Berlin und Vilnius konkretisieren mit einem Abkommen die dauerhafte Stationierung einer deutschen Brigade in Litauen. Deutschland untermauert damit seinen Anspruch, militärische Führungsmacht im Baltikum zu sein.
Vergangenen Donnerstag hat der Seimas, das litauische Parlament, ein Abkommen zwischen Berlin und Vilnius über die dauerhafte Stationierung mehrerer Tausend deutscher Soldaten in Litauen ratifiziert. Bereits Mitte September hatten die Verteidigungsminister beider Länder das Abkommen unterzeichnet und damit den rechtlichen Rahmen für die sogenannte Litauen-Brigade der Bundeswehr vorbereitet. Das weitere Anwachsen der Truppe hängt im wesentlichen an zwei Faktoren: an der Rekrutierung der deutschen Soldaten und an der Fertigstellung der notwendigen Infrastruktur in Litauen – inklusive eines 170 Hektar großen Truppenübungsplatzes in Rūdninkai. Das Verteidigungsministerium in Vilnius berichtet von umfassenden Militarisierungszielen für die litauischen Streitkräfte: eine neue Panzerdivision, noch weiter erhöhte Militärausgaben, beschleunigte Aufrüstung und „das Konzept der Totalen Verteidigung“. Deutschen Rüstungskonzerne können in diesem Zusammenhang ihre Aktivitäten in Litauen ausbauen. Machtpolitisch ist die Stationierung der Litauen-Brigade für Deutschland ein Erfolg. Berlin festigt damit seinen Anspruch, im Baltikum eine militärische Führungsrolle zu übernehmen.
Der nächste Meilenstein
Das jetzt ratifizierte Abkommen ist nicht der erste Meilenstein auf dem Weg zur Litauen-Brigade. Ein halbes Jahr nach der ersten Ankündigung im Jahr 2023, deutsche Soldaten fest in Litauen stationieren zu wollen, unterzeichneten Vilnius und Berlin im Dezember 2023 die sogenannte Road Map, einen Zeitplan zur Umsetzung des Vorhabens. Wie geplant verlegte Deutschland dann Anfang April 2024 die ersten Bundeswehrsoldaten nach Litauen – 21 von geplanten 4.800. Dieses Vorkommando soll dem Verteidigungsministerium zufolge im Oktober und im November um weitere 129 Soldaten verstärkt werden. Den sogenannten Aufstellungsappell für die Litauen-Brigade plant Berlin für die erste Jahreshälfte 2025. Bis 2026 soll die Marke von 500 Soldaten erreicht werden. Die restlichen 4.300 Soldaten sollen dann in den Jahren 2026 und 2027 eintreffen. Das Verteidigungsministerium will die Brigade aus dem Panzerbataillon 203 aus dem nordrhein-westfälischen Augustdorf, dem Panzergrenadierbataillon 122 aus dem bayerischen Oberviechtach und dem seit 2017 in Litauen stationierten, deutsch geführten multinationalen Bataillon der NATO Enhanced Forward Presence zusammensetzen. Kommandeur der Brigade wird General Christoph Huber, der bereits 2017 als erster das NATO-Bataillon in Litauen kommandierte. In einem Pressestatement gibt sich Verteidigungsminister Boris Pistorius zufrieden: Bereits 30 bis 50 Bundeswehrangehörige hätten sich bereit gemeldet, mit ihren Familien langfristig nach Litauen verlegen zu wollen. Das ist allerdings kaum ein Prozent der Sollstärke der Brigade. „Es läuft ausgezeichnet an“, behauptet Pistorius dennoch.[1]
Neuer Truppenübungsplatz
Nach Angaben des litauischen Verteidigungsministeriums werden 80 Prozent der deutschen Brigade in Rūdninkai südlich von Vilnius stationiert sein, der Rest am bisherigen Standort des deutsch geführten NATO-Bataillons in Rukla.[2] Den Bau des, wie es heißt, „größten Stücks Militärinfrastruktur in der litauischen Geschichte“ inklusive eines eigenen, 170 Hektar großen Truppenübungsplatzes lässt sich der litauische Staat nach eigenen Angaben 125 Millionen Euro kosten. Bis zu seiner Fertigstellung werden die litauischen Streitkräfte den deutschen Truppen die Militärstandorte Nemenčinė and Rokantiškės zur Verfügung stellen; beide liegen ebenfalls im Umland von Vilnius. Der litauische Verteidigungsminister versichert, die Infrastruktur für die deutsche Brigade zu errichten sei „eine Priorität“ seiner Regierung.[3]
Rechtlicher Rahmen
Das im September geschlossene „Stationierungsabkommen“ schaffe nun „die rechtliche Grundlage für die Präsenz der Bundeswehr“ und der Soldatenfamilien in Litauen, teilt das Verteidigungsministerium mit.[4] Es legt unter anderem die Nutzungsrechte der deutschen Armee an litauischen Militärstandorten fest, regelt die Truppenbewegungen der Bundeswehr in Litauen, definiert die Hoheitsrechte der deutschen Militärpolizei im litauischen Staatsgebiet bis hin zu „geteilter Zuständigkeit“ mit litauischen Militärpolizisten [5] und regelt außerdem den Zugang der deutschen Soldaten und ihrer Familien zum litauischen Alltagsleben – von der Gesundheitsversorgung über die Bildung und den Arbeitsmarkt bis hin zum Steuerrecht. Auch die Einrichtung deutscher Schulen und Kindergärten, Militärshops, Radiostationen, Fahrschulen und Kantinen ist durch das Abkommen rechtlich vorbereitet.[6] Das litauische Verteidigungsministerium spricht in diesem Zusammenhang von „militärischer Zivilinfrastruktur“. Das Abkommen und das noch in Arbeit befindliche „Artikelgesetz Zeitenwende“ seien „wichtige Schritte“ für die Aufstellung der Litauen-Brigade, erklärt Pistorius, der hofft, mit dem Abkommen „Anreize“ für die dauerhafte Übersiedlung deutscher Soldaten und ihrer Familien nach Litauen geschaffen zu haben.[7]
Aufträge für die deutsche Rüstungsindustrie
Neben dem Truppenübungsplatz entsteht in Litauen eine Munitionsfabrik von Rheinmetall. Im April hatten ein Vertreter des deutschen Konzerns und die litauischen Minister für Verteidigung sowie für Wirtschaft und Innovation eine entsprechende Absichtserklärung unterzeichnet.[8] Der litauische Rheinmetall-Standort werde die „Verteidigungspartnerschaft“ zwischen Deutschland und Litauen „weiter intensivieren“, erklärte Pistorius.[9] Rheinmetall ist neben anderen deutschen Rüstungsunternehmen ebenfalls beteiligt an der Produktion des Panzers Leopard 2, den Litauen beschaffen will – 50 Stück sind im Gespräch. Hintergrund ist, dass Vilnius zurzeit eine schwere Infanteriedivision aufbaut. Für die deutsche Rüstungsindustrie sind das wichtige Aufträge. Die Leopard-Kampfpanzer gehören zu den Vorzeigeprodukten der deutschen Waffenhersteller, die inzwischen aber zunehmend unter Druck durch andere Panzerhersteller geraten – Polen etwa beschafft anstelle deutscher Panzer US-amerikanische Abrams und südkoreanische K2.[10]
Ein machtpolitischer Erfolg
Deutschland als Sicherheits-„Garant“ des Baltikums sei „einer der wichtigsten Verbündeten Litauens“, äußerte sich der litauische Verteidigungsminister bereits im Mai vor der Presse. Berlins Entscheidung, eine Brigade in Litauen zu stationieren, zeige Deutschlands „herausragende Führung“. Die sicherheitspolitischen Aktivitäten der Bundesregierung seien von „kritischer“ Bedeutung für Litauen und für das Baltikum insgesamt.[11] Die Litauen-Brigade habe in der NATO Vorbildfunktion; letztlich hänge sogar die Sicherheit des „gesamten europäischen Kontinents“ von ihrer erfolgreichen Aufstellung ab.[12] Dass Vilnius sich ausdrücklich bei Deutschland für seine „Führung“ bedankt, kann als Erfolg für die deutsche Machtpolitik gelten. Berlin nutzt den Konflikt mit Russland bereits seit Jahren, um sich als militärische Führungsmacht im Baltikum zu positionieren und darüber zugleich seine Position innerhalb der NATO zu stärken. Deutschland festigt damit seinen militärischen Einfluss in einer Region, die es im Zweiten Weltkrieg besetzt hatte, die es danach verlassen musste und in die es im Zuge der EU-Osterweiterung seit den 1990er Jahren politisch und wirtschaftlich expandierte, um nun auch militärisch zurückzukehren. In einer Rede vor dem litauischen Parlament erinnerte Pistorius Ende September an Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg; damals verlief die Grenze zwischen der NATO und Moskaus Einflussspäre durch Deutschland, wie sie heute durch die Ukraine verläuft. Die Aufstellung der Litauen-Brigade erinnere ihn daran, erklärte Pistorius, „wie weit wir“ seit dem Ende des Kalten Krieges „gekommen sind“.[13]
Mehr zum Thema: Stützpunkt an der Ostflanke und Militärstützpunkt Litauen.
[1] Gemeinsame Verteidigung mit Litauen: „Meilenstein zur dauerhaften Stationierung einer Brigade“. Youtube-Kanal von Phoenix, 13.09.2024.
[2] Lithuania is ready for the arrival of the first German Brigade troops. kam.lt 20.03.2024.
[3] First German Brigade members arrived in Lithuania. kam.lt 08.04.2024.
[4] Neues zur Brigade Litauen: Pistorius und Kasčiūnas zeichnen gemeinsames Abkommen. bmvg.de 13.09.2024.
[5] Commander of the first NATO enhanced Forward Presence Battalion Battle Group has returned to Lithuania to take charge of the stationed German Brigade. kam.lt 02.10.2024.
[6] Constructions of a military campus for German Allies about to kick off at Rūdninkai Training Area. kam.lt 15.08.2024.
[7] Neues zur Brigade Litauen: Pistorius und Kasčiūnas zeichnen gemeinsames Abkommen. bmvg.de 13.09.2024.
[8] Lithuanian public institutions and Germany’s Rheinmetall sign a Memorandum of Understanding on an ammunition production site in Lithuania. kam.lt 16.04.2024.
[9] Rede Pistorius vor dem litauischen Parlament. Youtube-Kanal von BTB-concept, 26.09.2024.
[10] S. dazu Die Schlacht um den Panzermarkt.
[11] The German Brigade is a critical element of the NATO regional defence plans, says L. Kasčiūnas. kam.lt 21.05.2024.
[12] Germany and Lithuania: Overcoming Challenges to Safeguard Europe’s Peace. kam.lt 26.09.2024.
[13] Rede Pistorius vor dem litauischen Parlament. Youtube-Kanal von BTB-concept, 26.09.2024.