Der UN-Gipfel zur biologischen Vielfalt COP 16 hatte am 21. Oktober in Kolumbien begonnen, einem der 17 Länder mit der weltweit größten biologischen Vielfalt. Mehr als 23.000 Vertreter*innen von Regierungen, Zivilgesellschaft, Medien und anderen Sektoren – eine Rekordzahl für eine Biodiversitätskonferenz – waren in Cali, der drittgrößten Stadt des Landes, zusammengekommen, um zwei Wochen lang unter starker Polizeipräsenz zu diskutieren.
Der Gipfel fand zwei Jahre nach der COP15 statt, bei der 196 Länder ein globales Abkommen zum Naturschutz unterzeichneten, in dem vier langfristige Ziele und 23 spezifische Zielvorgaben festgelegt wurden, die bis 2030 erreicht werden sollen, um den Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen und umzukehren. In Cali wollten sich die Regierungen auf die Umsetzung dieses Abkommens, den Globalen Biodiversitätsrahmen (GBF) von Kunming und Montreal, konzentrieren, und viele waren aufgerufen, aktualisierte nationale Pläne vorzulegen.
Für Lateinamerika war die Konferenz eine Gelegenheit, die Schlüsselrolle der Region bei der Erhaltung der biologischen Vielfalt angesichts der wachsenden Bedrohung durch die Rohstoffindustrie hervorzuheben. Kolumbien, das den COP-Vorsitz innehat, beabsichtigte außerdem, Fragen der Energiesysteme und der Energiewende ganz oben auf die Tagesordnung zu setzen. Bei früheren Gipfeltreffen wurde dem Thema Energie weniger Aufmerksamkeit geschenkt, aber die Verbindung zu Biodiversität, natürlichen Ressourcen und Klimawandel wurde von der kolumbianischen Präsidentschaft hervorgehoben und war Gegenstand von Diskussionen in verschiedenen Panels der Veranstaltung.
„Lateinamerika ist führend in den Bereichen erneuerbare Energien und Biodiversität, beide Themen sind eng miteinander verbunden“, erklärte Susana Muhamad, kolumbianische Ministerin für Umwelt und nachhaltige Entwicklung und Vorsitzende der COP 16, gegenüber Dialogue Earth: “Wir müssen anfangen, diese Überschneidung zu diskutieren, damit die Regierungen öffentliche Maßnahmen ergreifen können, die beide Ziele miteinander in Einklang bringen. Es geht nicht nur um Dekarbonisierung. Wenn wir die Ökosysteme nicht in bedeutendem Umfang wiederherstellen, werden wir auch nicht in der Lage sein, das Klima zu stabilisieren“.
Nach Angaben des Klima-Thinktanks Ember erzeugte Lateinamerika im vergangenen Jahr 62 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energiequellen, hauptsächlich aus Wasserkraft, aber mit einem wachsenden Anteil an Solar- und Windenergie. Die Region ist auch ein etablierter Produzent zahlreicher wichtiger Mneralien für saubere Energietechnologien, darunter 40 Prozent der Kupferproduktion und 35 Prozent der weltweiten Lithiumproduktion.
„Wir werden im Namen der Energiewende geopfert“
Der Ausbau von Solar- und Windparks hat jedoch in den letzten Jahren zu Konflikten mit der lokalen Bevölkerung geführt, die sich in Landstreitigkeiten und Auswirkungen auf die biologische Vielfalt und die Ökosysteme äußern. Gleiches gilt für die zahlreichen neuen Bergbauprojekte in der Region von Argentinien bis Peru. Im Jahr 2023 entfielen 23 Prozent der ausländischen Investitionen in der Region auf Mineralien und wichtige Rohstoffe.
„Wir sind nicht gegen die Energiewende, aber wir werden im Namen der Energiewende geopfert“, sagte Iber Sarapura aus der Gemeinde Alfarcito in der Salzwüste Salinas Grandes im Norden Argentiniens gegenüber Dialogue Earth in Cali. Projekte zur Ausbeutung der Lithiumvorkommen in Salinas Grandes stoßen auf großes Interesse, aber auch auf starken Widerstand vor Ort. Wir leben in der einzigen Saline Argentiniens, die „Nein“ zu Lithium gesagt hat, an einem Ort, an dem es nur eine Woche im Jahr regnet. Wasser ist wertvoller als Lithium“, sagt Sarapura.
Finanzierung der Biodiversität auf der COP 16
Die Länder hatten sich im Rahmen des GBF darauf geeinigt, dass jährlich mindestens 200 Milliarden US-Dollar für den Schutz und die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt benötigt werden. Die Vereinten Nationen haben einen neuen Fonds für den GBF eingerichtet, aber vor der Konferenz hatten nur sieben Länder Mittel in Höhe von insgesamt 243 Millionen US-Dollar dafür bereitgestellt.
In ihren Beiträgen auf der COP 16 betonten die lateinamerikanischen Regierungen, dass die Industrieländer mehr Mittel für die biologische Vielfalt bereitstellen müssten. Gillian Guthrie, Vertreterin Jamaikas bei der UN-Konvention über die biologische Vielfalt (CBD), sprach im Plenum im Namen der lateinamerikanischen und karibischen Verhandlungsgruppe GRULAC.
„Eine angemessene Finanzierung ist Voraussetzung für die Umsetzung des GBF. Die Mittel sind alarmierend unzureichend, denn das bedeutet, dass Projekte vor Ort unterfinanziert sind“, sagte Guthrie. „Die Entwicklungsländer müssen Ressourcen auf nationaler Ebene mobilisieren und gleichzeitig Armut, Hunger und Ungleichheit bekämpfen. Wir setzen uns für eine gerechte Finanzarchitektur für die biologische Vielfalt ein“.
Internationale Zusammenarbeit unerlässlich
Brasilien erklärte im Namen der Gruppe der Länder mit großer biologischer Vielfalt – 20 Staaten, die 70 Prozent der weltweiten biologischen Vielfalt beherbergen – in einer Erklärung, dass es zwar alles in seiner Macht Stehende tue, um die GBF umzusetzen, dass aber internationale Zusammenarbeit unerlässlich sei. „Das Ausmaß der Zusammenarbeit, sei es über bilaterale Kanäle oder multilaterale Institutionen, war nicht ausreichend, angemessen und vorhersehbar“, heißt es in dem Dokument.
Emilio Spataro, Beauftragter für Biodiversität bei der Nichtregierungsorganisation Group for Climate Finance for Latin America and the Caribbean (GFLAC), erklärte gegenüber Dialogue Earth, dass es unmöglich sei, die Biodiversitätsziele der GBF ohne eine breitere Finanzierungsdebatte zu erreichen. Diese Aussagen spiegelten die Worte des kolumbianischen Präsidenten Gustavo Petro in der Eröffnungssitzung wider.
„Die Vereinigten Staaten, China und Europa verlangen Risikoprämien von Ländern, die schon heute CO2 aus der Atmosphäre absorbieren können wie Schwämme in unseren Wäldern und Dschungeln“, sagte Petro. „Eine Risikoprämie von denjenigen zu verlangen, die das von den Megareichen der Welt ausgestoßene CO2 absorbieren, ist ein moralischer und tödlicher Widerspruch“, fügte er hinzu. „Die reichsten Raubtiere sollten besteuert werden, um die Produktion und den Verbrauch von CO2 zu reduzieren.”
Nationale Pläne
Im Rahmen des GBF hatten sich die Länder verpflichtet, vor der COP 16 ihre nationalen Strategien und Aktionspläne zur biologischen Vielfalt (NBSAPs) vorzulegen. Dabei handelt es sich um Pläne, wie die Länder die Ziele des Übereinkommens erreichen wollen. Eine Woche vor Ende der Konferenz haben jedoch 83 Prozent der 196 Vertragsstaaten der CBD ihre aktualisierten Pläne noch nicht vorgelegt.
In Lateinamerika haben bisher nur Kolumbien, Mexiko, Surinam und Kuba ihre Pläne eingereicht. Der kolumbianische Plan zielt beispielsweise darauf ab, die geschützten Flächen bis 2030 um zehn Prozent auf 34 Prozent der Landesfläche auszuweiten und einen klaren Zusammenhang zwischen Natur und Klima herzustellen. Das Land rechnet damit, dass bis 2030 drei Prozent seines BIP von der Biodiversität abhängen werden (heute sind es 0,8 Prozent), was die Bioökonomie ankurbeln würde.
Ende Oktober fand das sogenannte High-Level Segment der COP 16 statt, an dem unter anderem die Präsident*innen Lula da Silva aus Brasilien, Dina Boluarte aus Peru und Xiomara Castro aus Honduras teilnahmen.
Die COP 16 sollte am 1. November mit einer Vereinbarung darüber enden, wie die Fortschritte bei der Erreichung der Ziele der GBF überwacht, berichtet und überprüft werden sollen. Die Länder wollten auch die Verhandlungen über den Vorteilsausgleich bei der Nutzung digitaler Sequenzinformationen (DSI) über pflanzen- und tiergenetische Ressourcen abschließen und einen Plan zur Verknüpfung von Gesundheit und Natur verabschieden, um nur einige Themen zu nennen.
„Wir sollten den globalen Biodiversitätsrahmen nicht als Hindernis oder Risiko sehen, sondern als Chance, über eine neue Wirtschaft nachzudenken“, sagte Muhamad.
Übersetzung: Deborah Schmiedel