Wie viele militärische Anlagen auf dem Gelände von Schweizer Schulen – beispielsweise unter Pausenhöfen – noch einsatzfähig sind, will das Departement für Verteidigung VBS nicht verraten. Es bestätigt aber, dass es noch einsatzfähige gibt.
Nach den ersten Nachrichten über zerbombte Schulen und Spitäler im Gazastreifen hatte André Masson im Oktober 2023 das Bundesamt für Bevölkerungsschutz schriftlich angefragt:
- «Ich war dreissig Jahre lang in der Kantonsschule Zug tätig. In dieser Schule gab es einen unterirdischen militärischen Kommandoposten. Man sah Antennenkabel und Wachen, aber es war zuerst alles hochgeheim.»
- «In wie vielen Schulen oder Spitälern in der Schweiz sind fest betonierte militärische Strukturen, Unterkünfte oder Kommandostellen eingebaut?
- Gibt es auch unterirdische Militärspitäler unter zivilen Spitälern?»
Das VBS liess viel Zeit verstreichen. Erst lange drei Monate später antwortete Bruno Locher vom VBS-Generalsekretariat:
«Die Schweiz ist bestrebt, nur in Ausnahmefällen militärische Anlagen unter einem zivilen Gebäude vorzusehen. Mit dem generellen Abbau der Verteidigungsinfrastrukturen in den letzten dreissig Jahren wurde der Bestand entsprechend reduziert.»
Das VBS räumt damit ein, dass auch in der Schweiz zivile Einrichtungen wie Schulen als menschliche Schutzschilde gegen militärische Angriffe benutzt werden. «Schutzschilde» deshalb, weil das Kriegsvölkerrecht* Angriffe auf Schulen oder Spitäler verbietet.
Wie viele «militärische Anlagen unter einem zivilen Gebäude» es noch gibt, wollte das VBS nicht sagen. Einzig bei den Spitälern war die Antwort konkret:
«Die Militärspitäler wurden bis auf eines aufgegeben.»
VBS: «Nicht absolut verboten»
Schliesslich sei trotz Kriegsvölkerrecht alles legal, meinte das VBS und teilte mit:
«Der Einbau von militärischen Anlagen unter zivilen Einrichtungen wie beispielsweise Schulen ist nach dem Kriegsvölkerrecht nicht absolut verboten. Zum ersten Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen haben kleinere und bevölkerungsdichtere Länder wie die Schweiz Vorbehalte zu einem entsprechenden Verbot eingebracht, denen mit einer Relativierung der Bestimmungen Rechnung getragen worden ist.»
Zu diesem Vorbehalt antwortete André Masson dem VBS:
«Bei uns passiert es so: Wenn wir schon das Schulhaus bauen, kommt es billiger, auch die militärische Kommandostelle gerade damit zu kombinieren. Wäre das nicht für jedes Land gleich, ob gross oder klein, ob dicht oder dünn besiedelt? Warum hat die Schweiz diese Vorbehalte angebracht, warum sind sie nötig und gerechtfertigt? Kann die Schweiz diese Vorbehalte kündigen?»
Wieder hatte es das VBS nicht eilig, diese Fragen zu beantworten. Als trotz Erinnungsschreiben auch ein halbes Jahr später keine Antwort eintraf, richtete Masson seine Fragen direkt an VBS-Chefin Bundesrätin Viola Amherd:
- «Wie viele klar definierte, betonierte, verkabelte, in Plänen verzeichnete Kommando-, Lager- oder Kampfstellen gibt es heute noch ungefähr, die den internationalen Regeln der Genfer Abkommen widersprechen?
- Worin genau besteht die Rechtfertigung, dass das Militär ‹im kleinen› und ‹dicht besiedelten Land› zu solchen Tricks greifen muss?
- Können wir diese unseligen Vorbehalte streichen, annullieren, rückgängig machen?»
Diese Fragen stellte André Masson am 6. Juli 2024. Er wartet noch heute auf eine Antwort von Bundesrätin Viola Amherd.
VBS: «Vereinzelt noch militärische Infrastrukturen in zivilen Gebäuden oder im Umfeld von zivilen Gebäuden»
Auch gegenüber Infosperber wollte das VBS nicht angeben, wie viele funktionstüchtige militärische Anlagen unter einem zivilen Gebäude es heute noch gibt. Ein militärisches Geheimnis kann dies nicht sein, so lange die Standorte nicht angegeben werden. Im Folgenden die beiden Fragen von Infosperber und die Antworten des VBS vom 26. September 2024:
1. Wie viele funktionsfähige militärische Anlagen unter einem zivilen Gebäude gibt es noch in der Schweiz?
Antwort VBS: «Es gibt vereinzelt noch militärische Infrastrukturen in zivilen Gebäuden oder im Umfeld von zivilen Gebäuden. Deren Anzahl und Standorte sind klassifiziert.»
2. Wie viele militärische Anlagen unter einem zivilen Gebäude wären im Kriegsfall wieder benutzbar zu machen?
Antwort VBS: «Wie erwähnt, sind die Anzahl der militärischen Anlagen und die Standorte klassifiziert. Ob und wie diese Infrastrukturen im Verteidigungsfall oder bei bewaffneten Konflikten durch die Armee genutzt werden können, würde zu gegebener Zeit unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts geklärt.»
*Zusatzprotokolle zu den Genfer Abkommen
Das IV. Genfer Abkommen schützt die Zivilbevölkerung vor Angriffen und unmenschlicher Behandlung.
Artikel 58 des Zusatzprotokolls präzisiert:
«Soweit dies praktisch irgend möglich ist, werden die am Konflikt beteiligten Parteien a) sich unbeschadet des Artikels 49 des IV. Abkommens bemühen, die Zivilbevölkerung, einzelne Zivilpersonen und zivile Objekte, die ihrer Herrschaft unterstehen, aus der Umgebung militärischer Ziele zu entfernen;
b) es vermeiden, innerhalb oder in der Nähe dicht bevölkerter Gebiete militärische Ziele anzulegen.»
Vorbehalte der Schweiz und Deutschlands
Auf der Webseite des Bundes (Fedlex) ist nicht ersichtlich, dass die Schweiz das Zusatzprotokoll im Jahr 1982 nur mit dem Vorbehalt u.a. zu diesem Artikel 58 ratifiziert und in Kraft gesetzt hatte.
Auf der privaten deutschen Webseite Glücksmann.de sind die Vorbehalte zum Artikel 58 im Wortlaut veröffentlicht.
Auf Seite 75 der Vorbehalt der Schweiz:
«In Anbetracht des in Artikel 58 enthaltenen Ausdruckes «soweit dies praktisch irgend möglich ist», werden die Absätze a und b unter Vorbehalt der Erfordernisse der Landesverteidigung angewendet.»
Auf Seite 64 der Vorbehalt der Bundesrepublik Deutschland:
«Nach dem Verständnis der Bundesrepublik Deutschland bedeutet in den Artikeln 41, 56, 57, 58, 78 und 86 des 1. Zusatzprotokolls das Wort «praktisch möglich» das, was durchführbar oder praktisch tatsächlich möglich ist, wobei alle in dem entsprechenden Zeitpunkt gegebenen Umstände zu berücksichtigen sind einschliesslich humanitärer und militärischer Überlegungen.»