Das auch von der Bundeswehr genutzte UNIFIL-Hauptquartier ist von israelischen Panzern beschossen worden. Bereits zuvor nutzten israelische Einheiten Blauhelme als Schutzschilde. Israelische Truppen töten immer mehr medizinisches Personal.

(Eigener Bericht) – Im Libanon ist das auch von deutschen Soldaten frequentierte Hauptquartier der Blauhelmtruppe UNIFIL von israelischen Militärs beschossen worden. Wie die UNIFIL am gestrigen Donnerstag mitteilte, zerstörte ein israelischer Panzer in ihrem Hauptquartier in Naqoura einen Beobachtungsturm; zwei UN-Blauhelmsoldaten wurden verletzt. In Naqoura ist auch die deutsche Kommandostruktur in der UNIFIL angesiedelt. Der Beschuss folgt israelischen Forderungen, die UNIFIL solle Posten im libanesischen Grenzgebiet räumen. Zugleich haben sich israelische Einheiten in unmittelbarer Nähe zu UNIFIL-Posten verschanzt – und nutzen sie damit faktisch als Schutzschilde. UN-Quellen gehen davon aus, die israelische Forderung nach Räumung der UNIFIL-Posten im Grenzgebiet diene nicht dem Schutz der Blauhelme; sie habe damit zu tun, dass die UN-Truppe „immer noch eine wichtige Überwachungsfunktion“ habe. „Die israelische Kriegsführung im Libanon“ werde, so heißt es, auch von westlichen Diplomaten „als rücksichtslos wahrgenommen“. Die baulichen Zerstörungen im Gazastreifen haben das Ausmaß der Zerstörungen in der Ukraine erreicht – auf einem Gebiet von nur der halben Fläche Kiews.

Blauhelme als Schutzschilde

Die Spannungen zwischen Israel und der Blauhelmtruppe UNIFIL (United Nations Interim Force in Lebanon) hatten bereits zu Beginn der israelischen Invasion in den Libanon deutlich zugenommen. Israel hatte die UN-Truppe – 10.000 Soldaten aus 50 Ländern – aufgefordert, eine Reihe von Posten auf libanesischem Territorium zu räumen; dabei waren Äußerungen gefallen, die Irlands Präsident Michael D. Higgins als offene Drohungen empfand.[1] Irland ist zum einen betroffen, da es 300 Soldaten für UNIFIL abgestellt hat. Zum anderen haben israelische Truppen vor einigen Tagen direkt neben einem Blauhelmposten Stellung bezogen – dies ebenfalls auf libanesischem Territorium –, an dem 30 irische Soldaten stationiert sind. Da die israelischen Streitkräfte damit faktisch UN-Soldaten als Schutzschilde nutzen, hat die UNIFIL öffentlich scharfen Protest eingelegt.[2] Man sei „zutiefst besorgt über die jüngsten Aktivitäten“ der Israel Defense Forces (IDF) „unmittelbar neben dem Posten 6-52“, teilten die Blauhelme mit; auch erinnere man „alle Akteure dringend an ihre Verpflichtung, UN-Personal und -Eigentum zu schützen“. Dessen ungeachtet blieben die israelischen Truppen in direkter Nähe zum UN-Posten 6-52 in Stellung.

Mit dem Panzer gegen die UNO

Am gestrigen Donnerstag gingen die israelischen Streitkräfte noch einen Schritt weiter und griffen Einheiten und das Hauptquartier der UNIFIL unmittelbar an. Wie die Blauhelmtruppe in einer offiziellen Stellungnahme mitteilt, hatten israelische Soldaten bereits am Mittwoch einen Sendemast und Überwachungskameras zweier UN-Posten mit gezielten Schüssen zerstört.[3] Am Donnerstag attackierten sie zum einen den UN-Posten 1-31, feuerten auf eine Tür eines Bunkers, in dem Blauhelmsoldaten Zuflucht gesucht hatten, und beschädigten Fahrzeuge sowie Kommunikationsgerät. Zudem operierten sie mit einer Drohne über der Bunkertür. Darüber hinaus beschossen israelische Soldaten mit einem Merkava-Panzer einen Beobachtungsturm am UNIFIL-Hauptquartier in Naqoura, einem libanesischen Küstendorf nur wenige Kilometer nördlich der Grenze zu Israel. Laut UNIFIL-Angaben kollabierte der Beobachtungsturm; bei dem Angriff wurden zwei Blauhelmsoldaten verletzt und mussten ins Krankenhaus eingeliefert werden. In einer Stellungnahme erinnerte die UNIFIL daran, sie sei mit einem Mandat des UN-Sicherheitsrats ausgestattet; „jeder mutwille Angriff auf Peacekeeping-Soldaten“ sei „ein schwerer Verstoß“ gegen „das humanitäre Völkerrecht“.[4]

„Basislager des deutschen Kontingents“

Deutsche Soldaten sind, wie ein Sprecher des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr am gestrigen Donnerstag mitteilte, bei dem Angriff nicht zu Schaden gekommen.[5] Das war nicht selbstverständlich. Laut Angaben der Bundeswehr ist ein Teilbereich des UNIFIL-Hauptquartiers auch für deutsche Militärs „zum Dreh- und Angelpunkt des dienstlichen und sozialen Lebens geworden“, seit Deutschland Anfang 2021 „die Führung der Maritime Task Force 448“ übernahm.[6] In Naqoura, dem „Basislager des deutschen UNIFIL-Kontingents“, lägen, hieß es schon vor zwei Jahren, „neben dem Büro des Kommandeurs des deutschen Einsatzkontingents … auch die Diensträume“ deutscher und anderer UN-Soldaten. Im Juni dieses Jahres teilte die Bundeswehr dann mit, “die deutschen Kräfte“ der UNIFIL bräuchten künftig „mehr Platz und geschützte Arbeits- und Unterkunftsbereiche“; also habe man nun mit der „notwendige[n] Erweiterung und Anpassung der dringend benötigten Infrastruktur in Naqoura“ begonnen.[7] Darüber hinaus hieß es, „die zukünftigen Büro- und Funktionsbereiche“ würden „gegen Beschuss geschützt sein“.

Krankenwagen zerbombt

Über die Motive der israelischen Aufforderung, die UN-Posten im Südlibanon zu räumen, und über den Hintergrund des aktuellen Beschusses wird heftig diskutiert. Bereits vor Tagen hieß es mit Bezug auf UNIFIL-Quellen, diese hätten „erhebliche Zweifel“, dass es bei der Aufforderung, die UN-Posten umgehend zu räumen, „wirklich um die Sicherheit der UN-Soldaten geht“.[8] UNIFIL habe „immer noch eine wichtige Überwachungsfunktion“. „Die israelische Kriegsführung im Libanon“ aber werde „auch unter westlichen Diplomaten in Beirut als rücksichtslos wahrgenommen“, hieß es weiter, und ein westlicher Diplomat wurde mit der Äußerung zitiert: „Eine unserer größten Sorgen ist, dass wir zunehmend Angriffe auf medizinische Infrastruktur wie Kliniken und auch Krankenwagen sehen“. „Die israelische Armee sagt, es würden Waffen in Krankenwagen transportiert“, erklärte der Diplomat weiter: „Das kann nicht ausgeschlossen werden, aber zur gleichen Zeit muss humanitäres Völkerrecht respektiert werden.“[9] Tatsächlich wurden laut Angaben der WHO allein seit dem 17. September im Libanon – Stand: Mittwoch – mindestens 65 Ärzte, Sanitäter und andere Mitarbeiter medizinischer Einrichtungen getötet.[10] Am Donnerstag kamen weitere fünf Sanitäter ums Leben.[11] Die UNIFIL hat dabei intime Einblicke in das Geschehen vor Ort.

15 Jahre Schuttentfernung

Israel hat dem Libanon darüber hinaus gedroht, in dem Land Zerstörungen anzurichten wie im Gazastreifen. Was dies konkret bedeutet, zeigt eine aktuelle Untersuchung zweier in den Vereinigten Staaten tätiger Wissenschaftler, Corey Scher und Jamon Van Den Hoek. Demnach sind im Gazastreifen binnen eines Jahres fast so viele Gebäude zerstört worden, wie in den ersten zwei Kriegsjahren in der Ukraine – mit dem Unterschied, dass Gaza nur halb so groß ist wie die ukrainische Hauptstadt Kiew. Über 80 Prozent der Gesundheitseinrichtungen seien beschädigt oder zerstört; bei den Straßen sei der Prozentsatz noch höher. Zudem seien fast 70 Prozent aller Anlagen zur Wasserversorgung beschädigt oder zerstört; das gelte für alle Wasseraufbereitungsanlagen sowie für Entsalzungsanlagen, Brunnen und Reservoirs.[12] Die Vereinten Nationen schätzten die Menge an Schutt, die die israelischen Bombardements zurückgelassen hätten, auf gut 40 Millionen Tonnen; es könne bis zu 15 Jahre dauern und fast 650 Millionen US-Dollar kosten, den Schutt wegzuräumen. Um den Abraum aufzunehmen, müssten mindestens fünf Quadratkilometer veranschlagt werden – eine extreme Belastung im ohnehin äußerst dicht besiedelten Gazastreifen. Der Wiederaufbau werde Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern. Teilen des Libanons steht jetzt womöglich ein ähnliches Schicksal bevor.

„Unglaublich eng“

Bei alledem hält nicht nur die Bundesregierung an ihrer Unterstützung für die israelische Kriegspolitik fest. Bei der Bundeswehr heißt es, die Kooperation mit den israelischen Streitkräften, die Verantwortung für die Zerstörungen, mutmaßliche Kriegsverbrechen und den Beschuss von UN-Blauhelmen tragen, sei „unglaublich eng“ – german-foreign-policy.com berichtete.[13]

 

[1] Conor Lally: ‘We have not received threats’: Unifil spokesman responds to claim made by Higgins on Irish troops in Lebanon. irishtimes.com 07.10.2024.

[2] UNIFIL Statement (6 October, 2024).

[3], [4] UNIFIL Statement (10 October)

[5] UN melden Beschuss ihres Hauptquartiers im Libanon. tagesschau.de 10.10.2024.

[6] Fabian Friedl: Das Basislager des deutschen UNIFIL-Kontingents. bundeswehr.de 22.09.2022.

[7] Luana Hofmann: In Naqoura entsteht ein neues Unterkunfts- und Bürogebäude. bundeswehr.de 04.06.2024.

[8], [9] Christoph Ehrhardt: Missstimmung zwischen Israel und der UNIFIL. Frankfurter Allgemeine Zeitung 09.10.2024.

[10] Chris Johnson: 65 medical workers killed in Lebanon airstrikes since September 17 – UN Office. msn.com 09.10.2024.

[11] 5 Paramedics Killed In Israeli Airstrike On a Civil Defense Center in Southern Lebanon. english.aawsat.com 10.10.2024.

[12] Joseph Krauss, Sarah El Deeb: Scars of War. apnews.com 07.10.2024.

[13] S. dazu „Im nationalen Interesse Deutschlands“ (III) und Deutsche Dilemmata.

Der Originalartikel kann hier besucht werden