In den USA wird ein offen frauenfeindlicher, wegen sexuellen Missbrauchs verurteilter Mann zum Präsidenten gewählt. Die Zahl bewaffneter Konflikte steigt auf Rekordniveau[1] – und damit auch die systematische Gewalt gegen Frauen und Mädchen in diesen Regionen. In Deutschland nimmt Gewalt gegen Frauen zu[2] und ein Viertel der Deutschen weisen auch 2024 geschlossen antifeministische Einstellungen auf.[3]
Doch statt sich ernsthaft mit dem Problem auseinanderzusetzen, werden rassistische wie klassistische Vorurteile bedient und Verantwortungen abgewälzt. Statt Gewalt gegen Frauen auf der politischen Agenda zu priorisieren und als gesamtgesellschaftliches Problem zu begreifen, werden konkrete Maßnahmen blockiert und gewaltbetroffene Frauen im Stich gelassen. Sowohl auf internationaler als auch nationaler Ebene müssen wir also auch im Jahr 2024 festhalten: Gewalt gegen Frauen ist eine Pandemie, die nicht als solche anerkannt und angegangen wird.
Zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen und Mädchen fordern wir als Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt e.V. ein gesellschaftliches Umdenken. Wir können und dürfen nicht länger Symptome analysieren und die Ursachen ignorieren. Wir müssen in Gewaltprävention investieren, statt die Strafverfolgung auszubauen. Wir müssen geschlechtersensible Bildung fördern, statt patriarchale Gewalt und Sexismus zu manifestieren. Wir müssen uns konsequent gegen Antifeminismus stellen, statt tradierte Geschlechterverständnisse weiterzutragen und damit rechtsextreme Positionen anschlussfähig zu machen. Und wir müssen konsequent die Gewaltausübenden in die Verantwortung nehmen, statt die Schuld bei den Betroffenen zu suchen. In den Worten von Gisèle Pelicot, die über zehn Jahre von ihrem Ehemann und fremden Männern unter Betäubung vergewaltigt wurde und die dieses Jahr explizit einen öffentlich geführten Prozess gegen die Täter wünschte: „Die Scham muss die Seite wechseln.“
Im Kontext von häuslicher Gewalt bedeutet das zum einen, gewaltbetroffenen Frauen zu glauben und ausreichend barrierefreie Schutzplätze anzubieten. Der Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung bei Gewalt muss gesetzlich verankert und finanziell abgesichert werden. Die Verabschiedung des angekündigten Gewalthilfegesetz ist deshalb überfällig und muss noch in dieser Legislaturperiode erfolgen!
Zum anderen bedeutet ein Umdenken aber auch, dass wir an den Wurzeln des Problems ansetzen und Gewaltausübende – in den meisten Fällen Männer – stärker in die Verantwortung nehmen. Zu oft wird weiterhin von den Betroffenen verlangt, aktiv zu werden und sich um ihren eigenen Schutz zu bemühen. Diese Verantwortungsverschiebung ist indiskutabel und schafft darüber hinaus keine langfristige Sicherheit. Die Gewalt kann nur von den Gewaltausübenden beendet werden. Sie müssen Verantwortung übernehmen, sich mit ihrem Verhalten auseinandersetzen und die Gewaltursachen bearbeiten. Momentan durchlaufen allerdings nur ein Bruchteil der gewaltausübenden Personen ein soziales Trainingsprogramm, um ihr Verhalten zu ändern. Das muss sich ändern!
Deshalb fordern wir die stärkere Berücksichtigung von standardisierter Täterarbeit als Präventions- und Interventionsmaßnahme gegen häusliche Gewalt. Wir drängen deshalb nicht nur auf die Verabschiedung des Gewalthilfegesetzes, sondern auch darauf, Täterarbeit nach Standard bei der angekündigten Novellierung des Gewaltschutzgesetzes einzubeziehen. Der Rechtsrahmen für verpflichtende Täterarbeit muss erweitert werden. Außerdem sollten Regelungen bei Sorge und Umgang in Fällen häuslicher Gewalt an die Teilnahme an sozialen Trainingsprogrammen geknüpft werden. Die Einrichtungen müssen dementsprechend mit Ressourcen ausgestattet werden.
Um Gewalt gegen Frauen zu beenden, brauchen wir ein gesellschaftliches Umdenken auf allen Ebenen – und zwar jetzt!
[1] https://www.uu.se/en/press/press-releases/2024/2024-06-03-ucdp-record-number-of-armed-conflicts-in-the-world (20.11.2024)
[2] Bundeskriminalamt (2024): Bundeslagebilder – Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten 2023, Bundeskriminalamt: Wiesbaden.
[3] Decker, Oliver; Kiess, Johannes; Heller, Ayline; Elmar Brähler (2024): Leipziger Autoritarismusstudie 2024, Psychosozial Verlag: Gießen.