Der Verlust von Zukunftsglauben ist ein Problem für die Demokratie. Sie lebt auch von der Hoffnung, dass Dinge besser werden. Daran aber glauben immer weniger. Kein guter Zustand, sagt unser Autor, denn wo Vertrauen in die Politik schwindet, grassiert Demokratie-Verachtung. Ein Interview von Bert Bosch-Rossacher mit Helmut Ortner über sein Buch »Heimatkunde«.

Die liberale Demokratie hat derzeit keinen leichten Stand. Nicht zuletzt die jüngsten Wahlerfolge rechtspopulistischer bis rechtsextremer Parteien beruhen zu einem guten Teil darauf, dass die Demokratie offenbar zunehmend vielen Menschen eher als Mangel denn als Gewinn erscheint. Ist unsere Demokratie ernsthaft gefährdet?

»Wir leben in turbulenten Zeiten. Die Hoffnung auf eine fortschreitende globale Demokratisierung und eine dauerhafte Weltfriedensordnung die noch vor Jahren als Möglichkeit erschien, hat sich aufgelöst. Stattdessen weltweit Krieg, Flucht, Hunger. Dazu das menschgemachte Klima-Desaster. Die Hoffnung, diese Probleme lösen zu können, schwindet … Vor allem der Verlust von Zukunftsglauben diese Probleme zu lösen, ist ein Problem, denn Demokratie lebt auch immer von der Hoffnung, dass Dinge besser werden. Doch daran glauben viele Menschen nicht mehr. Demagogen, Populisten und Autokraten aller Couleur erkennen das und nutzen diese Ängste, um die Demokratie schwächen. Und viele Menschen folgen ihnen allzu bereitwillig. Wo Vertrauen fehlt, entsteht Enttäuschung, Teilnahmslosigkeit und Verachtung.

Der Eindruck, die Entwertung der Demokratie schreitet voran – ist dieses Bild falsch?

»Eindrücke basieren ja nicht unbedingt auf Fakten. Sie formen sich aus subjektiven Wahrnehmungen und Erlebnissen, die unsere Sicht auf die Welt bestimmen. Demokratie ist eine fragile Konstruktion. Es braucht Transparenz und Vertrauen. Das ist die Währung der Demokratie. Mangelt es daran, schafft es ein Klima des Misstrauens, der Angst, der Aggression. Notwendig aber ist ein kollektives Einverständnis, eine breite Zustimmung »ein gesellschaftlicher Konsens«. Und es braucht die Bereitschaft des Einzelnen, sich zu »vergemeinschaften«, sich aktiv einzubringen und zu engagieren. Unser demokratisches Gemeinwesen lebt von Teilnahme und Teilhabe, von Verpflichtung und Verantwortung, Vom ICH zum Wir – das ist die Formel, die sich eine demokratische Gesellschaft im besten Falle selbst auferlegt – und lebt.

Was ist zu tun gegen die Erosion demokratischer Errungenschaften? Was gegen die grassierende Demokratie-Verachtung?

Die Wahlergebnisse in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, wo die AfD allerorten nahezu 30 % der Stimmen bekommen hat, zeigen, dass sich viele Menschen von den traditionellen Partien abwenden, weil sie den politischen Entscheidungsträgern und Eliten misstrauen. Nun gibt es Stimmen, die sagen: Solange gewählt wird, haben wir eine intakte Demokratie. Und dabei sei es egal, wer am Ende gewählt wird … Ich mag dem nur bedingt zustimmen…

Aber freie Wahlen repräsentieren den Willen der Bürgerinnen und Bürger. Sie sind der Souverän …

Ja, selbstverständlich. Ergebnisse von freien, gleichen und geheimen Wahlen sind zu respektieren. Wenn man solche Ergebnisse vermeiden möchte, sollte man eine Politik machen, dass solche Wahlergebnisse erst gar nicht zustande kommen. Aber mir fällt es schwer zu begreifen, wie jemand einer rechtsradikalen, zum Teil faschistischen Partei wie der AfD seine Stimme gibt, die Gesetze und Instrumente unseren Rechtsstaat aggressiv dazu benutzt -– ihn zu beschädigen und zu verhöhnen. Wer einen Anti-Demokrat wie Höcke wählt, ist für mich ein Demokratie-Verächter.

Demokratie-Kritik ist keine Demokratie-Verachtung, sondern deren essentieller Bestandteil. Wo verläuft die Grenze? Ist jede Stimme für radikale Parteien schon ein Angriff auf unsere parlamentarische Demokratie?

Nein, in einem Rechtsstaat klären das Gerichte – und gegen deren Urteile kann man Rechtsmittel einlegen. Doch unübersehbar ist, dass die radikalisierte Peripherie der Gesellschaft auch von Menschen der bürgerlichen Mitte besiedelt wird. Populismus und Demokratie-Verachtung greift nicht nur an den Rändern, sondern zunehmend auch auf dem Golfplatz. Wir müssen da aufpassen, was den demokratischen Himmel verdunkelt: Gesellschaften können Zivilität lernen – und verlernen. Es gibt einen Prozess der Ent-Demokratisierung, der nur schwer reversibel ist. Das sollte uns bewusst sein …

Aber notwendig sind Kritik und Gegenrede – auch laute, radikale und »system-ablehnende« …

Unbedingt. Eine Demokratie lebt von Auseinandersetzung, Disput und Gegenrede. Das ist der Sauerstoff für die Demokratie. Es geht aber auch darum, unsere offene Gesellschaft gegen ihre falschen Freunde und richtigen Feinde zu verteidigen. Gleich ob von rechts oder links. Gegen politischen Fanatismus und religiösen Wahn. Mein Buch versteht sich als ein Plädoyer zur Verteidigung der offenen Gesellschaft, aber auch als Ermunterung zum produktiven Streit.


Buch-Hinweis:

Helmut Ortner Heimatkunde – Falsche Wahrheiten, richtige Lügen – Politische Essays
Edition Faust, 208 Seiten, 22 Euro

»Unser demokratisches Gemeinwesen lebt von Teilnahme und Teilhabe, von Verpflichtung und Verantwortung. »Vom ICH zum Wir« -das ist die Formel, die sich eine demokratische Gesellschaft im besten Falle selbst auferlegt.«

»Wie jemand einer rechtsradikalen, zum Teil faschistischen Partei wie der AFD seine Stimme geben kann, die unseren Rechtsstaat dazu nutzt, um ihn zu beschädigen und zu verhöhnen – ist mir schwer verständlich. Wer eine Figur wir Höcke wählt, ist für mich ein Demokratie-Verächter. «