Die vergangenen Monate in Südamerika waren und sind geprägt von extremen Dürren, katastrophalen Überschwemmungen und verheerenden Waldbränden. Dies verdeutlicht, dass wir uns in einer multiplen Krise befinden, die von Klimakatastrophen und Umweltzerstörungen gekennzeichnet ist. Gleichzeitig wächst unsere Abhängigkeit von digitalen Technologien. Viele setzen große Hoffnungen in diese neuen Technologien, da sie dazu beitragen könnten, Umweltverschmutzungen zu erfassen, Ressourcen effizienter zu nutzen und nachhaltige Entscheidungen zu treffen. Doch dieser Fortschritt hat seinen Preis: In Rechenzentren werden enorme Mengen an Energie und Wasser verbraucht, um unsere Daten zu speichern. Gleichzeitig plündern wir die Natur, um an kostbare Rohstoffe für Batterien zu gelangen. Diese Aktivitäten zementieren neokoloniale Machtverhältnisse – sowohl hier in Bolivien als auch in ganz Lateinamerika. Wie können wir also sicherstellen, dass unsere digitale Zukunft sozial gerecht ist und im Einklang mit der Natur steht? Digitale Technologien bieten zwar zahlreiche Vorteile, bringen jedoch gleichzeitig erhebliche Nachteile mit sich.

„Der Bedarf der Lithium-Industrie ist 13 Mal höher als die Niederschläge in der Region“

Edson Muraña, Mitglied der Lípez und ehemaliger Repräsentant dieser indigenen Nation in den Anden im äußersten Südwesten Boliviens, beschreibt die Bedeutung digitaler Technologien und die Zerstörungen, die sie mit sich bringen: „Technologien wie das Mobiltelefon sind für uns sehr praktisch, denn die Gemeinden der Lípez liegen weit verstreut. Das Mobilnetz ist sehr wichtig für uns, wir verbreiten darüber unsere Mitteilungen, Aufrufe und Beschlüsse“, sagt er. „Wegen des Abbaus des Lithiums machen wir uns aber sehr große Sorgen: Dadurch wird viel Wasser verbraucht, und außerdem könnte Süßwasser durch Salzwasser verunreinigt werden. Wir haben keine großen Wasserquellen hier – und wovon sollen wir leben, wenn es kein Trinkwasser mehr gibt? Wasser ist Leben.“ Edson Muraña lebt am Rande des Salar de Uyuni. In dem beeindruckenden Salzsee auf über 3.600 Metern Höhe, der mit mehr als 10.000 Quadratkilometern Fläche die größte Salzpfanne der Erde ist, werden beträchtliche Vorkommen an Lithium vermutet, das als wichtiger Bestandteil von Batterien in Smartphones, Laptops und Elektrofahrzeugen dient. Ohne Lithium gibt es keine E-Mobilität – weshalb die Lithiumvorkommen sowohl in Bolivien als auch weltweit Begehrlichkeiten und Hoffnungen wecken. Der Abbau am Salar ist jedoch wegen des hohen Wasserverbrauchs umstritten. „Vergleicht man den Bedarf an Wasser, dann ist der Bedarf der Lithium-Industrie 13 Mal höher als die Niederschläge in der Region. Das ist ein wichtiger Faktor. Der Salar de Uyuni liegt in einer Wüstenregion mit sehr wenig Regen, und auch wegen des Klimawandels nimmt dieser immer schneller ab. Menschen und Umwelt sind hier abhängig von Grundwasser, das seit Tausenden Jahren im Boden gespeichert ist“, erklärt Gonzalo Mondaca, Umweltingenieur in La Paz bei der bergbaukritischen Umweltorganisation Centro de Documentación e Información Bolivia (CEDIB). „Und jetzt beginnt man hier mit dem Abbau von Lithium, der sehr viel Grundwasser benötigt. Die Gemeinden hier sind in großer Sorge, denn die Menschen merken bereits, wie das Wasser in ihren Brunnen, in ihren Quellen weniger wird.“

Die Regierungen Lateinamerikas müssen eine regionale Vision entwickeln

Die Verfassung Boliviens garantiert eigentlich den Schutz der Pachamama, der „Mutter Erde“ in der Kosmovision der Anden, sowie die Rechte indigener Nationen und ihrer Gemeinschaften. Bolivien ist jedoch historisch von der Ausbeutung von Menschen und Natur geprägt: Zuerst raubte die Kolonialmacht Spanien das Silber, später gruben hier internationale Minenkonzerne nach Zinn. Heutzutage bohrt und gräbt die bolivianische Regierung selbst nach Erdgas und Gold für den Export. Der Abbau dieser Bodenschätze und die Einnahmen aus dem Verkauf haben für viele Vorrang vor dem versprochenen Naturschutz. Und die Ausbeutung dieser Ressourcen ist die Grundlage für die digitalen Technologien, die wir alle nutzen, betont Paola Ricaurte, Wissenschaftlerin für digitale Kultur und Dekolonialität am Instituto Tecnológico y de Estudios Superiores de Monterrey (ITESM) in Mexiko: „Lateinamerika ist unverzichtbar für dieses Projekt der hegemonialen technologischen Entwicklung. Das heißt, ohne die Ressourcen, die es hier in der Region gibt, könnten wir nicht von einer technologischen Entwicklung sprechen.“ Paola Ricaurte fordert, dass die Regierungen Lateinamerikas eine regionale Vision entwickeln und dazu Stellung nehmen sollten, wie sie sich an diesem Spiel der geopolitischen Kräfte beteiligen wollen. „Und in diesem Sinne versagen wir: Unsere Regierungen sind leider entweder mitschuldig oder haben es versäumt, ein alternatives Modell vorzuschlagen, das nicht auf dieser Gewalt, auf dieser extraktivistischen Gewalt beruht.“

Der Goldabbau im Amazonas vergiftet Mensch und Tier, die Erde und das Wasser

In Boliviens Exportwirtschaft spielt auch Gold eine wichtige Rolle. Obwohl Gold nicht primär zur Herstellung von Technologien abgebaut wird, findet es dennoch Verwendung in Mobiltelefonen und Computern aufgrund seiner hervorragenden elektrischen Leitfähigkeit. Gold wird in Bolivien vor allem im Amazonasgebiet abgebaut. Dort nutzen Goldgräber Quecksilber, um Goldpartikel zu binden und eine Amalgamlegierung zu bilden, die durch Erhitzen verdampft wird, wodurch reines Gold zurückbleibt. Quecksilber gehört jedoch zu den giftigsten Metallen, insbesondere wenn es über längere Zeit aufgenommen wird. Es reichert sich im Körper an und verursacht schwerwiegende Schäden, vor allem im Gehirn, den Nieren und am Herzen. Der Goldabbau vergiftet im Amazonas die Erde und das Wasser, die Tiere und die dort lebenden Menschen. Über die in den Flüssen gefangenen Fische gelangt das Quecksilber auch zu den Bewohner*innen in den anderen Städten Boliviens. Die Folgen des Goldabbaus im Amazonas sind gravierend, mahnt Ruth Alipaz. Sie setzt sich in der Nationalen Koordinierungsstelle zum Schutz indigener Territorien und geschützter Gebiete (Coordinadora Nacional de Defensa de Territorios Indígenas y Áreas Protegidas, CONTIOCAP) im bolivianischen Regenwald für die Rechte indigener Gemeinschaften, Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit ein. „Wenn wir Energie verbrauchen, um neue Technologien zu entwickeln, dann nutzen wir dafür herkömmliche Technologien wie fossile Brennstoffe, die immense Umweltverschmutzungen verursachen und zum Klimawandel beigetragen haben. Und für die Energiewende, über die wir sehr viel sprechen, werden neue Mineralien benötigt – das bedeutet mehr Bergbau in unseren Territorien“, kritisiert sie. „Gegen die wirtschaftlichen Interessen großer multinationaler Konzerne ist es für uns Menschen und indigene Gemeinschaften sehr schwierig, unsere Visionen aufrechtzuerhalten: diese Kultur der Sorgfalt und des Schutzes unserer aller Umwelt und unseres Lebensraums.“

Die Trennung von Gesellschaft und Natur: ein koloniales, kapitalistisches und patriarchales Projekt

Wohin unsere Lebensweise, die kapitalistische Ausbeutung von Menschen und Natur sowie die zunehmende Abhängigkeit von digitalen Technologien führen können, beschreibt eindrücklich Paz Peña. Paz ist Chilenin und konzentriert sich als Forscherin auf die Schnittstellen von digitalen Technologien, Feminismus und sozialer Gerechtigkeit. In ihrem Buch „Tecnologías para un planeta en llamas“ (Technologien für einen Planeten in Flammen) schreibt sie über die Gefahren des Technokapitalismus und die Notwendigkeit eines gerechten digitalen Übergangs im Zeitalter der Klima- und Umweltkrise. Sie warnt: „Dann sagt der Planet also: Seht her. Sieh her, Menschheit. Ihr steht heute vor einer Krise der Ausrottung. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse besagen, dass wir in ein Szenario eintreten, von dem die Menschheit nicht weiß, wie sie es bewältigen soll, und das wahrscheinlich das Ende vieler unserer Lebensformen bedeuten wird.“ Angesichts der aktuellen ökologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen beschreibt Paz Peña es als interessant, die Frage nach der Rolle der digitalen Technologien in dieser Krise der Moderne zu stellen: „Diese Krise der Trennung zwischen Gesellschaft und Natur ist nicht nur ein modernes Projekt, sondern auch ein koloniales, ein kapitalistisches und ein patriarchales Projekt.“ Angesichts der Auswirkungen digitaler Technologien auf die Umwelt ist zusammenfassend eine informierte, kritische und realistische Perspektive unerlässlich. Und es ist an der Zeit zu handeln. Lateinamerika kann dabei eine wichtige Rolle spielen – und das nicht nur als Lieferant von Rohstoffen für unsere digitale Zukunft. Wenn es um digitale Inklusion und nachhaltige Technologien geht, können die Menschen in Lateinamerika alternative, innovative Wissenssysteme und Praktiken einbringen, die lokale Kontexte berücksichtigen und indigene sowie traditionelle Kenntnisse integrieren. Denn es ist wichtig, dass wir in Nord und Süd, Ost und West den Umweltschutz und eine gerechte digitale Zukunft auch als globale Themen verstehen. Nur so können wir eine lebenswerte Zukunft gestalten – immer solidarisch, sei es international oder direkt vor Ort.

Dieser Beitrag ist eine Zusammenfassung des Podcasts „Utopías Distópicas“ der Fundacion InternetBolivia.org im Rahmen von „Images of Latin America 2024“, einem Projekt der Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein und dem Bündnis Eine Welt Schleswig-Holstein. Der Podcast wird in den kommenden Wochen auf Spanisch und Deutsch veröffentlicht.

Einen Onda-Beitrag zu diesemThema findest du hier.

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