In dreißig Jahren wachen wir an einem Herbstmorgen wie diesem auf und schalten die Nachrichten an. Kein Wort fällt über Verbot oder Legalisierung von Abtreibung, weil Gebärmütter kein Stoff mehr für Gesetzesentwürfe sind. Stattdessen wird berichtet, dass die Militärstützpunkte im Pazifik geschlossen und das Land an seine Besitzer:innen zurückgegeben wird. Die einstigen Schauplätze von Verschmutzung, sexualisierter Gewalt und Kriegsführung verwandeln sich nun in etwas Neues. Mehrere Milliarden Dollar wurden an Gemeinden im gesamten Süden der USA verteilt, damit diese ihre Infrastrukturen erneuern können, um besser vor Naturkatastrophen geschützt zu sein.

Von Danaka Katovich und Jodie Evans (Codepink)

Mehrere Jahrzehnte lang haben sich die Menschen zusammengetan, um die CO2-Emissionen zu reduzieren; es ging einzig und allein nur darum, wer die Welt am schnellsten retten kann. Etwas, das vor dreißig Jahren undenkbar schien, als die Hurrikane Helene und Milton Florida und North Carolina zerstörten – als die Regierung Israel Geld für den Genozid schickte anstatt für Hurrikan-Hilfen. Palästinenser:innen bauen Gaza wieder auf, und in Gaza Geborene können ihre Familien in Jerusalem, Tulkarm oder Baituniya besuchen. Die Mauern der Apartheid sind endlich gefallen.

Jeder erschütternde Moment kann uns in unserem Zeitrahmen zu einem Richtungswechsel veranlassen – es hätte jede Naturkatastrophe oder aber die Aussicht auf einen Weltkrieg sein können. Von der Basis her haben die Menschen bessere Prioritäten gefordert. Feministinnen haben aus ganzheitlicher Perspektive darüber nachgedacht, was Frauen fordern sollten. Wenn Krieg und Imperialismus Frauen und Kinder töteten – ganz direkt durch Bomben und indirekt durch die Zerstörung der Natur – dann sollten Feministinnen das Ende des Krieges fordern. Das haben sie getan. Die über eine Billionen Dollar, die jedes Jahr für die Kriegsindustrie festgelegt waren, kam nun den Gemeinschaften zugute, damit sie mehr als nur ihre gröbsten Grundbedürfnisse decken konnten.

Die Weltbevölkerung hat ein Gefühl von Stabilität. Wir tragen alle weniger Sorge und Trauma in uns. Das ist ein Beispiel der feministischen Zukunft, die für uns vorstellbar ist.

Wenn die Utopie eine Welt ist, in der keine Gesetze über Gebärmütter erlassen werden und Palästinenser:innen sich frei in ihrem Land bewegen können, dann sind wir Utopistinnen. Soziale Fantasie ist nützlich, weil wir nicht loslaufen können, wenn wir nicht wissen wohin, da wir sonst riskieren, in die falsche Richtung zu laufen. Der „Feminismus“ von Hillary Clinton, Kamala Harris oder jeder anderen Frau der herrschenden Klasse hat keine Zukunftsvision, weil ihr Feminismus nicht mehr tut, als den Status Quo des endlosen Krieges und Kapitalismus‘ fortzuschreiben. Diese Art des Feminismus mag beispielsweise für Frauen das Recht auf Abtreibung erwirken, aber ohne die Möglichkeit, sich bei Bedarf eine leisten zu können. Wir argumentieren, dass uns der einvernehmliche, kriegstreiberische Feminismus unserer Zeit auf einen Weg führt, der alle Frauen, die nicht zur herrschenden Kasse gehören, in die Schusslinie bringt. Und wir argumentieren, dass wir durch das Leben unserer feministischen Werte einen Schleichweg eröffnen, der zu einer feministischen Zukunft führt.

Jede Entmenschlichung steht im ethischen Gegensatz zu feministischen Werten. „Feministinnen“, die über den Genozid in Gaza noch kein Wort verloren haben, übergehen Palästinenserinnen – so entmenschlichen sie eine ganze Bevölkerung unterdrückter Menschen und decken mit ihrem Verschweigen den Genozid. Wann immer und wo immer Grausamkeiten geschehen, rechtfertigen Menschen, und darunter stets auch „Feministinnen“, diese Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten. Selbst wenn sie Palästina in keiner Weise erwähnen und stattdessen nur über Abtreibungsrechte streiten, demonstriert dieses Auslassen allein schon die Entmenschlichung. Sie sprechen laut aus, wer ihnen wichtig ist und wer nicht.

Mit jeder Ausgrenzung gehen die Kriegsmaschine und das Patriarchat (es ist beides dasselbe) einfach zur nächsten unterdrückten Gruppe weiter, die Feministinnen außen vor zu lassen bereit sind. Für das erste Novemberwochenende ist ein Frauenmarsch geplant, der wie im Jahr 2017 die Frauen auf die Straßen zu bringen hofft. Er stellt sich selbst als feministische Bewegung dar: „Bis 2050 haben wir als eine feministische Bewegung sichergestellt, dass jede:r die Freiheit auf ein selbstermächtigtes, sicheres und geschütztes Leben im eigenen Körper, in der eigenen Gemeinschaft und im ganzen Land hat.“ Wir fragen uns, ob unsere feministische Vision etwas mehr fordern sollte, und wie sinnvoll es wirklich ist, eine Vision zu haben, die auf das „Land“ reduziert ist. In einer globalisierten Welt, in der unser „Land“ über 700 Militärstützpunkte besitzt und in jedem größeren Konflikt Waffen zur Verfügung stellt – sind da Feministinnen in den USA nicht verpflichtet, eine grenzüberschreitende Vision zu haben? Wenn unsere Unterdrückung jeden Zentimeter der Erde berührt, dann sollte unsere Solidarität es auch tun.

Das Patriarchat ist der niemals satte Bauch, der unablässig auf der Suche danach ist, weitere Menschen zu verschlingen – also ermutigt es uns und setzt uns unter Druck, Menschen auszugrenzen. Derzeit drängen uns Feministinnen aus der westlichen Welt, Frauen in den USA über Frauen in Gaza zu stellen, selbst wenn sie Videos von schwangeren Palästinenserinnen sehen, die auf offener Straße erschossen werden. Westliche Feministinnen bestehen darauf, dass wir versuchen ganz nach oben zu kommen, und dabei unsere leidenden und hungernden Schwestern im Staub zurückzulassen. Mit Ausnahme Teil der herrschenden Klasse zu sein,  ziehen Feministinnen der Westlichen Welt keinerlei Gewinn daraus, Palästinenserinnen von ihrer Politik und ihren Zukunftsplänen auszuschließen – ohne wahre Solidarität an den Tag zu legen und diese Wert zu schätzen lassen sie jede:n, im Schmutz liegen, der oder die unter dem Stiefel des Kapitalismus und Imperialismus lebt.

Soziale Fantasie ist der Schlüssel zu unserer feministischen Weltsicht. Um es mit Bill Ayer’s Worten aus seinem neuen Buch „Wenn die Frage Freiheit lautet, ist Abschaffung die Antwort“ zu sagen: „[Soziale Fantasie beinhaltet] die gemeinschaftlich kreativen, einfalls- und ressourcenreichen Kräfte, die die gesamte Menschheit miteinbeziehen und ausdrücklich für Emanzipation und Befreiung der vielen, von allen sind.“ Jeder feministischen Struktur, die die Massen außer Acht lässt, mangelt es an der nötigen sozialen Fantasie.

Das ist, was westliche Feministinnen darstellen: Frauen im Senat, Frauen im Repräsentantenhaus, und Frauen in schwammigen „Machtpositionen“. Schauen wir etwas genauer auf Frauen im Kongress, die mittlerweile seit Jahren von CODEPINK über die Notlage der Frauen in Gaza aufgeklärt werden. Konfrontiert man sie mit der Realität menschlichen Leids, welches sie wissentlich unterstützen und materiell ermöglichen, drohen uns Menschen wie Nancy Pelosi mit den Fäusten und bestehen darauf, dass sie sich auf Themen konzentrieren, die die Frauen hier in den USA betreffen. Westlicher Feminismus ist nicht nur ausgrenzend, er verkauft uns auch für dumm. Der Kongress und Frauen wie Nancy Pelosi hatten mehr als eine Gelegenheit, das Recht auf Abtreibung in den USA festzuschreiben. In all dieser Zeit, und besonders innerhalb des letzten Jahres haben ebendiese Frauen dem völkermordenden Staat Israel ihre eiserne Unterstützung zugesagt, während dieser Familien zerstört und palästinensische Frauen und Männer sexuell missbraucht.

Also, was haben diese „Feministinnen“ in Machtpositionen der Bevölkerung gegeben? Sie liefern uns das Bild einer Frau im Machtsessel, die „durch die Glasdecke bricht.“ Wenn eine Frau in dem Sessel sitzt, in dem zuvor ein Mann saß, und sie für denselben Sparkurs und dieselben Kriegsausgaben stimmt, wie zuvor der Mann, bedeutet das dann „durch die Glasdecke brechen“? Gewiss. Was daran aber ist von Bedeutung, wenn die Mauern, die diese Glasdecke tragen, die Massen in Armut, Trauma und Krieg festhalten? Feministinnen streben danach, die Mauern selbst einzureißen…

Ein Appell für den Status Quo (institutionalisierte Gewalt gegen Frauen inbegriffen) ist weder befreiend noch ein Beispiel sozialer Fantasie. Befreiende Werte wie Feminismus beziehen alles mit ein, sie streben nach Erneuerung, sie inspirieren. Vor allen Dingen wurzeln sie in Liebe.

Wir wollen eine andere Zukunft. Was also ist die Alternative zum ausgrenzenden, westlichen Feminismus, dem es egal ist, wenn Palästinenserinnen massenweise umgebracht werden, solange er nur vielleicht eines Tages das Recht auf Abtreibung in einem einzelnen Land festschreiben kann?

Das ist Feminismus – gelebter Feminismus, Feminismus, der wirklich daran glaubt, dass jeder Mensch ein Leben in Würde verdient. Ein Feminismus, der sich eine lebenswerte Zukunft wirklich vorstellen und sie hervorbringen kann.

Will man beginnen, aus dem rassistischen kapitalistischen Patriarchat auszubrechen, muss man beginnen, feministische Werte im Alltag zu leben. Bei CODEPINK nennen wir das sich von der Kriegswirtschaft hin zur Friedenswirtschaft zu bewegen. Hier sind fünf einfache Schritte, die du noch heute in deinen Alltag integrieren kannst:

  1. Lerne jeden Tag eine:n neue:n Unbekannte:n kennen und führe ein Gespräch. Im Bus, im Café, auf der Straße. Überall. Geh aus dem Haus.
  2. Übe dich in Neugierde. Wenn dir Informationen zugetragen werden, über eine Person oder zu einem Thema, frage dich, warum das passiert, und ob überhaupt etwas dran ist. Neugierde kann uns helfen, Massenmedien und zwischenmenschliches Drama mit einer kritischeren Linse zu betrachten.
  3. Übe dich in Geduld. Denke daran, Menschen, die weniger oder gar nicht politisch informiert sind. nicht mit Hochmut zu begegnen!
  4. Übe dich in Großzügigkeit. Wenn wir in unserem Leben von Reichhaltigkeit bestimmt sind, verweigern wir uns aktiv dem Gefühl des Mangel, das uns die Kriegswirtschaft eingeimpft hat.
  5. Übe dich in all-umfassender Fürsorge. Du sorgst für Menschen aus deinem direkten Umfeld. Aber du sorgst auch für Menschen um diese herum, und um die Menschen um diese dann herum. Du kannst keinen ausgrenzenden Feminismus betreiben, wenn deine Empathie keine Grenzen kennt.
  6. Mehr Übungen und unsere Unterstützung für dich findest du auf codepink.org/peaceeconomy

Ja, die Grausamkeiten, die die US-Regierung in unserem Namen ausübt, sind nicht zwangsläufig unser Verschulden. Unsere Politiker:innen sind käuflich und repräsentieren nicht die Bevölkerung, das wissen wir. Aber es kommt darauf an, unsere Werte zu leben, während wir unsere Bewegung voranbringen. So wir denn flüchtige Blicke auf die Welt, in der wir leben wollen, erhaschen, wenn wir unter uns sind, dann bewegen wir uns spürbar in die richtige Richtung.

Dieses ständige Ausleben unserer feministischen Werte stellt sicher, dass niemand zurückgelassen wird. Es schützt unsere Bewegung davor, von der vereinnahmt zu werden. In den USA begehren wir gegen die Prioritäten unserer eigenen Regierung auf. Sie genießen es, sich am Krieg und der daraus resultierenden Macht zu bereichern – sie haben sich nie um unser Leben oder das Wohl des Planeten gesorgt und werden es nie tun. Aber auch wenn die Unterdrückung unserer Regierung die ganze Welt umspannt, sind die Kämpfe der Menschen überall die gleichen.

Wenn wir uns also eine Welt vorstellen, in der die Prioritäten mehr den Menschen gelten, und dabei über den Horizont und das Mittelmeer hinaussehen, dann sehen wir dort auch ein freies Palästina.

Danaka Katovich ist CODEPINK’s nationale Co-Direktorin. Im November 2020 schloss Danaka ein Studium in Politikwissenschaften an der DePaul University mit einem Bachelor ab.

 Jodie Evans ist die Mitgründerin von CODEPINK und des Schreibprogramms für Schüler:innen 826LA, sie ist Teil des CODEPINK Board of Directors. Sie ist Mitherausgeberin von zwei Büchern, „Morgengrauen des Imperiums: Antworten auf Unterdrückung“ und „Beendet den nächsten Krieg jetzt: effiziente Antworten auf Gewalt und Terrorismus“ sowie Beitragende zu „Beautiful Trouble: ein Werkzeugkasten für die Revolution.“

Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Alissa Birle vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!

Der Originalartikel kann hier besucht werden