Nachdem der Haushaltsentwurf der Ampel-Regierung für 2025 zunächst die faktische Einstellung des Bundesaufnahmeprogramms (BAP) vorsah, über welches bis zu 36.000 besonders schutzbedürftige Afghan*innen nach Deutschland kommen sollten, galt dieses am vergangenen Mittwochabend einem Medienbericht zufolge als gerettet. Doch wenige Stunden danach brach die Regierungskoalition auseinander. Neben den Diskussionen um neue Wahltermine und die Rückkehr Trumps ist die Frage nach der Fortführung des lebensrettenden Programms aus den Medien verschwunden. Die Zukunft der zehntausenden Menschen, die bereits kontaktiert worden sind, unter ihnen mehrere tausend mit Aufnahmezusage, ist völlig unklar.

Für jemanden, der seit über einem Jahrzehnt mit Menschen aus Afghanistan zusammenarbeitet und der sich im Moment der gewaltsamen Machtübernahme der Taliban im Camp Vathy auf der griechischen Insel Samos aufhielt, in dem zu dem Zeitpunkt 80% Afghan*innen lebten, hat diese Entwicklung eine besondere Bedeutung. Ich werde nicht vergessen, wie diese vielen Menschen, die ich in meiner Zeit dort teilweise gut kennen und sehr schätzen gelernt hatte, voller Sorge tagelang verzweifelt versuchten, ihre Verwandten zu erreichen. Auch nicht vergessen werde ich, was einer meiner afghanischen Kollegen sofort sagte:

„Jetzt sagen sie, sie werden die Rechte der Menschen achten. Sie warten, bis niemand mehr hinschaut und dann machen sie, was sie wollen“.

Genauso ist es gekommen. Diesen August, genau drei Jahre später, haben die Taliban Frauen und Mädchen verboten, in der Öffentlichkeit ihre Stimme zu erheben. Es war der letzte Stein einer Mauer, welche Frauen und Mädchen vollkommen aus dem öffentlichen Leben ausschließt. Mädchen ist der Schulbesuch ab der siebten Klasse verboten, Frauen dürfen weder arbeiten noch studieren oder auch nur allein das Haus verlassen. Viele sind von Zwangsehen und brutalen Strafen wie sexuellen Misshandlungen in Haft, Auspeitschungen und Steinigungen bedroht. Der Europäische Gerichtshof hat am 4. Oktober 2024 mit einem Urteil reagiert, welches besagt, dass Frauen und Mädchen die Flüchtlingsanerkennung per se zugesprochen werden muss, nur aus dem Grund, dass sie weiblich und Afghaninnen sind.

Genau an diese Menschen hat sich die grüne Außenministerin Annalena Baerbock einst gerichtet, als sie mit großen Worten das BAP 2022 ankündigte:

„Ihnen [den Frauen und Mädchen] wollen wir ein Stück Hoffnung zurückgeben und die Chance auf ein Leben in Freiheit, Selbstbestimmung und Sicherheit.“ 

Sie sind nicht die einzigen, die unter der Herrschaft der Taliban ihre Grundrechte verloren haben: Dazu gehören beispielsweise auch Menschenrechtsaktivist*innen, Ortskräfte, ehemalige Regierungsmit-arbeiter*innen und Angehörige von Minderheiten. Sie alle fürchten nicht nur drakonische Strafen für sich selbst, sondern auch für ihre Familien und Angehörigen, da die Taliban strategisch kollektiv bestrafen. Auch an sie hatte sich das Bundesaufnahmeprogramm initiativ gerichtet.

Noch immer erreichen mich regelmäßig Hilferufe einzelner Personen, die für westliche Institutionen gearbeitet haben und nun in Afghanistan oder den Anrainerstaaten versteckt leben, aus Angst vor der Rache der Taliban. Nur innerhalb der letzten Woche hatte ich Kontakt zu N., die Journalistin war und mit westlichen Nichtregierungsorganisationen zusammenarbeitete; M., der für die GIZ arbeitete, eine Vorabzusage bekam und nun samt Familie in Pakistan festsitzt; S., der im Fernsehen offen über Frauenrechte gesprochen hat und seitdem bedroht wird; D., dessen gerade volljährig gewordenen Kinder seit seiner eigenen Evakuierung als Ortskraft von den Taliban offiziell gesucht werden, da sie „Verrat“ geübt hätten und die sich noch in Afghanistan versteckt halten. Sie alle haben eine Vielzahl an Unterlagen geschickt, die ihre Geschichte belegen. Und sie stellen nur einen Bruchteil derjenigen dar, mit denen ich in den letzten drei Jahren Kontakt hatte und die alle ähnliche Schicksale teilen.

Allein in Pakistan warten schätzungsweise 3.700 Menschen mit Vorabzusage darauf, dass es weitergeht. Ihre Situation ist äußerst prekär, insbesondere, nachdem die Regierung vor einem Jahr begonnen hat, Afghan*innen zu Tausenden gewaltsam auszuweisen. Weitere ca. 15.000 sind von den deutschen Behörden kontaktiert worden und hoffen seitdem auf eine Überlebenschance hier.[1] Dennoch ist die abschließende Bearbeitung von bereits ausgewählten Anträgen durch die zuständigen Stellen seit Juli 2024 unterbrochen.

Gemäß ihrem Versprechen hätte die Bundesregierung zu diesem Zeitpunkt bereits 24.000 von 36.000 Menschen aufgenommen. Gekommen sind nur 692 (Kabul Luftbrücke, Stand 02.11.24). Die übrigen leben, wie S., D., N. und M. im Limbo einen Alltag als Spielball zwischen deutschen, pakistanischen und Taliban-Interessen. Diese Menschen, die für ihre Landsleute und oft auch im deutschen Interesse in der Hoffnung auf eine freiere, gerechtere und sicherere Zukunft so viel gegeben haben, können nun aus eigener Kraft weder vor, noch zurück. Sie haben, insbesondere wenn sie ihr Land in Richtung Pakistan verließen, auf die Vorabzusage und die Worte der SPD-Innenministerin Nancy Faeser vertraut, die da waren:

„Wir handeln und erfüllen unsere humanitäre Verantwortung.“


[1] Hochrechnungen auf Grundlage der regelmäßig an die Meldestellen kommunizierten Zahlen von Seiten des BMI gehen von 15.000-17.000 Menschen aus, die kontaktiert wurden.