Der Bund entlastet vor allem Besserverdienende und Beamte. Das gefährdet den sozialen Frieden, meint unsere Autorin.

Drama Baby. Die Ampel ist geplatzt und an gegenseitigen Beschuldigungen fehlt es nicht. Wohl aber nach wie vor an jedweder Selbstkritik. Denn keine politische Notlage kann erklären, wieso es die Bundesregierung in den vergangenen Jahren nicht im Ansatz geschafft hat, die Lebensqualität der eigenen Bevölkerung unter dem Stichwort „Verteilungsgerechtigkeit“ mit in den Blick zu nehmen.

Stattdessen haben wir künftig alle 15 Euro im Monat mehr. Steuerfreiheit, jedoch nur.

Der Grundfreibetrag steigt um 180 Euro jährlich auf 11.784 Euro. Wenn Sie 1715 Euro brutto verdienen, erlässt Ihnen der Staat künftig 2,43 Euro an Einkommensteuer. Sollten Sie allerdings 11.227 Euro verdienen, wie die Abgeordneten des Bundestages seit Juli 2024, steigt Ihre Entlastung auch. Um 6,60 Euro im Monat.

Damit folgt das Gießkannenprinzip aller Bundesregierungen der letzten Jahrzehnte konsequent der Linie, dass Besserverdienende durch Beschlüsse des Parlaments ausnahmslos stärker entlastet werden als Geringverdienende.

Die 733 Abgeordneten im Deutschen Bundestag sprengen das Durchschnittsgehalt, das Statista für alle Arbeitnehmenden in Deutschland ausweist, pro Kopf und Monat um 7690 Euro. Dass die Volksvertretung weder in Berlin noch im eigenen Wahlkreis ein zeitlich gefüllter Job zu sein scheint, hat Abgeordnetenwatch erst kürzlich wieder herausgefunden. Fast die Hälfte der Bundestagsabgeordneten gibt Nebenverdienste in teils beträchtlicher Höhe an.

Eine sehr einfache Möglichkeit, den sozialen Frieden im Blick zu behalten, bestünde zum Beispiel darin, dem aus Steuermitteln bestens versorgten Mandatsträger Nebeneinkünfte für die Dauer der Wahlperiode nicht zu gestatten. Auch fragt sich die einfache Bürgerin im Angesicht der Kleckerbeträge für das gemeine Volk, wieso der Grundfreibetrag nicht einfach mal auf verlässliche 25.000 Euro steigt? Und damit sowohl die Kaufkraft von Millionen Familien ankurbeln als beispielsweise jedem Freelancer, jeder Existenzgründerin und vielen Kulturschaffenden von heute auf morgen die Freiheit schenken würde, aus eigener Kraft ihre „basic needs“ zu erwirtschaften, ohne dass Vater Staat ihnen ständig aufs Portemonnaie schielt. Geklotzt wird augenscheinlich immer nur in Richtung derer, die ohnehin schon finanziell abgesichert sind.

21 Millionen Rentner kommen zu kurz

Ebenfalls Mitte Juli hatte die Bundesregierung beschlossen, einen Inflationsausgleich in Höhe von 3000 Euro an Beamte, Richter, Soldaten und die 16 Minister der Bundesregierung, sowie an alle Pensionärinnen und Pensionäre des Bundes auszuzahlen. Der VdK erläuterte daraufhin seinen Mitgliedern, wieso nach Ansicht der Gerichtsbarkeit die anderen 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner leider leer ausgehen.

Weil nämlich das Gleichheitsgrundrecht nach Art 3 Abs 1 GG lediglich gebietet, Gleiches gleich und Ungleiches seiner Art entsprechend verschieden zu behandeln.

Diese Rechtsauslegung schien mir, mit Blick auf die Juristin Elisabeth Selbert – eine der vier „Mütter des Grundgesetzes“ –, mehr als verwunderlich. Denn zu dem schlichten, aber unmissverständlichen Grundgesetzartikel, dass Männer und Frauen gleichberechtigt seien, gab es 1948 den Gegenvorschlag: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Das Gesetz muss Gleiches gleich, es kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln.“

Diese wachsweiche Umschreibung gleicher Voraussetzungen und Rechte hielt Selbert damals aus guten Gründen für nicht akzeptabel. Denn selbst wenn Pensionäre anders gestellt sind als die Empfangsberechtigten der gesetzlichen Rente, kann eine objektiv errechnete Dynamisierung ihrer Ansprüche aus Steuergeldern nicht in eine solche Schieflage geraten.

Zwar sind auch die Renten im gleichen Zeitraum um 4,57 Prozent gestiegen. Bei einer Durchschnittsrente von 1620,90 Euro dauert es trotzdem etwas über 40 Monate, um sich die 3000 Euro Einmalzahlung der Beamtenliga zusammenzukratzen. Das wäre auch vergebliche Liebesmüh, denn gleichzeitig steigt die Besoldung der Beamten ab Februar 2025 linear um 5,5 Prozent, sodass die bevorzugten Staatsdiener wieder davoneilen mit ihren Bezügen. Auch gegenüber der gesetzlichen Rentenentwicklung muss deshalb von einer offenen, wenn nicht gar dreisten Ungleichbehandlung gesprochen werden, die noch dazu in keiner Weise der Preisentwicklung etwas entgegenzusetzen hat. Während im Jahr 1900 noch mehr als die Hälfte aller privaten Ausgaben auf Lebensmittel entfielen, sind es laut Statista inzwischen nur noch 14,8 Prozent, weil die Menschen in erster Linie die utopisch hohen Kosten für Energie und Wohnen tragen müssen.

Immer mehr Haushalte mit Mietkosten überlastet

Kaum noch verwundert da eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, die zeigt, dass die höchste Mietbelastung auf den Schultern von 20 Prozent der Haushalte mit den niedrigsten Einkommen liegt. Im Jahr 2021 gaben sie mehr als ein Drittel ihres Gehaltes für Miete aus, während die einkommensstärksten 20 Prozent, trotz der hohen Mietspiegel in den Metropolen, nur ein Fünftel ihres Einkommens fürs Wohnen verbrauchten.

Ganz unten rangieren die sogenannten überbelasteten Haushalte. Sie zahlen mehr als 40 Prozent ihres Einkommens für Miete. Anfang der 90er-Jahre betraf dieser Anteil noch 5 Prozent der Haushalte, 2021 sind es schon 14 Prozent. Ohne den Wohnraumbedarf für Asylberechtigte in irgendeiner Weise anzuzweifeln: Mehr als jeder zehnte Bundesbürger lebt auf dem aktuellen Wohnungsmarkt ohnehin schon in beengten Verhältnissen, viele davon sind Kinder und Jugendliche, denen entweder mit ihrer Familie kein Gemeinschaftsraum oder kein eigener Rückzugsraum zur Verfügung steht.

Das neue Kanzleramt von Olaf Scholz verschlingt vor den Augen dieser Menschen 777 Millionen Euro für 50.000 Quadratmeter in bester Lage. Denn zwischen 2010 und 2021 ist die Zahl der Beschäftigten in den Bundesministerien explodiert – von 17.080 auf 26.547 Stellen.  Das ist eine Steigerung um 64,3 Prozent. Dem steht im gleichen Zeitraum umgekehrt proportional ein Bevölkerungswachstum von 1,8 Prozent gegenüber. Bei der letzten Erhebung 2023 waren 21,2 Prozent der deutschen Bevölkerung von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht.

Der Journalist Jens Berger hat sein vor zehn Jahren erschienenes Buch „Wem gehört Deutschland“ mit dem Schwerpunkt auf Kriegs- und Krisengewinnern neu auflegen lassen und legt darin schmerzhaft offen, wie der Mittelschicht in Deutschland in der Zwinge zwischen Preisentwicklung und Einkommensverteilung allmählich die Luft ausgeht. Schon 2014, als Bergers erste Auflage erschien, besaß die Hälfte der Deutschen lediglich 1,4 Prozent des Gesamtvermögens, während zwei Drittel des Vermögens im Besitz der obersten 10 Prozent der Bevölkerung waren. Der 6. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung bestätigt, dass die soziale Mobilität in Deutschland weiter abnimmt, das heißt, es wird immer schwieriger für die Menschen, eine einmal eingetretene prekäre Einkommenssituation wieder zu verlassen.

Wenn es die Aufgabe des Staates ist, in einer sozialen Marktwirtschaft der Allgemeinheit Teilhabe am erwirtschafteten Wohlstand eines Landes zu ermöglichen, muss bezogen auf die Entwicklungen der letzten 30 Jahre wohl oder übel von einem systematischen und demokratiegefährdenden Staatsversagen gesprochen werden.

Dagmar Marianne Zeiß ist Diplom-Pädagogin. Seit 2020 lebt und arbeitet sie als selbstständige Veränderungstrainerin und Supervisorin im hessischen Vogelsbergkreis.

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