Am 3. Oktober 2024 fand in Stuttgart ein Demokratiekongress statt, zu dem das Theaterhaus, das Bürgerprojekt Die AnStifter und 75 zivilgesellschaftliche Gruppen eingeladen hatten. An dem achtstündigen Kongress mit Foren, Arbeitsgruppen und szenischen Lesungen nahmen nach Angaben der Veranstalter mehr als 300 Menschen teil.
Umbrüche, Krisen und gesellschaftlicher Wandel fordern die Grundlagen unseres Zusammenlebens heraus: Wo sich Ungleichheit – zwischen Stadt und Land, Ost und West, sozialen Schichten, Minderheiten und Mehrheiten – verschärft, ist der Nährboden für Entfremdung und Radikalisierung bereitet.
Gleiches gilt, wenn wir mit Entscheidungen konfrontiert werden, die unser Leben verändern, an denen wir aber keinen Anteil hatten oder haben – und die wir häufig nicht nachvollziehen können, sei es im lokalen Kontext oder international. Auch so entstehen Konfliktlinien, Bruchstellen und Spannungen, die Gewalt befördern können, die Angst machen, Hass und Hetze verbreiten und eine offene, vielfältige Gesellschaft gefährden.
Artikel 21 des Grundgesetzes fordert, dass Parteien bei der politischen Willensbildung mitwirken – ein großer Teil dieser Willensbildung jedoch ist von der Zivilgesellschaft zu leisten, denn die geforderte Mitwirkung der demokratischen Parteien reicht längst nicht mehr. Wir sind gefragt, aber wir wissen: Eine widerständische und zukunftsfähige Gesellschaft braucht nicht nur politisches Bewusstsein, einen langen Atem, unendliche Geduld.
Leichtsinniger Umgang mit der AfD
Heute sind wir je denn mehr gefordert, für die strategische Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft und Politik, Kunst, Kultur und Bildung, den Wissenschaften und den seriösen Medien zu kämpfen. An sie alle geht der Appell: Es braucht Radikalisierungs-Prävention und Opferberatung, es braucht politische und diskriminierungskritische Bildungsarbeit in allen gesellschaftlichen Sektoren, überzeugende BürgerInnenbeteiligung und zuverlässig die Förderung des Engagements gegen Gewalt und Vergessen.
Der leichtsinnige und brandgefährliche Umgang der Medien etwa mit der AfD als Gleiche unter Gleichen verharmlost den gewaltbereiten, autoritären Charakter der Partei, die angetreten ist, die Freiheitsrechte und die Republik zu demontieren.
Wenn wir nicht besser aufpassen, werden wir zu ihren Türöffnern. Für Schutz und Förderung der Demokratie braucht es mehr sich ergänzende Handlungsbereiche, die Vielfalt der Formen und Farben und ein Ende des Alleinvertretungsanspruchs. Ein Demokratiefördergesetz muss her, die Unsicherheit im Gemeinnützigkeitsbereich muss weg. Nur langfristige und unbürokratische Förderung wird die zivilgesellschaftlichen Strukturen schärfen. Wir schaffen das – mit 1000 Fragezeichen.
Forderung: Klare Kante zeigen!
Die Strategie der Verfassungsfeinde, Ängste in der Bevölkerung zu schüren, erwies sich von Thüringen, Sachsen und Brandenburg bis nach Wien als effektiv. Themen wie Zuwanderung, Verlust von Sicherheit und Identität werden auch morgen wieder dramatisch überzeichnet. Jetzt ist die ganze Gesellschaft gefordert, „klare Kante“ zu zeigen.
Wird das den demokratischen Kräften gelingen? Es ist längst nicht ausgemacht, dass diese demokratischen Kräfte stark genug sind. Es kann keine Zusammenarbeit mit Neofaschisten geben, mit Leuten, die die Demokratie verachten und bekämpfen und Menschenrechte, Klimaschutz, Pressefreiheit und damit die Demokratie, die Republik infrage stellen.
Klima von Hass und Misstrauen
Unsere kapitalistische Gesellschaft fördert Anpassung und bedingungslose Ergebenheit zum massenhaften Konsum. Davon profitiert eine Partei, die für ihre Popularität den Nährboden von Angst und Verunsicherung braucht, die diese Angst in sozialen Netzwerken aktiv anheizt und ein Klima von Hass und Misstrauen schürt – eine Partei, die die Gesellschaft zunehmend radikalisiert und demokratische Prozesse grundsätzlich infrage stellt. Der Galgen, an den Coronaleugner während der Pandemie symbolisch Wissenschaftler, Journalisten und Politiker aufhängen wollten, ist ein Sinnbild und unmissverständliche Drohung.
Die perfide und erfolgreiche Strategie besteht darin, die Grenzen des Denkbaren, des Sagbaren und des Handelns immer weiter zu verschieben und so in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen. Ein Beispiel dafür sind die vom Recherchenetzwerk Correctiv aufgedeckten Pläne, Menschen mit Migrationsgeschichte aus Deutschland zu vertreiben. Was uns fassungslos macht, was politisch und gesellschaftlich unerträglich ist, wird aber durchaus ertragen, erhält die Förderung des Staates und die großen Bühnen und Funk und Fernsehen.
Dieser Kongress will ermuntern, den Fehdehandschuh, den die neuen Faschisten der Republik vor die Füße werfen, aufzunehmen und auf dem Modus des Zuschauens herauszutreten.
Er will ermuntern zur Solidarität mit den Getretenen und Gejagten, er will ermuntern zur Kooperation der Vernünftigen.
Er will ermuntern, die kenternden Boote an Land zu ziehen!
… Alle, die nicht schweigen, auch nicht, wenn sich Knüppel zeigen, solln aufstehn | Alle, die zu ihrer Freiheit auch die Freiheit ihres Nachbarn brauchen, solln aufstehn | Alle für die Nehmen schön wie Geben ist und das Geldverdienen nicht das ganze Leben ist, solln aufstehn. | Alle, die wie Du auf bessere Zeiten warten | Alle, die ihr Unbehagen immer nur im Magen tragen | Die nicht wagen was zu sagen nur von ihrer Lage klagen, solln aufstehn. | Alle Jungen, alle Alten mit und ohne Falten | Alle Menschen, die für ihre Rechte streiten | und die Nachbarn nicht vergessen, solln aufstehn.
(frei nach den Boots und Wolf Biermann, 1980)
Schlussappell Demokratiekongress 3.10.2024