Auch wenn eigentlich alles in Ordnung ist: Monkey Mind spürt das Detail auf, was nicht geht. Doch wir können lernen, ihn zu lenken. Die Samstagskolume.

von   KERSTIN CHAVENT

Ich liebe Geschichten. Wenn mir jemand etwas erzählt, lasse ich mich gerne mitnehmen. Ich bin ein gutgläubiges Publikum für Erzählungen und habe eine fabelhafte Fantasie, um etwaige Lücken mit eigenen Bildern zu füllen. Meine Gefühle stehen Schlange und sind schnell bereit, sich in Wallung versetzen zu lassen. Bei Liebesszenen habe ich nah am Wasser gebaut und wenn Blut fliesst, halten meine Sinne schon den ersten Tropfen nicht stand.

In meinen jungen Jahren fragte sich mancher, wie ich mit so viel Naivität durchs Leben kommen würde, und von meinem ersten Ehemann weiss ich bis heute nicht, welche von den Geschichten, die er mir erzählt hat, wahr sind und welche nicht. Kurz: Ich bin die perfekte Beute für das, was seit den 1990er Jahren als Narrativ bezeichnet wird: sinnstiftende und etablierte Erzählungen, die bestimmte Werte und Emotionen transportieren und Einfluss auf die Art haben, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen.Da mir Menschenleben und eine intakte Natur ganz besonders am Herzen liegen, sind die aktuellen Narrative zu den Themen Corona, Krieg und Klimawandel geradezu auf mich zugeschnitten. Dass ich dennoch für die unabhängigen und nicht für die etablierten alten Medien schreibe, ist darauf zurückzuführen, dass es etwas in mir gibt, was mich daran hindert, alles zu glauben, was durch meine Gehirnwindungen zieht.

Gedanken los!

Jeder, der schon einmal versucht hat zu meditieren, weiss, dass es unmöglich ist, an nichts zu denken oder nicht an etwas Bestimmtes. Denken Sie jetzt bitte nicht an einen Ihrer Lieblingspolitiker auf einem rosa Elefanten! Wer auch immer auf ihm sitzt: In unserem Gehirn ist ständig etwas los. Wenn wir unseren Gedanken befehlen, wie zum Beispiel kurz vorm Einschlafen, auch nur einen kurzen Moment stille zu sein, dann funktioniert das meistens nicht.

Wie ein ungezogenes Kind wollen die Gedanken das Nein nicht verstehen und gewissermassen immer das letzte Wort haben. Wenn wir uns zum Beispiel sagen, dass wir jetzt nicht mehr rauchen oder nicht mehr faul auf dem Sofa liegen, dann passiert in aller Regel: nichts. Mit Verneinungen kann unser Gehirn nichts anfangen. Mehr noch: Es kann Reales nicht von Vorgestelltem unterscheiden.

Ein Gedanke aktiviert exakt die gleichen Gehirnareale wie die entsprechende Situation, die wir direkt vor Augen haben. Wenn ich Ihnen jetzt sage, Sie sollen nicht daran denken, wie Sie eine Zitrone aufschneiden und der Saft über ihre Finger rinnt, dann ist es sicher schon zu spät. Ich wette, Ihr Gaumen hat sich zusammengezogen. Unser Gehirn macht keinen Unterschied zwischen etwas real Existierendem und einer Idee. Auf diesem Prinzip beruhen zum Beispiel der Placebo-Effekt oder die Hypnose. Selbst grosse Operationen und Geburten können damit schmerz- und nebenwirkungsfrei und vor allem kostengünstig durchgeführt werden.

Es rattert die Mühle

Unsere Gedanken haben uns viel zu erzählen. Immerzu sind sie aktiv. Um sozusagen nicht arbeitslos zu werden, sucht unser Geist ständig nach Problemen, um sie zu lösen. Wenn einmal keines da ist, das dürfte jeder erfahren haben, der schon einmal in den Urlaub gefahren ist oder einfach nur still dagesessen hat, dann macht er uns welche. Wie ein Eichhörnchen ist er auf der Suche nach Nüssen, um sie zu horten und beizeiten zu knacken.

Im Buddhismus wird diese anstrengende Gewohnheit Monkey Mind genannt. Die Metapher ist weit verbreitet. Sie wird unter anderem im Zen-Buddhismus, im Taoismus, in der chinesischen Dichtung, in Theater und Literatur verwendet und bedeutet «rastloser Geist». Immerzu plappert er vor sich hin. Niemals gönnt er sich Ruhe. Penibel scannt er morgens beim Blick in den Spiegel unser Gesicht auf der Suche nach Falten und Imperfektionen ab und erinnert uns noch beim Abendessen daran.

Auch wenn eigentlich alles in Ordnung ist: Monkey Mind spürt das Detail auf, was nicht geht. Kaum haben wir ein Problem gelöst, schiebt er das nächste nach. So funktioniert auch mein Monkey Mind. Doch etwas hat sich verändert, seit ich weiss, dass es ihn gibt. Ich weiss, dass ich ihm nicht ständig zuhören muss. Ich kann ihm sagen, das interessiert mich jetzt nicht und er soll mir lieber etwas anderes erzählen.

Nein danke!

Wir können, so der buddhistische Mönch Mingyur Rinpoche, den Monkey Mind lenken. Dabei sollten wir darauf achten, ihn uns nicht zum Feind zu machen und zu streng zu ihm zu sein. Denn es wäre ungünstig, den Feind im eigenen Kopf sitzen zu haben. Erst einmal können wir ihm, ganz freundschaftlich, dafür danken, dass er so darum bemüht ist, uns informiert zu halten, um ihm dann eine Aufgabe zu geben.

Nur allzu gerne wird er sie annehmen. Das ist schliesslich sein Job und er ist zufrieden, wenn er beschäftigt ist. Man kann ihm zum Beispiel sagen, auf den Atem zu achten. Während er das tut, lässt er uns in Ruhe mit Falten und Viren, mit Kriegs- und Weltrettungsgeschichten. Während die Aufmerksamkeit auf dem Atem liegt, ist alles in Ordnung. Wir atmen ja noch. Wir sind am Leben.

Das Ziel ist nicht, so Rinpoche, den Monkey Mind, der es ja gut mit uns meint, zum Schweigen zu bringen, sondern ihn flexibel zu machen, biegsam sozusagen, damit wir besser mit ihm zusammenarbeiten können. Wenn uns das gelingt, dann sind wir viel weniger anfällig für die Geschichten, die andere uns erzählen, die uns zum Beispiel Angst machen sollen und gegeneinander aufhetzen, um uns gefügig zu machen.

Nein danke, ich habe schon meinen eigenen Geist. Ich brauche Ihre Ware nicht. Ich suche mir meine Informationen selber aus. Ich bestimme selber darüber, was in meinen Kopf kommt und was nicht. Ich esse ja auch nicht alles. Ich entscheide, was ich über meine Augen und meine Ohren in mich hineinlasse und wem ich meine Energie gebe. So kann da draussen viel passieren. Ich gehe jetzt eine Runde atmen.

Der Originalartikel kann hier besucht werden