhr morgens, wo man eigentlich normalerweise ausschlafen könnte, war ich putz munter.
Und da wusstest du, dass du das machen könntest.
Was kann ich machen? Und ich bin so Verehrer von Gandhi, von Pazifismus, auch so ohne Gewalt was zu verändern. Und das ist vielleicht nicht jedermanns Sache, aber ich glaube daran, dass Pazifismus und Liebe, keine Gewalt, dass das was verändern kann, auch wenn man Opfer bringt. Und ich habe gedacht, Hungerstreik könnte ich mir vorstellen.
Du hattest ja eine Pressemitteilung gemacht.
Mehrere. Ich habe dreimal an die Presse geschrieben, dreimal an alle wichtigen Fernsehsendern. Presse, an Bundestag, an die Fraktionen, auch an Künstler. Null Reaktion. Ganz enttäuschend.
Die einzigen, die sich gemeldet haben, waren jetzt Russia Today und ich auch ein Interview gemacht habe oder auch einen Bericht, damit man in Russland sieht, dass es hier in Deutschland auch friedensbewegte Menschen gibt, die auch was wagen, die dafür demonstrieren. Das finde ich auch sehr schön.
Ja, ist wichtig. Und wie lange willst du jetzt noch weiter hungern? Ich meine, du musst ja auch auf deine Gesundheit achten. Wir brauchen ja Friedensaktivisten heute.
Auf alle Fälle. Jetzt ist ja das Wetter ein bisschen besser. Der Anfang war sehr schwer.
Heute ist ein bisschen wärmer.
Ja, ja, die ersten Tage war es ja sehr kalt und durchgängiger Regen und das war furchtbar. Und die Zelte sind nicht dicht. Also es war wirklich, ich habe gedacht, wer weiß, ob ich überhaupt noch zwei Tage durchhalte. Und irgendwie, ich mache es ja nicht für mich. Irgendwoher kommt dann auch die Kraft und jetzt wird das Wetter besser, ich habe jetzt ein neues Zelt, ich kriege Hilfe, ich kriege jetzt sogar ein Campingbett von jemandem, dass ich nicht auf der Erde schlafen muss, weil die Zelte, die ziehen das Wasser hoch irgendwie, weil es hier so ein besonderer Boden ist. Und also ich wollte bis auf jeden Fall bis zum 1. Advent, wegen der christlichen Botschaft der Nächstenliebe und des Friedens. Mal sehen, vielleicht bis zum 2. Advent, aber das reicht dann auch, weil wenn ich, ich habe jetzt genug Öffentlichkeit, auch durch die Menschen, die hier vorbeikommen, viele schöne Gespräche, einige auch, die sich dadurch provoziert führen. Ich hatte auch Streitgespräche, das ist auch, muss man akzeptieren. Ja. Oder auch eine ältere Frau, die gesagt hat, sie findet das nicht gut, dass wir hier so Panik machen und überhaupt Panik machen.
Das wäre doch gar nicht so die Situation.
Ja, und das war aber ganz gut. Dann kam mir noch jemand zu Hilfe, der hat sich mit der Frau wirklich eine Viertelstunde unterhalten. Zum Schluss hat sie sich bedankt für das Gespräch und hatte eine veränderte Meinung, weil sie war ja sehr von den Mainstream beeinflusst, viele, viele Jahre. Und sie hat dann so gesagt, ja, man muss miteinander sprechen. Und das ist wunderbar. Das ist eigentlich die Botschaft, die wir müssen miteinander sprechen. Wir sind doch keine Barbaren mehr, wo wir mit Waffen aufeinander losgehen. Wir haben Wörter, wir haben Herz. Wir müssen auch den anderen, den Feind respektieren. Liebet eure Feinde. Und nicht, weil wir sie lieben sollen, sondern weil sie auch ein Spiegel sind für uns. Die können doch nur was bewegen, wenn es keine Gewalt gibt. Ich hebe die Hände, sieht man ja auch im Krimi, heben die Hände und manchmal legt das Gegenüber auch die Waffen nieder und dann kann man was regeln. Aber wenn, wenn die Raketen aufeinander losgehen und die Menschen sterben, die Soldaten. Wahnsinn. Jeder Tag ist ein Tag zu viel.
Ja. Wie lange willst du das jetzt noch machen, Marion?
Solange es geht.
Und deine Kinder, was sagen die dazu? Können die es verstehen?
Einer meiner Söhne hat mich auch besucht und hat Musik gemacht. Zwei wissen nicht so richtig. Zu dem vierten habe ich keinen Kontakt. Der ist auch in der Welt unterwegs.
Und was erhoffst du dir durch die Aktion? Also es wird ja, du hast es ja auch an die Bundesregierung weitergeleitet. Also was erhoffst du dir? Was, was die jetzt, wie die reagieren sollen.
Bevor ich angefangen habe, habe ich gedacht, ich will ja gar keinen Druck ausüben.
Also Druck ausüben oder hat nichts mit Parteien zu tun oder Organisationen oder so. Du machst das einfach so.
Ich bin privat. Einfach mit einem großen Herzen als Mutter empfinden, was Leben braucht und was Gutes.
Meine kühnste Vision war, dass man mich im Bundestag reden lässt. Ja, eine Mutter. Das war so meine künstliche Vision. Ja, und so ich jetzt sehe…
An die Reaktion denke, kannst du das vergessen.
Jetzt habe ich eine zweite Idee. Ich habe einen Text verfasst, ja, den habe ich schon mal geschrieben und den werde ich an die Presse schicken. Um die ganze Situation noch mal zu beleuchten, und sie aufzurufen, dass sie nicht nur die Kriegspropaganda verbreiten sollen, sondern dass sie eigentlich die verdammte Pflicht haben, auch für den Frieden zu sorgen und kritisch zu sein.
Für den Frieden sehe ich gar nichts. Ich sehe keine kritische Presse, die wir bezahlt haben auch sonst so, die wirklich für den Frieden oder zur Besonnenheit oder auch mal die anderen sprechen lässt. Sehe ich nicht. Und wie gesagt, meine coolste Vision ist, ich bin auch dabei einen Faden zu spinnen, dass jemand, dass ich einen Bundestagsabgeordneten finde, der meinen Brief vorliest meiner Botschaft und dann hören mich alle und vielleicht bewegt deren Weg, Gedanken bewegen oder Einstellung bewegen, dass man nachdenkt und dass man irgendwie von dieser Politik, von dieser Kaltherzigkeit, wo es nur um Siegfrieden geht, so ein Wahnsinn. Es werden immer Wörter erfunden, Siegfrieden, es kann nicht gesiegt werden, die Ukraine kann nicht siegen, sie haben keine Soldaten mehr, sie haben keine Mittel mehr, sie haben nicht das Know-how. Das heißt, es kann nur gesiegt werden, indem die NATO eintritt. Das muss sich jeder mal vorstellen. Dann haben wir den Ernstfall, NATO gegen Russland, das darf nicht passieren.
Und die Atomwaffen sind scharf, die Raketen sind scharf, die Flugzeuge sind scharf, die üben jede Woche den Ernstfall. Wie ein Pilot überhaupt den Ernstfall üben kann, weil das heißt ja, auf Befehl muss er die Atombombe wieder abwerfen. Es ist doch Ein Wahnsinn. Es ist alles Wahnsinn.
Es gibt ja jetzt auch Meinungen, warum denn nun Hungerstreik, ob das jetzt das geeignete Mittel wäre. Ja, was sagst du dazu?
Ich habe am Anfang ganz viel Negatives gehört, warum wird so schlecht darüber geredet? Ja, ich glaube, ich glaube, weil viele Menschen oft denken, man kann nichts tun und irgendwie, wenn dann jemand so eine Aktion startet, das macht auch schlechtes Gewissen.
Und dann wird mehr gemeckert als gelobt.
So ist es.
Ja. Wie geht es dir eigentlich, Marion? Wie lange bist du jetzt tatsächlich im Hungerstreik?
Ich bin jetzt im zehnten Tag.
Reden fällt mir schwer. Heute geht es mir ein bisschen besser, gestern ging es mir schlechter.
Du musst viel trinken. Ja, ich habe dir Tee mitgebracht. Ja, Mensch, ich ziehe meinen Hut vor dir.
Ich habe auch mittlerweile ganz viele, auch gute Rückmeldungen bekommen. Viele sagen z.B. eine Gruppe österreichischer Frauen, Mütter für den Frieden, die haben gesagt, sie finden das ganz toll. Das wollte ich auch. Ich wollte irgendwie zeigen, man kann was machen. Und viele in der Friedensbewegung, die sind auch schon hilflos geworden.
Sie haben schon so viele Jahre gekämpft, hat sich nichts geändert. Und so ist es. Ja. Und vielleicht kann ich mobilisieren. Wir dürfen nicht aufgeben. Hoffnung stirbt zuletzt.