Israelische Angriffe auf UNIFIL-Stellungen lösen weltweit Protest aus. Neue Belege für die Nutzung palästinensischer Zivilisten durch Israel – als Spürhunde in Gaza. Bundeswehr ließ sich in Israel in Gaza-ähnlichen Szenarien ausbilden.

Die jüngsten Angriffe der israelischen Streitkräfte auf Stellungen der Blauhelmtruppe UNIFIL sowie neue Belege für die Nutzung palästinensischer Zivilisten als menschliche Schutzschilde werfen Fragen an die Bundesregierung auf. Der Beschuss von UNIFIL-Posten durch israelische Militärs, bei dem mehrere Blauhelme teils schwer verletzt wurden, ist weltweit scharf kritisiert worden; „die ganze Welt“ sei entrüstet, wird der Premierminister der – stark rechtslastigen – Regierung Neuseelands zitiert. UN-Generalsekretär António Guterres, den die israelische Regierung zur persona non grata erklärt und als „Schandfleck“ beschimpft hat, konstatiert, „Angriffe auf Friedenstruppen“ könnten „ein Kriegsverbrechen darstellen“. Recherchen der New York Times belegen, dass die israelischen Streitkräfte systematisch palästinensische Zivilisten als Schutzschilde und als Spürhunde nutzen, um Sprengfallen zu entdecken und ihr eigenes Leben zu schonen. Die Bundesregierung hält sich mit Äußerungen zurück. Fragen wirft auf, dass die Bundeswehr sehr enge Beziehungen zur israelischen Armee unterhält und sich in deren Praktiken umfassend ausbilden lässt – Häuser- und Tunnelkampf inklusive.

Blauhelme als Schutzschilde

Die Angriffe der israelischen Streitkräfte auf Stellungen der UN-Blauhelme im Libanon hatten bereits am Mittwoch mit der gezielten Zerstörung von Kontrolleinrichtungen zweier UNIFIL-Stützpunkte begonnen. Am Donnerstag feuerten israelische Truppen auf eine Tür eines Bunkers an einem UNIFIL-Stützpunkt und zerschossen einen Wachturm am UNIFIL-Hauptquartier in Naqoura, wobei zwei Blauhelmsoldaten verletzt wurden (german-foreign-policy.com berichtete [1]). Am Freitag wurden zwei weitere Peacekeeper bei zwei Explosionen nahe einem anderen Wachturm in Naqoura verletzt, während die israelischen Streitkräfte mit Bulldozern an einem UNIFIL-Stützpunkt diverse Mauern einrissen.[2] Am Abend wurde schließlich noch ein Blauhelm im Hauptquartier in Naqoura von Kugeln getroffen und schwer verletzt, wobei die UNIFIL in diesem Fall angibt, sie sei nicht sicher, wer geschossen habe.[3] Am frühen Sonntagmorgen wiederum zerstörten zwei israelische Merkava-Panzer das Haupttor eines UNIFIL-Stützpunkts, drangen dort ein und verlangten, die Beleuchtung solle ausgeschaltet werden. Dies erklärt sich vermutlich daraus, dass die Panzer, wie ein israelischer Militärsprecher erklärte, unter Beschuss geraten waren und auf dem Blauhelmstützpunkt Deckung suchten, ihn also als Schutzschild missbrauchten.[4]

Gegen die Vereinten Nationen

Am Sonntag ging Israels Premierminister Benjamin Netanjahu noch einen Schritt weiter und drang auf den vollständigen Abzug der UNIFIL-Truppen. Er forderte, an UN-Generalsekretär António Guterres gerichtet: „Bringen Sie die UNIFIL-Truppen aus der Gefahrenzone!“[5] Die israelische Regierung hat Guterres mehrfach heftig attackiert. Bereits im Dezember 2023 hatte der damalige Außenminister Eli Cohen den UN-Generalsekretär, da dieser verlangt hatte, eine „humanitäre Katastrophe“ im Gazastreifen zu verhindern, der „Unterstützung der Terrororganisation Hamas“ und sogar der „Billigung der Ermordung alter Menschen, der Entführung von Babys und der Vergewaltigung von Frauen“ bezichtigt.[6] Im Januar forderte Cohens Amtsnachfolger Israel Katz den Rücktritt des UN-Generalsekretärs: „Guterres muss zurücktreten.“[7] Verweigere er dies, dann müssten die Vereinten Nationen ihn entlassen. Anfang Oktober erklärte Katz den UN-Generalsekretär, der auf ein Ende der wechselseitigen Angriffe Israels und Irans gedrungen hatte, zur persona non grata: Ein Generalsekretär, „der Terroristen, Vergewaltigern und Mördern der Hamas, der Hisbollah, der Huthi und nun auch des Iran … Rückendeckung gibt“, sei ein „Schandfleck“ für die Vereinten Nationen.[8]

Gegen das Völkerrecht

Die Forderung, die UNIFIL müsse abziehen, wiegt schwer: Die Blauhelmtruppe ist nicht auf israelischem, sondern auf libanesischem Territorium stationiert und mit einem Mandat des UN-Sicherheitsrats ausgestattet, das dieser zuletzt am 28. August einstimmig um ein Jahr bis zum 31. August 2025 verlängert hat.[9] Guterres schließt den Abzug der UNIFIL auf ein Kommando des israelischen Premierministers hin denn auch aus. Zu den Angriffen auf die UNIFIL konstatiert der UN-Generalsekretär: „Angriffe auf Friedenstruppen verstoßen gegen das Völkerrecht, einschließlich des humanitären Völkerrechts. Sie könnten ein Kriegsverbrechen darstellen.“[10] International werden die Angriffe weithin massiv kritisiert. Schon am Samstag hatten 40 Staaten, die UNIFIL-Personal stellen, die Attacken in einer gemeinsamen Erklärung „scharf verurteilt“, darunter etwa Frankreich, Italien, Ghana, Indien, China, Malaysia und Indonesien.[11] Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell erklärte im Namen der EU: „Solche Angriffe gegen UN-Friedenstruppen stellen einen schweren Verstoß gegen das Völkerrecht dar und sind völlig inakzeptabel.“ Sie müssten „sofort eingestellt werden“.[12] Mehrere EU-Staaten schlossen sich an. Neuseelands Premierminister Christopher Luxon warnte, „die ganze Welt“ sei entrüstet.[13]

Schutzschilde und Spürhunde

Während der Streit eskaliert, belegt ein aktueller Bericht der New York Times, dass die israelischen Streitkräfte regelmäßig palästinensische Zivilisten als menschliche Schutzschilde nutzen – in den Ruinen ebenso wie in den Tunneln von Gaza, um dort etwa Sprengfallen oder Hinterhalte aufzudecken und gegebenenfalls mit ihrem Tod das Leben israelischer Soldaten zu schonen. Dabei werden gefangene Zivilisten – auch Minderjährige – etwa in verminte Gebäude geschickt oder auch dazu veranlasst, womöglich verminte Gegenstände zu bewegen, um etwaige Sprengsätze unschädlich zu machen.[14] Der Vorwurf ist nicht neu; die New York Times konnte sich das Vorgehen nun aber von sieben israelischen Soldaten bestätigen lassen, die aktiv daran teilgenommen oder es als Augenzeugen beobachtet hatten, zudem von acht weiteren, die Kenntnis davon hatten. Das offen völkerrechtswidrige Vorgehen wurde der US-Zeitung zufolge von mindestens elf israelischen Einheiten in fünf Städten im Gazastreifen praktiziert, wobei häufig israelische Geheimdienstler zugegen gewesen seien. Die von der New York Times befragten Soldaten bestätigten, es habe sich um routinemäßige, organisierte Maßnahmen gehandelt, bei denen gefangene Palästinenser sogar an andere Einheiten weitergegeben worden seien – zur Nutzung als Spürhunde.

Aus Israels Einsatzerfahrungen lernen

Das offenkundig völkerrechtswidrige Vorgehen der israelischen Streitkräfte wirft Fragen an die Bundesregierung auf – und das nicht nur, weil Außenministerin Annalena Baerbock, sonst mit völkerrechtlichen Predigten schnell bei der Hand, beharrlich dazu schweigt. Gravierend ist besonders, dass die Bundeswehr Beziehungen zu den israelischen Streitkräften unterhält, die von deutschen Soldaten als „unglaublich dicht“ eingestuft werden – aus gutem Grund: Sie umfassen nicht nur regelmäßige Treffen auf der Ebene der Heeresgeneralstäbe, sondern auch konkrete Ausbildungsmaßnahmen, bei denen deutsche Soldaten schon seit geraumer Zeit erklärtermaßen von den israelischen Einsatzerfahrungen lernen sollen, um zur Einsatzarmee zu werden.[15] Schon vor Jahren berichtete der Militärattaché an Israels Botschaft in Berlin, man teile „mit der deutschen Armee fast ununterbrochen und direkt jede Erkenntnis“, die man „aus den praktischen Erfahrungen im Einsatz unserer Armee gewinnen“. Zu den Taktiken, in denen die Bundeswehr sich von den israelischen Streitkräften ausbilden lassen wollte, zählte unter anderem der Häuser- und Tunnelkampf in einem Trainingszentrum in direkter Nähe zum Gazastreifen.[16] Die jetzt gut belegten völkerrechtswidrigen Praktiken der israelischen Streitkräfte werfen die Frage nach den Inhalten der Ausbildung deutscher Truppen in Israel auf – nach den offiziellen ebenso wie nach etwaigen inoffiziellen.

 

[1] S. dazu Peacekeeper unter Beschuss.

[2] UNIFIL Statement (11 October 2024).

[3] UNIFIL Statement (12 October 2024).

[4], [5] Netanjahu fordert Rückzug von UNIFIL. Frankfurter Allgemeine Zeitung 14.10.2024.

[6] Der Ton wird schärfer. tagesschau.de 07.12.2023.

[7] Paul Ronzheimer, Šejla Ahmatović: Guterres must go! Israel wants UN chief out. politico.eu 30.01.2024.

[8] Israel verbietet UN-Generalsekretär die Einreise. tagesschau.de 02.10.2024.

[9] Security Council renews UNIFIL’s mandate, demands full implementation of resolution 1701. unifil.unmissions.org 28.08.2024.

[10] Guterres warnt vor „Kriegsverbrechen” an UN-Truppen. tagesschau.de 14.10.2024.

[11] 40 nations contributing to UN Lebanon peacekeeping force condemn ‘attacks’. france24.com 12.10.2024.

[12], [13] Guterres warnt vor „Kriegsverbrechen” an UN-Truppen. tagesschau.de 14.10.2024.

[14] Natan Odenheimer, Bilal Shbair, Patrick Kingsley: How Israel’s Army Uses Palestinians as Human Shields in Gaza. nytimes.com 14.10.2024.

[15], [16] S. dazu „Im nationalen Interesse Deutschlands“ (III).

Der Originalartikel kann hier besucht werden