Strom-Mangel wegen künstlicher Intelligenz: Nun soll am Ort des grössten Atom-Unfalls der US-Geschichte wieder produziert werden.

Von Christof Leisinger   für die Online-Zeitung INFOsperber

Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima – Unfälle in diesen Atomanlagen haben dafür gesorgt, dass die Kernkraft in weiten Teilen Europas höchst umstritten ist. Das gilt selbst heute noch, obwohl die Wirtschaft immer stärker elektrifiziert wird, obwohl das enorme Wachstum der Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) die Nachfrage nach Strom treiben und obwohl sich auch die Atomtechnologie weiterentwickelt hat.

In anderen Teil der Welt ist das anders. Während die Deutschen ihre Anlagen stillgelegt haben und in der Schweiz darüber gestritten wird, erlebt der Atomstrom in Asien eine Renaissance. Dort hat die Produktion in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen, und die Amerikaner gehen überaus pragmatisch mit diesem Thema um. In den vergangenen Tagen haben der Energiekonzern Constellation Energy und der Technologiekonzern Microsoft bekanntgegeben, zusammen den Block I des Atomkraftwerks Three Mile Island bei Harrisburg in Pennsylvania zu reaktivieren.

Renaissance der Kernkraft? © Constellation Energy

Harrisburg – ein Synonym für die Risiken der Kernkraft

Also ausgerechnet dort, wo es am 28. März 1979 zum grössten Atom-Unfall der amerikanischen Geschichte gekommen war, weil Block II phasenweise ausser Kontrolle geraten und im Rahmen einer Kernschmelze mit austretender Radioaktivität zerstört worden war. Nach einer beispiellosen Serie von Pannen und Fehlern gaben die Behörden zwar später eine erhöhte Krebsrate unter der Bevölkerung zu, stritten einen Zusammenhang mit dem Unfall jedoch ab.

Die Vereinbarung sieht vor, dass Constellation den unbeschädigten Reaktor des Kraftwerks, dessen Betrieb zu kostspielig geworden und der 2019 geschlossen worden war, wieder in Betrieb nimmt und den Strom an Microsoft verkauft. Nach einem Aufwand von rund 1,6 Milliarden Dollar für die Wiederinbetriebnahme des Reaktors bis Anfang 2028 will Microsoft die produzierte elektrische Energie 20 Jahre lang abnehmen. Auf diese Weise soll der enorme Strombedarf rund um die Uhr gesichert und gleichzeitig ein «Beitrag zur Dekarbonisierung der Energieinfrastruktur geleistet werden», wie es ohne Rücksicht auf die Entsorgungsfrage so schön heisst.

Der unbeschädigte Reaktorblock I von Three Mile Island steht neben dem Reaktorblock II, dessen technische Schwierigkeiten vor 45 Jahren Panik geschürt hatten. Der Vorfall schärfte damals das Bewusstsein für die potenziellen Sicherheitsprobleme von Kernkraftwerken und hatte dafür gesorgt, dass die Begeisterung der Öffentlichkeit für die Branche über Jahrzehnte hinweg ziemlich schwand.

 

Die Nuklearenergie ist in Europa auf dem Rückzug. Hier gibt es eine grössere Auflösung der Grafik. © Christof Leisinger

Auch wirtschaftlich war sie in die Defensive geraten. So hatte die Stromnachfrage in den USA jahrelang stagniert, was einen erbitterten Kampf um Marktanteile mit sich brachte. Kernkraftwerke hatten es schwer, mit der rasanten Entwicklung der erneuerbaren Energien und mit erdgasbefeuerten Anlagen zu konkurrieren, welche vom boomenden Fracking und tiefen Gaspreisen profitierten.

Plötzlich sind Atomanlagen wieder gefragt

Inzwischen hat sich das Umfeld deutlich geändert. Aufgrund der KI-Euphorie schiessen die Rechenzentren nur so aus dem Boden und müssen mit entsprechender Energie versorgt werden. Ausgerechnet in einer Zeit, in der viele amerikanischen Firmen ihre Produktionsanlagen in die Heimat zurückholen und in der das Transportwesen, die privaten Haushalte und sogar die Schwerindustrie immer stärker auf elektrische Energie setzen.

So kommt es, dass die amerikanischen Versorgungsunternehmen ihre Absatzprognosen nach einer längeren Phase stagnierender Stromnachfrage in erstaunlichem Masse anheben. Glaubt man einem Bericht des Beratungsunternehmens Grid Strategies, so hat sich die Fünfjahresprognose für das Wachstum der Stromnachfrage in den USA gegenüber dem Vorjahr verdoppelt.

Da Technologieunternehmen wie Microsoft, Google, Amazon oder auch Facebook unbedingt zu «den Guten gehören» und CO2-armen Strom beziehen wollen, ist die Kernkraft automatisch ins Blickfeld geraten. Microsoft bezieht bereits Kernenergie von Constellation für ein Rechenzentrum in Virginia, wenn Wind- und Solarenergie nicht zur Verfügung stehen. Der Tech-Riese hat sogar schon einen ersten Vertrag mit Helion Energy abgeschlossen, das noch in diesem Jahrzehnt einen Fusionsreaktor in den kommerziellen Betrieb nehmen möchte.

Asien setzt verstärkt auf die Kernenergie. Hier gibt es eine grössere Auflösung der Grafik. © Christof Leisinger

Befürworter der Kernenergie wollen bestehende Anlagen länger laufen lassen, stillgelegte reaktivieren und kleine modulare Reaktoren zum Kraftwerkspark hinzuzufügen. In ihren Augen ist die Weiterentwicklung der Technologie die beste Option. Folglich wollen sie diese mit Steuergutschriften oder vergünstigten Darlehen fördern. Mit Josh Shapiro drängt der Gouverneur von Pennsylvania auf ein beschleunigtes Verfahren, um den Three-Mile-Island-Meiler so schnell wie möglich wieder ans Netz zu bringen. Immerhin sei das schon der Fall gewesen.

Vierzehn der grössten Banken und Finanzinstitute der Welt verpflichten sich, ihre Unterstützung für die Kernenergie zu verstärken – ein Schritt, von dem sich Regierungen und die Industrie die Finanzierung einer neuen Welle von Kernkraftwerken erhoffen. Längst hat sich auch Microsoft-Gründer Bill Gates engagiert. Er ist massgeblich an Terra Power beteiligt, einem Unternehmen, das kleine Reaktoren entwickelt. In Kemmerer, im Bundesstaat Wyoming, soll bald der erste gebaut werden.

Nur kleine Proteste gegen die Wiederinbetriebnahme

Skeptische Kritiker stemmen sich gegen den Trend. Sie zweifeln zum Beispiel daran, ob stillgelegte Alt-Reaktoren wieder sicher ans Netz gehen können. So war es zu kleineren lokalen Protesten gekommen, nachdem Constellation Anfang des Jahres bekannt gegeben hatte, die Wiederinbetriebnahme von Three Mile Island zu prüfen.

Der Reaktor hatte eine Bundeslizenz für den Betrieb bis im Jahr 2034, als er stillgelegt wurde. Für eine Wiederinbetriebnahme sind jedoch Sicherheits- und Umweltprüfungen, lokale und staatliche Genehmigungen sowie die Zustimmung der amerikanischen Nuklearaufsichtsbehörde erforderlich. Unabhängig davon wird Constellation eine Lizenzverlängerung anstreben, um den Betrieb der Anlage bis mindestens 2054 zu verlängern. Microsoft testet, ob die KI dabei helfen könnte, die notorisch komplexen Genehmigungsverfahren zu straffen.

Constellation Energy und Microsoft sind nicht die einzigen, die einen stillgelegten Kernreaktor wiederbeleben wollen. Tatsächlich nehmen die Regierung in Washington und der Bundesstaat Michigan fast zwei Milliarden Dollar in die Hand, um den Palisades-Kernreaktor am Ufer des Michigansees zu reaktivieren. Das Kraftwerk wurde im Jahr 2022 eingemottet und soll im Oktober 2025 wieder in Betrieb genommen werden. In Iowa erwägt NextEra Energy die Wiederinbetriebnahme des Duane Arnold Energy Center, eines Kernkraftwerks, das 2020 stillgelegt wurde.

Die Stromnachfrage wird in den kommenden Jahren deutlich zunehmen. Hier gibt es eine grössere Auflösung der Grafik. © Christof Leisinger

Die Schweiz hat den Vorteil der Wasserkraft. Hier gibt es eine grössere Auflösung der Grafik. © Christof Leisinger

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