Die Produktion von «Superfest»-Gläsern wurde eingestellt, weil sie nicht zerbrachen. Heute ist das ein Nachhaltigkeitsmerkmal.
Daniela Gschweng für die Online-Zeitung INFOsperber
Wer im deutschen Osten aufgewachsen ist, kennt sie: Die typische Form der «Superfest» oder «Ceverit» genannten Gläser, die von 1980 bis zur Wende in der DDR produziert wurden. «Superfest», weil sie wegen eines speziellen Herstellungsverfahrens kaum zerbrechen.
Komplett unzerstörbar sind die Gläser nicht, aber viel bruchsicherer als herkömmliche Trinkgläser. Der volkseigene Betrieb (VEB) Sachsenglas Schwepnitz in der Lausitz stellte mehrere Formen her, auch Glaceschalen, Tee-, Saft- und Schnapsgläser.
Vom Gastroglas zum Kultobjekt
Einige der äußerst haltbaren Gläser sind heute noch in Gebrauch. Am bekanntesten sind die dünnwandigen, stapelbaren 0,5-Liter-Biergläser, die britischen Pint-Gläsern ähneln. «Ich habe auch noch irgendwo eins», sagt ein Bekannter aus Berlin auf Nachfrage und bestätigt: «Die waren gut, man kann sie wirklich fallen lassen [und sie zerbrachen nicht].»
In der DDR-Gastronomie verhinderten Superfest-Gläser enorm viel Glasbruch. Heute sind sie gesuchte Kult-Objekte, aus Gründen der «Ostalgie» oder wegen ihres schlichten, zeitlosen Designs. Liebhaber spüren Restbestände bei Betriebsschliessungen und Haushaltsauflösungen auf. Auf Portalen wie Ebay werden sie teilweise zu hohen Preisen gehandelt. Dass sie nicht mehr hergestellt werden, ist einigermaßen verwunderlich.
1990: Zu gut fürs vereinigte Deutschland
Große Haltbarkeit, lokal hergestellt, dazu ein schlichtes, praktisches Design – das sind eigentlich perfekte Voraussetzungen für wirtschaftlichen Erfolg. Dieser aber wollte sich nicht einstellen. Im Herbst 1990 wurde die Produktion eingestellt. Das Patent ist längst ausgelaufen.
Ein Grund: Die Idee war ihrer Zeit voraus. Bruchsichere, stapelbare Gläser, die Ressourcen schonen, waren eine Notwendigkeit in der abgeschotteten DDR, die ständig unter Ressourcenmangel litt. Neben dem Design wurden auch die Einsparungen ausgezeichnet, die das «CV-Glas» ermöglichte. «CV» steht für «chemisch verfestigt».
Im vereinigten Deutschland gab es diese Notwendigkeit nicht. Auf den großen Messen, an denen Sachsenglas um Kunden warb, verkaufte der Betrieb kein einziges Glas. Die Händler winkten ab und sagten auch offen, warum: Wer verkauft schon ein Glas, das nicht kaputtgeht, wenn er Geld mit dem Verkauf von Gläsern verdient? Obsoleszenz als Geschäftsmodell. Die Ironie daran: Um Handydisplays bruchsicherer zu machen, wird heute ein ähnliches Verfahren verwendet.
Ein ständig gleichbleibendes Design sei ebenfalls nicht im Interesse der Konsument:innen, sagte Edgar Richter, einer der Chemiker, die die Superfest-Idee entwickelten, 2020 zur «Zeit». Und die Menschen im Osten wollten nach der Wende auch eher West-Produkte.
Ein weiteres Problem war die Herstellung der Superfest-Gläser. Herkömmliches Glas wird dabei mit flüssigem Salz behandelt. An der Glasoberfläche werden dadurch Natriumionen durch Kaliumionen ausgetauscht, die etwas grösser sind. Die entstehende dichtere Oberflächenschicht ist fester als normales Glas und kann das Kaputtgehen verhindern. Das geschmolzene Salz durfte aber nie abkühlen, also mussten ständig Gläser produziert werden. Bis die Fertigung 1990 endgültig stillstand.
2023: CV-Glas heisst jetzt «Ultraglas»
An die Umwelt dachte damals noch kaum jemand. Das hat sich inzwischen geändert. Ein Berliner Unternehmen stellt das schwer zerbrechliche Glas nun wieder her. «Soulbottles» verkauft seit mehr als zehn Jahren bedruckte Glas-Trinkflaschen. «Soulmates», wie das Unternehmen seine Kunden nennt, können das Lifestyle-Produkt auch mit individuellen Aufdrucken bestellen.
Das Unternehmen «Soulbottles» verkauft trendige Trinkflaschen aus Glas mit wechselnden Aufdrucken. © berlinlovesyou.com/Soulbottles
Glas als Material hat aber zwei Nachteile: Es ist schwer und zerbrechlich. Flaschen aus «Ultraglas», wie die in Zusammenarbeit mit der Uni Bayreuth entwickelte Form von Superfest heißt,
haben diese Nachteile nicht. Sie brechen nicht so leicht und seien dünner und leichter, schreibt Soulbottles auf der Crowdfunding-Site Kickstarter, wo das Unternehmen Geld für die neue Flaschengattung gesammelt hat.
Dann eben Trinkflaschen
Derzeit laufe die Produktion für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Crowdfundings an. Die ersten Flaschen würden mit gewohntem Gewicht von 530 Gramm ausgeliefert, gab das Unternehmen Anfang August an. Dazu, wie viel leichter die neuen Superfest-Stabilflaschen sind, macht das Unternehmen noch keine genauen Angaben. Ihre Festigkeit wird mit «2 bis 12-mal fester» angegeben – genauer ginge es derzeit nicht.
Unkaputtbar seien «Strongbottles» aber nicht. Jeder Schlag verursache Spannungen im Glas und beim zweiten oder dritten gehe es dann doch kaputt. Einen Sturz aus zwei Metern Höhe hätten die Flaschen im Test aber überstanden.
2024: Glashersteller winken noch immer ab
Auch ein Unternehmer aus Sachsen forscht an der Fertigung stabiler Gläser nach dem Vorbild von Superfest. Der Ingenieur Michael Heidan hat eine Methode gefunden, das Härtungsverfahren zu vereinfachen, und bekam dafür einen Innovationspreis. Die Anwendung, die den Ausschlag gab: ebenfalls Wasserflaschen, die Heidans Frau verkauft.
«Potenzial, Plastik zu verdrängen»
Auch ihm hätten Glashersteller erklärt, an superfestem Glas nicht interessiert zu sein, sagte Heidan im Juni 2024 gegenüber der «Sächsischen Zeitung». Das gehärtete Glas seiner Firma hätte aber das Potenzial, «Plastik fast komplett aus dem Lebensmitteleinzelhandel zu verdrängen». Sein erster Kundenauftrag drehte sich um Gläser für Kosmetika.