Privatwirtschaft und Regierungen fördern weltweit den Handel mit so genannten Kohlenstoffzertifikaten. So ist ein Markt entstanden, auf dem Unternehmen versprechen, ihre Treibhausgasemissionen durch Projekte auszugleichen, die Kohlenstoff absorbieren. Zivilgesellschaftliche Organisationen und betroffene Gemeinden warnen davor, dass dies der Umwelt nicht nützt, sondern im Gegenteil negative Auswirkungen hat. Die Lösungsansätze zur Klimakrise weisen damit in eine falsche Richtung.
Doppelte Chance für Unternehmen
Die Begriffe „Dekarbonisierung“, „Kohlenstoffneutralität“ oder „Netto-Null“ finden sich immer häufiger in politischen Reden und in der Werbung von Unternehmen, vom Bier bis zur „kohlenstoffneutralen“ Ölförderung. So stellte die Regierung von Neuquén, Argentinien, im Juli letzten Jahres das Programm Vaca Muerta Net Zero vor. Bei der Erdölgewinnung aus der Ölschiefer-Lagerstätte Vaca Muerta in Neuquén soll „Kohlenstoffneutralität“ erreicht werden. Dazu startete die Agrarindustrie 2019 das Argentinische Kohlenstoffneutralitätsprogramm. Im Jahr 2022 initiierten Forstunternehmen und Zellstofffabriken den Runden Tisch Waldkohlenstoff (jetzt: Argentinischer Runder Tisch Kohlenstoff, Mesa Argentina del Carbono). Immer geht es darum, Märkte zu schaffen, um die durch Treibhausgasemissionen, Landrodung oder Bodendegradation verursachten Umweltschäden zu kompensieren. Diese Märkte werden als Kohlenstoffmärkte bezeichnet. Privatwirtschaft und Staaten kaufen und verkaufen dabei Gutschriften, die jeweils einer Tonne Kohlendioxid entsprechen. Kohlendioxid ist einer der Hauptverursacher der Klimakrise. Die Unternehmen sehen darin eine doppelte Chance: Geld zu verdienen und sich als nachhaltig und umweltfreundlich darzustellen. Durch die Investition in ein Projekt, das Kohlenstoff bindet (sei es eine Baumplantage, Waldschutz oder regenerative Landwirtschaft) oder Emissionen reduziert (z. B. die Wiederverwendung von Abfall zur Energieerzeugung), versuchen die Unternehmen, den Schaden auszugleichen, den sie durch die Freisetzung von Treibhausgasen verursachen. Sie reduzieren nicht ihre Emissionen, sondern gleichen sie aus. Deshalb spricht man von Netto-Null: Die Firmen argumentieren, dass sie die Verschmutzung, die sie auf der einen Seite verursachen, auf der anderen Seite reduzieren.
Unzureichende Kompensierung und Betrug
Diese Märkte sind nicht neu, haben aber 2015 mit dem Pariser Abkommen, das auf der 21. UN-Klimakonferenz geschlossen wurde, an Dynamik gewonnen und werden als praktikable Lösung für die Klimakrise präsentiert. In den Gebieten, in denen es sowohl klimaschädliche Aktivitäten als auch Kompensationsgeschäfte gibt, beklagen die lokalen Gemeinschaften jedoch, das Gegenteil sei der Fall. Sie sprechen von mangelnder Information und Beteiligung sowie negativen Auswirkungen von Kompensationsprojekten. Europäische Medien wie The Guardian, Die Zeit und Follow the Money haben Betrugsfälle durch Unternehmen aufgedeckt, die Emissionsgutschriften zertifizieren. Sie wiesen nach, dass es sich bei einem Großteil um Phantomgutschriften handelt, die keine echten Kohlenstoffreduzierungen darstellen. Sozial- und Umweltorganisationen stellen die Idee der Kompensation ebenfalls in Frage. Sie sei nicht nur unwirksam, sondern verschärfe durch Ablenkung und Verzögerung wirksamer Maßnahmen die Klimakrise noch.
„Kohlenstoffneutrale“ Erdölgesellschaften
Vaca Muerta ist eines der größten unkonventionellen Öl- und Gasfelder der Welt und liegt in den Provinzen Neuquén, Río Negro, Mendoza und La Pampa. Die Förderung – die sich in den letzten zehn Jahren vor allem auf Neuquén konzentriert hat – erfolgt durch Fracking oder Hydraulic Fracturing. Dabei werden große Mengen Wasser, Sand und Chemikalien eingebracht, um das tief liegende Gestein, das die Kohlenwasserstoffe enthält, zu zerstören und an die Oberfläche zu bringen. Als eine Folge der Arbeiten gibt es vermehrt Erdbeben. In Sauzal Bonito, einem Dorf mit etwa 200 Familien, wurden im Jahr 2021 bis zu 40 Beben in drei Tagen registriert. Die Fenster der Häuser gingen zu Bruch, die Wände bekamen Risse, und es kam zu Erdrutschen. Nördlich der Stadt, auf der anderen Seite des Flusses Neuquén, befindet sich das Ölfeld Fortín de Piedra. Es gehört Tecpetrol, einem Erdölunternehmen der Techint-Gruppe. Einem Bericht des Observatoriums für induzierte Seismizität (OSI) und der Stiftung für Umwelt und natürliche Ressourcen (FARN) zufolge gab es zwischen 2015 und 2023 mindestens 428 Erdbeben in Vaca Muerta.
Zusätzlich zu den Erdbeben leiden die Gemeinden, die in der Nähe von Fracking-Bohrungen leben, unter Ölaustritten, der Ausbreitung von Mülldeponien mit umweltschädlichen Abfällen und den Gasen, die aus den Entlüftungstürmen austreten. Vor dem Hintergrund der globalen Klimakrise, die größtenteils durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe verursacht wird, investieren die Ölgesellschaften in Projekte, die sie als „nachhaltig“ bezeichnen.
Tecpetrol zum Beispiel kündigte ein Projekt an, mit dem das Abluftgas als Abfallprodukt für „Kryptomining“ verwendet werden soll: Mit dem Gas wird Energie für den Betrieb von Computern erzeugt, die Kryptowährungen „schürfen“. Das Projekt wird als „Digitale Abgasminderung“ bezeichnet. Dadurch konnte die Gasproduktion gesteigert werden, die andernfalls eingeschränkt worden wäre, da die Unternehmen aufgrund der Umweltschäden nur eine begrenzte Menge an Gas ablassen oder abfackeln dürfen.
Vista Energy, das Erdölunternehmen des ehemaligen Direktors des staatlichen Energieunternehmens YPF, Miguel Galuccio, versucht ebenfalls, sich als nachhaltig zu präsentieren. „Wir streben an, bis 2026 ein Unternehmen mit Netto-Null-Treibhausgasemissionen zu sein“, heißt es auf der Website. Eines der Projekte sind CO2-Zertifikate für Kiefernmonokulturen, die in der Provinz bereits existieren. Das Ölunternehmen gab im Februar letzten Jahres die Unterzeichnung eines entsprechenden Abkommens mit der Regierung von Neuquén bekannt. Es ist eines der Projekte, die Gouverneur Rolando Figueroa bei der Ankündigung des Programms Vaca Muerta Net Zero im vergangenen Juli erwähnte.
Die „Lösungen“ berücksichtigen nur die Unternehmensinteressen
Die betroffenen Gemeinden machen indes die Erfahrung, dass solche Ankündigungen keineswegs zur Reduzierung der Umweltschäden führen. „Die Dekarbonisierungspläne, die in Neuquén vorgestellt wurden, entsprechen den Interessen der Unternehmen. Die Regierungen machen sich den Wirtschaftsdiskurs zu Eigen. Sie fördern Lösungen, die nur den Unternehmen zugutekommen“, sagte Lefxaru Nawel, Anwalt und Mitglied der Mapuche-Vereinigung von Neuquén und der Beobachtungsstelle für die Menschenrechte der indigenen Völker (Odhpi). „Es ist ein Diskurs, die sehr in Mode gekommen ist, aber es mangelt an Information und Beteiligung.“
Nawel erklärt, dass in dem Gebiet 15 Mapuche-Gemeinden leben, die keinen Zugang zu Wasser, Gas oder Strom haben, während Millionen von Litern Wasser sowohl in Fracking-Bohrungen als auch in Wasserkraftwerken verbraucht werden, um die Ölfirmen mit Strom zu versorgen. „Wenn die Lösung für die Abluftgase darin besteht, Kryptowährungen zu schürfen, damit Tecpetrol weiterhin Geld verdient und die Ölgesellschaften weiterhin das Monopol über die Energie haben; wenn gleichzeitig die Menschen um sie herum unter den Auswirkungen leiden, keinen Strom, kein Wasser, kein Gas haben; wenn die Unternehmen ihr Geschäft sichern und sich obendrein noch einen grünen Anstrich geben, dann ist das zweifellos keine gute Lösung“, ist er überzeugt.
Kritisiert werden auch die Kiefernmonokulturen als Ausgleich der Kohlenstoffemissionen. „Wir wissen von den in den Bergen lebenden Gemeinschaften, dass diese Plantagen nicht vorteilhaft sind, weil es sich um Monokulturen exotischer Kiefern handelt“, sagt Nawel.
Kompensation mit dem Regenwald von Misiones
Ein weiteres Erdölunternehmen, das Investitionen in Kohlenstoffmärkte angekündigt hat, ist die schweizerische Mercuria. Im Jahr 2017 schloss sich das multinationale Unternehmen mit Andes Energía PCL, einem Unternehmen der Gruppe Vila y Manzano, zusammen und gründete das Unternehmen Phoenix Global Resources, das das Gas und Öl in Vaca Muerta gewinnt. Mercuria unterzeichnete 2022 ein Abkommen mit der Regierung von Misiones über die Zusammenarbeit und den Erwerb von Emissionsgutschriften. Die Emissionsgutschriften sollen von Waldschutzprojekten kommen, die als REDD+ (Reducing Emissions from Deforestation and Degradation) bekannt sind. Die Projekte können von privaten Akteuren eingereicht werden. Um mit den Gutschriften handeln zu können, müssen sie von internationalen Zertifizierungsunternehmen überprüft werden.
Es gibt verschiedene Arten von REDD-Projekten. Die in Misiones angewandte Form heißt Jurisdictional and Nested REDD(JNR) und hat Vorläufer in anderen Ländern, wie z. B. in Brasilien. Dort haben zwar viele lokale Gemeinschaften im Rahmen dieser Programme Mittel erhalten, aber in den letzten Jahren kam es zu zahlreichen Fällen von Missbrauch, Täuschung und Verstößen gegen die Rechte der indigenen Völker. Dies hat die brasilianische Bundesstaatsanwaltschaft im August dazu veranlasst, die „Aussetzung aller Carbon Crediting/REDD+-Aktivitäten in den Amazonasgebieten“ zu empfehlen. Unter anderem verweist sie auf die fehlende Vorabkonsultation und die Risiken für die beteiligten Gemeinschaften bei der Unterzeichnung von intransparenten und langfristigen Verträgen, die die Lebensweise und das Erbe der indigenen Völker gefährden. Ein Beispiel ist der brasilianische Bundesstaat Acre, der Feuer“ und den „grünen Geldbeutel“ eingeführt, eine vierteljährliche Entschädigungszahlung an die Gemeinden für das Verbot, Land für den Anbau von Nahrungsmitteln zu roden. „Dies ist ein unwiederbringlicher Schaden, denn sowohl indigene Frauen als auch Frauen, die traditionellen Bevölkerungsgruppen angehören, haben immer in den Plantagen gearbeitet. Mit diesem Verbot haben sie ab 2010 aufgehört zu produzieren“, sagte Dercy Teles de Carvalho, ehemalige Vorsitzende der Landarbeitergewerkschaft Xapuri. „Heute sind die Menschen darauf angewiesen, Lebensmittel zu kaufen, raffinierten Reis, der aus einem anderen Bundesstaat kommt, aus Mato Grosso. Der ‚grüne Geldbeutel‘ ist ein Almosen“, sagte sie in einem Interview, das von World Rainforest Movement veröffentlicht wurde.
Monokulturen in Corrientes
Ein weiteres Projekt von Galuccios Ölfirma ist die Anpflanzung von Kiefern und anderen Monokulturen in Corrientes, im Gebiet von Rolón Cué, etwa 40 Kilometer von Gobernador Virasoro entfernt. Dieses Geschäft wird über Aike abgewickelt, eine Tochtergesellschaft von Vista Energy, die gegründet wurde, um Klimaschutzprojekte zu entwickeln und Emissionsgutschriften zu verkaufen. Laut dem Projekt, das Verra, einem internationalen Zertifizierer von Emissionsgutschriften, vorgelegt wurde, sieht die Investition die Erstbepflanzung von 2.331 Hektar vor: 60 Prozent mit Kiefern und 40 Prozent mit einer Mischung aus Kiefern und einheimischen Arten. Das Projekt ist noch nicht genehmigt worden. Wenn Verra das Projekt genehmigt, kann die Ölgesellschaft mit den Gutschriften handeln, die sich aus der Berechnung des durch die Monokultur gebundenen Kohlendioxids ergeben.
Corrientes ist die Provinz mit der größten Fläche an Forstplantagen im Land. Obwohl diese Tätigkeit als produktiv und arbeitsplatzschaffend angepriesen wird, berichten die Gemeinden, die in der Nähe der Plantagen leben, von einem anderen Bild: unsichere Arbeitsplätze, Mangel an Land für den Anbau und die Viehzucht, Umweltverschmutzung durch den Einsatz von Agrochemikalien und erhöhte Brandgefahr. Guardianes del Y’verá, eine sozio-ökologische Organisation aus Corrientes, die den Kampf der lokalen Bevölkerung begleitet, warnte davor, dass das Kompensationsprojekt von Vista Energynicht auf einen wirklichen Schutzplan abgestimmt zu sein scheint, der Vorteile für die Umwelt und die Gemeinden bringen könnte. „Das Projekt ist eine Absichtserklärung mit dem Vokabular des Naturschutzes, ohne jedoch wirkliche Schutzziele zu nennen“, sagt Emilio Spataro, Mitglied der Organisation. „Es steht in keinem Zusammenhang mit irgendeinem Plan, Programm oder Projekt zur Erhaltung der biologischen Vielfalt und schlägt auch keine Kriterien oder transparente Indikatoren vor, die die Zivilgesellschaft überwachen könnte.“ Für Guardianes del Y’verá bestätigt das Projekt das Forstwirtschaftsmodell in einer Region, in der sich diese Monokulturen ausgebreitet haben, ohne dass die Auswirkungen der großflächigen Umwandlung von Grasland, Feuchtgebieten und Wäldern in Forstplantagen untersucht wurden. „Bei diesen Projekten lässt sich nicht feststellen oder überprüfen, ob sie tatsächlich Kohlenstoff binden oder ob sie vielmehr den Boden so stark schädigen, dass sie sogar Kohlenstoff freisetzen.“ Abschließend meint Spataro: „Letztendlich geht es um Greenwashing und zusätzliches Geld für sie, nichts weiter.“
Unitán im Chaco
Eines der ersten Unternehmen im Land, das die Zertifizierung von Kohlenstoffgutschriften ankündigte, ist die Tanninfabrik Unitán, die seit mehr als 100 Jahren in Chaco und Formosa tätig ist. Sie pflanzte 2.348 Hektar Monokulturen auf fünf Grundstücken in den beiden Provinzen. Dabei handelt es sich zu 63 Prozent um Eukalyptus und zu 37 Prozent um Quebrachobäume (Quebracho colorado). Auf seiner Website behauptet das Unternehmen, mit diesen Maßnahmen eine „klimapositive“ Wirkung zu erzielen.
Seit dem späten 19. Jahrhundert bis heute ist die Tanninindustrie eine der Hauptverantwortlichen für die Zerstörung ganzer Wälder mit rotem Quebracho und anderen Arten im Gran Chaco, einer Region, die sich über zehn argentinische Provinzen erstreckt, darunter Chaco, Formosa, Santiago del Estero und das nördliche Santa Fe. Auch heute noch sind mehrere dieser Unternehmen wegen Abholzung angeklagt. Im vergangenen Mai kritisierte das Kollektiv Somos Monte Chaco, dass Unitán und andere Agrarunternehmen Einfluss auf die jüngste Änderung des Landnutzungsplans für den Regenwald (OTBN) genommen haben. Dieses Provinzgesetz, das in den frühen Morgenstunden des 30. April verabschiedet wurde, ermöglicht die Abholzung von Tausenden von Hektar Wald.
Unitán hat sein Projekt bei der Zertifizierungsstelle Verra als „Aufforstung und Wiederaufforstung von Weideland“ präsentiert. In der Projektbeschreibung heißt es, dass es um die Aufforstung einer verlassenen Weide- und Agrarfläche geht, „mit dem Ziel, vorrangig Rundholz für die Gerbereiindustrie und in zweiter Linie Brennholz zu erzeugen“. Weiter heißt es: „Das Projekt befindet sich in einer Region, in der kommerzielle forstwirtschaftliche Anpflanzungen nicht üblich oder nicht vorhanden sind. Durch die Aufforstung mit dieser Baumart wird die Verwendung von einheimischem Holz in Zukunft vermieden“. Das Unternehmen hat im Januar 2023 die Zertifizierung erhalten, die ihm den Zertifikatshandel ermöglicht. Zusätzlich zu diesen Einnahmen wird die Forstwirtschaft in Monokulturen in Argentinien seit 1998 durch das nationale Gesetz 25.080 subventioniert. Dank dieses Gesetzes erhalten die Forstunternehmen nicht rückzahlbare finanzielle Unterstützung und Steuervorteile wie Steuerbefreiung und -stabilität für 30 bis 50 Jahre. Laut dem vom Nationalen Landwirtschaftssekretariat veröffentlichten offiziellen Register hat Unitán zwischen 2018 und 2021 mindestens zehn Genehmigungen für nicht rückzahlbare finanzielle Unterstützung für durchgeführte Anpflanzungen erhalten. Die letzte stammt von Ende 2020 und beläuft sich auf 3,4 Millionen Pesos.
Lobbyarbeit
Eine der Institutionen, die sich für die Entwicklung der Kohlenstoffmärkte in Argentinien einsetzen, ist der argentinische Forstwirtschaftsverband AFOA, der im Mai 2022 die Gründung des Runden Tisches für Waldkohlenstoff ankündigte.
Die AFOA setzt sich aus den wichtigsten Unternehmen zusammen, die Holz, Zellstoff und Papier, Gerbstoffe und andere Derivate aus Forstplantagen herstellen. Dazu gehören der chilenische multinationale Konzern Arauco (ehemals Alto Paraná, der hauptsächlich in Misiones tätig ist), Celulosa Argentina (im Besitz der Tapibecuá-Gruppe, deren Hauptaktionär der Geschäftsmann José Urtubey ist), Papel Misionero (im Besitz von Arcor), die spanische Gruppe Iberpapel, Puerto Laharrague (im Besitz der Familie von Nicolás Laharrague, ehemaliger Beamter für forstwirtschaftlich-industrielle Entwicklung in der Regierung von Mauricio Macri), Establecimiento Las Marías, Compañía Tierras Sud Argentino (im Besitz der italienischen Benetton) und Unitán. Am Tisch saßen auch die Ölgesellschaften YPF und Vista Energy, die Argentinische Gesellschaft für den ländlichen Raum, die Getreidehandelsbörsen mit ihrem Argentinischen Programm CO2-Neutralität sowie Anwaltskanzleien und Beratungsunternehmen, die Projekte für Kohlenstoffmärkte entwickeln. Letztere, die im Zuge der durch die Klimakrise entstandenen Geschäftsmöglichkeiten gegründet wurden, tragen Namen wie GMF Nature Based Solutions, GreenSur, Fotosíntesis SAS oder Allcot. Mit dieser neuen Konstellation wurde der Runde Tisch im vergangenen Juli in Mesa Argentina del Carbono (Argentinischer Runder Tisch Kohlenstoff) umbenannt.
Ein Runder Tisch – für Unternehmen
In einem Dokument mit dem Titel „Beiträge zur Entwicklung der Kohlenstoffmärkte in Argentinien“ fordert der Runde Tisch Maßnahmen ein, die den Investoren Sicherheit bieten, damit das Land „die einzigartige Gelegenheit nutzen kann, sich über die Kohlenstoffmärkte auf dem Weltmarkt zu positionieren“. Unter anderem wird ein Rechtsrahmen gefordert, der Rechtssicherheit in Bezug auf das Eigentum an Kohlenstoff- und Emissionsminderungsgutschriften bietet, sowie die Festlegung von Kriterien für den Handel. Der Staat dürfe so wenig wie möglich regulierend eingreifen – durch ein zentralisiertes Projektregister, aber ohne Erhebung von Steuern, so die Forderung. Gleichzeitig soll der Staat jedoch wirtschaftliche Anreize durch „die Einrichtung eines Fonds oder durch Subventionen für die Planung, Zertifizierung oder Durchführung von Projekten“ geben.
Während der Regierungszeit von Alberto Fernández machte die Nationalregierung Fortschritte bei der Ausarbeitung einer nationalen Strategie für die Nutzung der Kohlenstoffmärkte. Sie legte Ziele und Leitlinien für einen rechtlichen und administrativen Rahmen fest. Die Regierung von Javier Milei hat die Kohlenstoffmärkte bereits in die erste Fassung des Omnibus-Gesetzes aufgenommen, das im Nationalkongresskeine Mehrheit fand. In seiner jetzigen Fassung stellte der Vorschlag der nationalen Regierung die Mesa Argentina del Carbono jedoch nicht zufrieden. Sie erklärte: „In seiner jetzigen Fassung konzentriert sich das Gesetz nur auf ‚emittierende‘ Wirtschaftszweige und Aktivitäten, sieht aber nicht die Möglichkeit des Ausgleichs mit Kohlenstoffgutschriften aus Projekten vor, die ‚außerhalb‘ der zur Reduzierung verpflichteten Aktivitäten liegen, wie z. B. forstwirtschaftliche oder landwirtschaftliche Kohlenstoffprojekte.“
Regulierte und freiwillige Märkte
Es gibt weltweit zwei große Kohlenstoffmärkte: den geregelten Markt und den freiwilligen Markt. Der regulierte Markt ist verpflichtend und wurde 1997 durch das Kyoto-Protokoll geschaffen. Darin verpflichteten sich die Industrieländer, ihre Treibhausgasemissionen zu begrenzen. Gleichzeitig vereinbarten sie aber auch, dass diese Emissionen statt reduziert auch ausgeglichen werden können. Und dass dieser Ausgleich nicht unbedingt innerhalb eines Landes erfolgen muss. Freiwillige Märkte hingegen funktionieren außerhalb der offiziellen Märkte und ermöglichen es Unternehmen oder anderen Einrichtungen, Kohlenstoffgutschriften zu kaufen, um ihre Emissionen freiwillig auszugleichen. Sie werden nicht von Regierungen reguliert und arbeiten ohne Emissionsobergrenzen.
In ihrem Glossar zu den Kohlenstoffmärkten erklärt die Stiftung für Umwelt und natürliche Ressourcen FARN, dass Argentinien derzeit über kein Emissionshandelssystem verfügt (bei dem eine Gesamtobergrenze für Emissionen festgelegt und mit Zertifikaten gehandelt wird), aber mehrere Projekte im Rahmen des Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung (CDM, der mit dem Kyoto-Protokoll verbunden ist) registriert hat. „Es ist noch nicht klar, wie unser Land an den neuen internationalen Kohlenstoffmärkten des Pariser Abkommens teilnehmen wird, sobald diese in Kraft treten“, heißt es. „Andererseits nehmen immer mehr Unternehmen und sogar einige argentinische Provinzen am freiwilligen Markt teil, indem sie Projekte registrieren, um Emissionsgutschriften ausstellen zu können, und indem sie Zertifikate zum Ausgleich ihrer Emissionen kaufen.“
Das Prinzip der „Zusätzlichkeit“
Damit diese Märkte funktionieren können, müssen mindestens zwei Ideen akzeptiert werden. Die eine ist die des Ausgleichs, d.h. dass die an einem Ort verursachte Verschmutzung an einem anderen Ort, sogar in einem anderen Land oder auf einem anderen Kontinent, ausgeglichen werden kann. Die andere Idee ist die der Zusätzlichkeit. Das heißt, dass das Projekt, das die Kohlenstoffgutschriften erzeugt, für eine zusätzliche Kohlenstoffbindung oder -absorption auf dem Planeten sorgt, die es ohne dieses Projekt nicht geben würde. Wenn der Regenwald in Misiones oder die Yungas im Nordwesten schon immer existiert hat, auch bevor es die Ölgesellschaften gab, wie kann er dann jetzt nicht nur den Kohlenstoff absorbieren, den er schon immer absorbiert hat, sondern zusätzlich auch noch den Kohlenstoff, der von diesen Gesellschaften ausgestoßen wird? Weil behauptet wird, dass der Regenwald zerstört würde, wenn es das Projekt nicht gäbe, um Platz für Soja oder eine andere profitablere Tätigkeit zu schaffen. Oder dass die Praktiken der indigenen Gemeinschaften – wie die Verwendung von Holz zum Kochen oder zum Bau von Häusern oder die Rodung eines Teils des Landes für den Anbau – nicht nachhaltig sind, und mit dem Projekt verbessert würden. Die gleiche Logik gilt auch für andere Projekte. In Projekten für nachhaltige Landwirtschaft wird beispielsweise argumentiert, dass ohne eine solche Initiative die konventionellen landwirtschaftlichen Praktiken, die die Böden schädigen, auf diesen Flächen fortgesetzt würden.
Ablehnung durch internationale Organisationen
Im Vorfeld der 28. UN-Klimakonferenz in Dubai im Dezember 2023 hat eine Gruppe internationaler Organisationen den Aufruf „Stoppt die Kohlenstoffmärkte“ veröffentlicht. „In den letzten 20 Jahren hat der Kohlenstoffausgleich echte Maßnahmen gegen den Klimawandel behindert, zu Verletzungen der Rechte von Menschen und indigenen Völkern geführt und Gemeinschaften, die den Auswirkungen der Rohstoffindustrie und der Klimakrise am stärksten ausgesetzt sind, schweren Schaden zugefügt“, heißt es in der Erklärung, die unter anderem von Friends of the Earth International, GRAIN, Indigenous Environmental Network und dem Oakland Institute unterzeichnet wurde. Die neuen Grenzen für den Kohlenstoffausgleich basieren auf einem Wettlauf um die Umwandlung von landwirtschaftlichen Böden sowie von Meeres- und Küstengebieten in „Abbauregionen“, von denen die Unternehmen behaupten, dass sie Kohlenstoff binden und neue Kohlenstoffgutschriften erzeugen werden. Aber keine dieser Technologien hat bewiesen, dass sie Kohlenstoff dauerhaft speichern kann“, warnen sie.
Übersetzung: Annette Brox