Immer wieder trommelt die FPÖ, insbesondere Herbert Kickl, dass Ungarn und insbesondere Viktor Orbán das große Vorbild sind, während die anderen vor einer Orbánisierung warnen. Was bedeutet das in der Realität?
Ein Kommentar von Josef Stingl
Richtig ist sicher, dass Kickl und Orbán ähnlich ticken. Beide geben sich “für die eigenen Leut`” sozial, sind aber tatsächlich diskriminierend, ausgrenzend, homophob, frauen- und ausländerfeindlich und totalitär!
Es gibt aber auch Unterschiede: Orbáns Macht ist viel weiter fortgeschritten. Während Kickl “Volkskanzler” werden will und dann keinem einzigen Asylantrag mehr zustimmen will, hat sein ungarisches Vorbild seine “Festung Ungarns” bereits vollzogen. Während Kickl die “Lügenpresse” kaufen oder vernichten will, hat Orbán die Presse- und Meinungsfreiheit 2010 mit einem Gesetz, das es den Behörden erlaubt, Medien zu kontrollieren und zu bestrafen, bereits beschnitten.
Und nicht übersehen sollte man, dass auch ohne FPÖ-Regierungsbeteiligung Gefahren für “mehr Orbán” ausgehen. Zur Erinnerung: Nehammers (ÖVP) Feuchtträume zur Messenger-Überwachung oder zur Beschneidung der Pressefreiheit durch ein Zitierverbot aus Strafakten…
Orbánisierung nicht nur Orbán geschuldet
Orbán hat seinen Machtapparat strukturell verfestigt. Immerhin ist er schon seit 2010 Ministerpräsident. Von Wahl zu Wahl halfen seine “Wahlzuckerl”: Lohn-Plus im öffentlichen Dienst, 13. Pensionsleistung oder deutliche Anhebung des Mindestlohnes. Nicht zu vergessen sein neues “liberales Meldegesetz”, das die Stimmen nationalistischer ungarischer Minderheiten in Rumänien und der Slowakei doppelt sicherte. (Ungarn hat ein Wahlrecht mit einer Erst- und einer Zweitstimme. Mit der Erststimme wird in den Wahlkreisen eine Direktkandidat:in gewählt. Sie ist an einen ungarischen Wohnsitz gebunden. Mit der Zweitstimme wird eine Parteiliste gewählt und es reicht die Staatsbürger:innenschaft. Die Wohnadresse kann auch im Ausland liegen.)
Ein zusätzlicher Garant für Orbàns-Machterhalt ist ein erzkonservativer Klerus. Sonntag für Sonntag bläuen sie dem vor allem älteren und bigotten, aber nicht unbedeutenden Bevölkerungsanteil Orbáns Homophobie-Phantastereien als gottgewollt ein. Im Gegensatz zu Österreich spielt in den Kirchengemeinschaften auch der unchristliche Umgang mit dunkelhäutigen Asylsuchenden keine nennenswerte Rolle.
Oppositionelle Selbstdemontage
Nachdem die demokratischen Mitte- bis Mitte(leicht)links-Oppositionsparteien Orbáns Treiben jahrelang hilflos gegenüberstanden, setzten sie bei der letzten Parlamentswahl auf eine “Brandmauer-Allianz”. Sozialdemokratie, Grüne und Liberale verbündeten sich in einer Liste, “ihre ideologischen Grundwerte vergessend” holten sie auch eine Rechtsaußen-Partei ins sogenannte Anti-Orbán-Bollwerk. Für die “Mitte-”, die “Mitte-Links-” und auch “Mitte-Rechts-Wähler:innen” war diese Mauer allerdings aus faulen Zement und losem Gestein, der sie wenig Vertrauen schenken wollten.
Noch schlimmer wurden die oppositionellen “Bauschäden” bei der EU-Wahl sichtbar. Die Anti-Orbàn-Allianz, diesmal ohne Rechtsaußen, konnte nur noch acht Prozent der Stimmen erreichen. Orbáns Fidesz-Partei bekam 45 Prozent Stimmenanteil und der “Oppositions-Newcomer” Peter Magyar mit seiner Tisza-Liste räumte zusätzlich 30 Prozent der Stimmen ab. Er ist ein abgesprungener Orbán-Sprössling und nicht weniger rechts orientiert als sein ehemaliges Vorbild. Sozialdemokratie, Grüne und Liberale stehen dagegen vor ihrer selbstverschuldeten Ruine.
Die Lehren für Österreich
Die Warnung vor einer neuerlichen blau-schwarzen Regierung ist berechtigt. Aber “zur Verhinderung” eine Allianz oder Koalition, in der die eigene politische Identität prinzipienlos geopfert wird, führt auch zu keiner Lösung. Die jetzige Regierung mit „dem Besten aus zwei Welten” und Ungarns Oppositions-Ruinen sind der Beweis dafür.