Derzeit sind es die USA, die die Marktpreise für das hauptsächlich in Dollar gehandelte Getreide bestimmen. Dies wollen die BRICS-Staaten durch die Schaffung einer eigenen Getreidebörse ändern.

Das im Oktober abgehaltene BRICS-Gipfeltreffen im russischen Kazan, an dem die zehn Mitglieder Brasilien, Russland, Indien China, Südafrika, Äthiopien, Ägypten, der Iran, Saudi-Arabien die Vereinigten Arabischen Emirate sowie zahlreiche Partner-Länder der Vereinigung teilnahmen, gilt für viele Beobachter als ein bedeutender Meilenstein bei der Schaffung eines gerechten und multipolaren Systems.

In diesem Zusammenhang hatten sich die BRICS unter anderem darauf geeinigt, weitere Reformen im Bereich des globalen Finanzsystems auf den Weg zu bringen. Und nicht zuletzt wegen der Tatsache, dass vier BRICS-Staaten – China, Indien, Russland und Brasilien – zu den stärksten fünf Getreideproduzenten weltweit gehören, wurde auf dem Summit beschlossen, eine gemeinsame Plattform für den Getreide- und Rohstoffhandel zu schaffen.

Regeln entsprechen nicht den Machtverhältnissen

Dieses Vorhaben soll nach Möglichkeit alle Bereiche des Agrarsektors umfassen und dazu verhelfen, die nationalen Agrarmärkte der Schwellenländer sowohl vor „negativen externen Eingriffen und Spekulationen“ als auch vor jenen Versuchen zu schützen, die einen künstlichen Defizit an Nahrungsmitteln verursachen könnten.

Die russische Seite, die im Rahmen ihres diesjährigen BRICS-Vorsitzes die Getreide-Initiative bei den Gesprächen in Kazan vorgeschlagen hatte, betont, dass die Zeit dafür gekommen sei, die bestehenden Rahmenbedingungen im globalen Getreidehandel zu reformieren, da sie heute nicht mehr den realen Machtverhältnissen in der Welt entsprechen würden.

In der Tat hatten sich die Handelsregeln in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg angesichts der damaligen US-Dominanz bei den Mais- und Weizenexporten gebildet, wobei sie die Marktteilnehmer bis vor Kurzem durchaus zufriedengestellt haben. Inzwischen gibt es jedoch erhebliche Meinungsverschiedenheiten zwischen den wichtigsten Akteuren auf dem Weltmarkt für Getreide, unter anderem in Bezug auf die Verwendung des US-Dollars bei den Zahlungen.

Die Kritik der BRICS betrifft im Grunde die Tatsache, dass die aktuellen Marktregeln sich nach wie vor auf den Vorgaben der Warenbörse von Chicago (Chicago Mercantile Exchange) basieren, wo das Getreide hauptsächlich in Dollar gehandelt wird und wo auch die weltweiten Getreidepreise gebildet werden. Mit Blick auf die von BRICS propagierte Schaffung einer „neuen und gerechteren Weltordnung“, für die eine Alternative zum Dollar-basierten Finanzsystem unabdingbar sei, stellt der in Dollar abgewickelte Handel mit Getreide damit auch eine politische Grundsatzfrage dar.

Finanztechnisch geht es den aufstrebenden Schwellenländern um die Möglichkeit, durch eine alternative Börse faire Getreidepreise bilden und auf die Nutzung des Dollar bei Handelsgeschäften verzichten zu können. Damit könnten sich die Getreideproduzenten der BRICS-Staaten unabhängiger vom Westen machen und dadurch neue Absatzmärkte erschließen, betonen die Unterstützer der russischen Initiative. Zugleich würde eine eigene Getreidebörse die Gefahr von Finanzsanktionen vermindern, die den Handel derzeit enorm beeinträchtigen. So werden zum Beispiel diverse russische Waren aufgrund von Handelsbeschränkungen, die die USA und ihre Partner gegen Russland erlassen haben, nicht zum Handeln an der Börse zugelassen.

Russische Experten sind optimistisch

Diesbezüglich sind viele Experten aus dem Finanz- und Wirtschaftsbereich in Russland der Ansicht, dass die Gründung einer eigenen Getreidebörse die Abhängigkeit der BRICS-Länder vom Dollar auf dem Getreidemarkt verringern und sich damit positiv auf die Agrarsektoren der Allianz auswirken werde.

Iwan Efanow, ein Analyst der Agentur „Digit Broker“, führt an, dass die BRICS-Getreidebörse vor dem Hintergrund der westlichen Sanktionen dazu verhelfen würde, faire Getreidepreise zu bilden und die Abkehr vom Dollar als Währung für Zahlungen zu forcieren. Ihm zufolge kann die Initiative durchaus realisiert werden, da die BRICS-Länder heute mehr als 40 Prozent am Anteil des weltweiten Getreidemarktes haben.

Laut Natalja Sgurskaja, der Geschäftsführerin des Getreidelieferunternehmens „Semliza“, liegt ein bedeutender Vorteil der besagten Initiative darin, dass im Rahmen der Getreide- und Warenbörse der BRICS auch ein gemeinsames Zahlungssystem geschaffen werden soll, das nicht auf dem US-Dollar basieren wird. „Je mehr Möglichkeiten es gibt, die Preise ohne Einfluss westlicher Finanzinstitute zu bestimmen, desto mehr Möglichkeiten werden unsere Anbauer haben, ihre Produktion gewinnbringend zu veräußern“, meint Sgurskaja.

Wladimir Tschernow, Analyst bei der Agentur „Freedom Finance Global“, sieht in der Getreidebörse ein Werkzeug, mit dem Spekulanten, die ein künstliches Getreidedefizit auf dem Weltmarkt schaffen und damit einen rapiden Preisanstieg hervorrufen, bekämpft werden könnten. Demnach würde man durch eine alternative Börse beispielsweise Termingeschäfte ausschließen können, um Spekulationen zu vermeiden. Darüber hinaus könnte man bei Gefahr von Spekulationen ausschließlich Teilnehmer der BRICS zum Handeln zulassen. Tschernow zufolge wären die BRICS zugleich dazu in der Lage, Preisanstiegen leichter entgegenzuwirken: „Sollte es in Russland eine schlechte Ernte geben, wird es Waren aus eigenen Vorräten an der Börse anbieten können, und bei einer neuen Rekordernte die Situation umkehren und die eigenen Vorräte aufstocken, um die Getreidepreise an der BRICS-Börse zu stabilisieren.”

Dagegen meint Evgenij Mironjuk, Aktienmarktexperte bei der „BKS Investment World”, dass die Getreidepreise an der geplanten Börse nicht direkt erhöht oder gesenkt werden könnten. Sie würden aber in hohem Maße von Angebot und Nachfrage in den BRICS-Ländern abhängen.

Damit stellt die Getreidebörse definitiv ein sehr ehrgeiziges Vorhaben dar, dass Millionen Menschen auf der ganzen Welt zugute kommen könnte. Falls es nämlich umgesetzt und die BRICS-Allianz die Preise auf Getreide künftig maßgeblich bestimmen wird, dann könnte dieser Ansatz zu einer Warenbörse weiterentwickelt und auf andere Handelsbereiche ausgeweitet werden. Um auch dort für fairere Preise zu sorgen und Spekulationen zu bekämpfen.

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